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Sachverhalt

 

 

Seit längerem gibt es im deutschsprachigen Raum Bestrebungen zu einer Rechtschreibreform. Auf der Wiener Orthographiekonferenz von 1994 verständigen sich Fachleute und Vertreter staatlicher Stellen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz schließlich über einen von einer Expertenkommission ausgearbeiteten Neuregelungsvorschlag "Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Amtliche Regelung", der vor allem der Vereinfachung der Schulorthographie dienen soll. Die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland (Kultusministerkonferenz – KMK) faßt am 1.12.1995 einen Beschluß, worin sich die Minister jeweils für ihr Land und für ihren Geschäftsbereich verpflichten, den Neuregelungsvorschlag als verbindliche Grundlage für den Unterricht in allen Schulen einzuführen. Das soll – vorbehaltlich landesspezifischer Übergangsregelungen für die Zwischenzeit – zum 1.8.199 geschehen. Bis zum 31.7.2005 sollen bisherige Schreibweisen nicht als "falsch", sondern als "überholt" gekennzeichnet und bei Korrekturen durch die neuen Schreibweisen ergänzt werden. Die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder stimmt diesem KMK-Beschluß zu. Das Bundeskabinett nimmt ihn zur Kenntnis. die internationale Abstimmung wird Mitte 1996 durch Unterzeichnung einer zwischenstaatlichen "Gemeinsamen Absichtserklärung" zu Inhalt und Zeitplan der Reform abgeschlossen. Sodann setzen die Kultusminister den genannten KMK-Beschluß jeweils durch Verwaltungsvorschrift (Runderlaß) für die Schulen ihres Landes in Geltung. Eine derartige Verwaltungsvorschrift erläßt am 2.7.1996 auch das Kultusministerium (Ministerium für Schule und Weiterbildung) des Landes Nordrhein-Westfalen. Danach ist eine vorgezogene Umstellung auf die neue Orthographie in einer Schule schon vor dem 1.8.1998 zulässig, wenn die Schulkonferenz die Umstellung beschließt. Zum 1.8.1998 ist die Umstellung überall obligatorisch. – Entsprechend der Schul- und Wörterbücher sind bereits auf dem Markt.

 

Die elfjährige Schülerin T besucht die Klasse 5 b eines Bielefelder Gymnasiums, in welchem gemäß obigen Runderlaß eine vorgezogene Umstellung auf die neue Rechtschreibung stattfindet. V und M, die Eltern der T, gehören zu den Gegnern der Rechtschreibreform. Sie wenden sich dagegen, daß ihre Tochter die neuen Schreibweisen erlernen und im Unterricht verwenden muß. Sie erblicken darin einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Recht der T und auch ihrer – der Eltern – selbst. Außerdem sehen sie in ihrem pädagogischen Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG verletzt. Schulunterricht nach Maßgabe des KMK-Beschlusses vom 1.12.1995 und des Runderlasses vom 2.7.1995 stellen einen schweren, unter der Herrschaft des Grundgesetzes so noch nie dagewesenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Zu diesem gehöre auch ein Recht auf sprachliche Integrität einschließlich einer entsprechenden "Sprech-" und "Schreibfreiheit". Der T sei es nunmehr untersagt, diejenigen Schreibweisen zu verwenden, die ihr im Elternhaus und in der Grundschule beigebracht worden seien und die sie in ihrem "mentalen Lexikon" gespeichert habe. Das habe Auswirkungen auf Familie und Umwelt und zwinge indirekt auch sie – die Eltern -, von vertrauten Gewohnheiten abzurücken. Für derartige dirigistisch-künstliche Eingriffe in das sprachliche Herkommen fehle dem Staat die Legitimation. Jedenfalls wäre dafür eine ausdrückliche, differenzierte Gesetzesgrundlage nötig. In dem behördlichen Vergehen liege auch eine Verletzung des Parlamentsvorbehalts. Im übrigen verstießen die Neuerung auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit diesem Vorbringen wenden sich V und M, auch namens der T, an die Schule und verlangen einen sofortigen Stopp der Unterrichtung der T nach den neuen Schreibregeln. Die Schule lehnt dies in Abstimmung mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung ab und meint, der Rechtschreibreform fehle die Grundrechtsrelevanz. Weder berühre sie die von V und M bzw. T geltend gemachten Grundrechte im Schutzbereich noch habe sie Eingriffscharakter. Als Gesetzesgrundlage reiche § 1 des nordrhein-westfälischen Schulordnungsgesetzes (SchOG) (v. Hippel/Rehborn Nr. 75) aus. Inhaltlich sei die Neuregelung wohlerwogen und rechtlich unbedenklich.

 

Nunmehr erheben V und M, auch namens der T, Unterlassungsklage zum zuständigen Verwaltungsgericht. Zugleich beantragten sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren. Letzterer Antrag bleibt in beiden Instanzen erfolglos. Über die Klage ist noch nicht entschieden.

 

  1. V und M möchten wissen, ob T und sie selbst in den genannten Grundrechten verletzt sind. In die gutachtliche Prüfung sind – gegebenenfalls hilfsweise – alle von den Beteiligten angesprochenen materiell-verfassungsrechtlichen Fragen einzubeziehen. Dabei können die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit knapp gehalten sein und sich auf eine exemplarische Untersuchung etwa zur Reform der Schreibung "daß = dass" beschränken.
  2.  

  3. V und M möchten auch erfahren, ob eine von ihnen erwogene Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht Erfolgsaussichten hätte. Sie bitten um eine kurze Zulässigkeitsprüfung.

 

 

Inhaltsverzeichnis

1. Teil *

A. Verletzung der M, V und T in ihrem APR *

I. Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts *

1. Persönlicher Schutzbereich *

2. Sachlicher Schutzbereich *

II. Eingriff in den Schutzbereich *

1. Eingriff in das APR der T *

2. Eingriff in das APR von V und M *

III. Verfassungsmäßige Rechtfertigung des Eingriffs *

1. Schranken des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts *

a) Verfassungsmäßigkeit des Runderlasses *

aa) Formelle Verfassungmäßigkeit *

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit der Verwaltungsvorschrift *

aaa) Wesentlichkeitstheorie *

bbb) Wesentlichkeit der Rechtschreibreform *

2. Hilfsgutachen *

a) Verfassungsmäßigkeit des § 1 SchOG *

aa)Formelle Verfassungsmäßigkeit *

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit *

3. Hilfsgutachten *

cc) Verhältnismäßigkeit der Reform *

aaa)Legitimer Zweck *

bbb) Geeignetheit *

ccc) Erforderlichkeit *

IV. Zwischenergebnis *

B. Verletzung der M und V in ihren Rechten aus Art. 6 II *

I. Schutzbereich des Art. 6 II 1 *

1. Persönlicher Schutzbereich *

2. Sachlicher Schutzbereich *

a) 1. Meinung *

b) 2. Meinung *

II. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 II *

III. Rechtfertigung des Eingriffs *

C. Ergebnis *

2. Teil *

A. Zulässigkeit *

I. Antragsberechtigung *

II. Prozeßfähigkeit *

1. Prozeßfähigkeit der T *

2. Prozeßfähigkeit von M und V *

III. Beschwerdegegenstand *

IV. Beschwerdebefugnis *

1. Mögliche Grundrechtsverletzung *

2. Selbstbetroffenheit *

3. Unmittelbare Betroffenheit *

4. Gegenwärtige Betroffenheit *

V. Rechtswegserschöpfung *

VI. Form *

VII. Frist *

VIII. Ergebnis *

 

 

 

Literaturverzeichnis

 

 

 

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Bundesländer München 1995

 

 

Erichsen, Hans Uwe Die Verfassungsbeschwerde

in: Jura 1991, 585 ff.

 

Isensee, Josef/ Handbuch des Staatsrechts

Kirchhof, Paul Band I

Heidelberg 1987 (zit.: Isensee/Kirchhof)

 

 

Jarass, Hans D. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

im Grundgesetz in NJW 1989, 857 ff.

 

 

Katz, Alfred Staatsrecht- Grundkurs im öffentlichen Recht

12. Auflage, Heidelberg 1994

 

 

Kopke, Wolfgang Die verfassungswidrige Rechtschreibreform

in NJW 1996, 1081 ff.

 

 

Maurer, Hartmut Allgemeines Verwaltungsrecht

11. Auflage München 1996

 

 

Pestalozza, Christian Verfassungsprozeßrecht

3. Auflage München 1991 (zit.: Pestalozza)

 

 

Pieroth, Bodo/ Grundrechte, Staatsrecht II

Schlink, Bernhard 12. Auflage Heidelberg 1996

 

 

Robbers, Gerhard Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlichrechtlichen Arbeit

JuS 1993, 1022 ff.

 

 

Roellecke, Gerd Grundrecht auf Deutsch?

in NJW 1997, 2500 ff.

 

 

Schmidt-Bleibtreu, Bruno/ Kommentar zum Grundgesetz

Klein, Franz 8. Auflage Berlin 1995 (zit.: Schmidt-Bleibtreu-Bearb.)

 

 

Stein, Eckhart Staatsrecht 15. Auflage

Thübingen 1995 (zit.: Stein)

 

 

Stern, Klaus Das Staatsrecht der Bundesrepublik DeutschlandBand II

München 1994 (zit.: Stern II)

 

 

von Münch, Ingo/ Grundgesetzkommentar

Künig, Philip Band I, Präambel bis Art. 20 4. Auflage

München 1992 (zit.: v. Münch)

 

 

 

Weber, Hermann Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde im

öffentlich rechtlichen Arbeiten in JuS 1992, 122 ff.

 

 

Wolff, Hans/ Verwaltungsrecht II

Bachof, Otto 4. Auflage München 1976 (zit. Wolff/Bachof)

 

 

 

 

Abkürzungen, soweit sie nicht schon aus sich heraus verständlich sind, richten sich nach

 

Kirchner, Hildebert Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache

4. Aufllage, Berlin/New York 1993

 

 

1. Teil

A. Verletzung der M, V und T in ihrem APR

V, M und T sind in ihren Grundrechten aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I verletzt, wenn in den grundrechtlich geschützten Bereich eingegriffen wird und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist.

I. Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts

V, M und T müssen im sachlichen und persönlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sein.

 

1. Persönlicher Schutzbereich

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht steht allen

natürlichen Personen zu, Deutschen wie Ausländern. Dies gilt auch für Kinder und Minderjährige, da das Grundrecht nicht eine ausgebildete Persönlichkeit voraussetzt, sondern an das Person-Sein anknüpft.

 

Fraglich ist, ob in einem besonderen Gewaltverhältnis stehende Personen der persönliche Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ebenfalls betroffen ist.

 

Es handelt sich um ein Rechtsverhältnis, das durch eine besonders enge Bindung der darin stehenden Personen an die staatliche Gewalt gekennzeichnet ist. Dadurch hat der Staat die Möglichkeit, stärker in die Grundrechte derer einzugreifen, die in diesem besonderen Rechtsverhältnis stehen.

Dieser Eingriff bedarf einer gesetzlichen Grundlage und ist nur insoweit möglich, wie dies zur Erfüllung der Funktionsfähigkeit des betroffenen besonderen Gewaltverhältnisses notwendig ist.

Im Betriebsverhältnis als Schüler kann der Staat stärkere Regelungen treffen

 

Im Grundverhältnis des Schülers zum Staat steht diesem der volle Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu.

 

Fraglich ist ob bei Schülern streng zwischen Grund- und Betriebsverhältnis unterschieden werden darf.

Die Erziehung, die Schüler vom Staat erhalten prägt ihre Persönlichkeit.

 

Erziehung ist die seelisch-geistige Entwicklung eines Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht.

Folglich wirkt das Betriebsverhältnis der T auf ihr Grundverhältnis.

Als Persönlichkeit ist ihr persönlicher Schutzbereich betroffen.

 

Der persönliche Schutzbereich der V und M ist durch ihres Person-Sein

betroffen.

2. Sachlicher Schutzbereich

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nach Rechtsprechung des BVerfG die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundlagen.

Diese Grundlagen wurden vom BVerfG aber nie abschließend festgelegt, sondern es wurde stets die Offenheit des Schutzbereichs betont.

Sie ermöglicht es dem BVerfG, zu immer neuen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zu gelangen, etwa dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

 

Daß das BVerfG bisher noch kein Recht auf sprachliche Integrität als Unterfall des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt hat, steht der Annahme, daß die sprachliche Integrität zu den von diesem Grundrecht geschützten Grundbedingungen gehört, nicht entgegen.

Dies läßt sich aus den dogmatischen Grundlagen sowie aus bereits anerkannten Ausprägungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts herleiten.

Das APR wird aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I abgeleitet.

Art. 2 I schützt jegliches menschliches Verhalten im Sinne der allgemeinen Handlungsfreiheit.

Unter dem Einfluß des Art. 1 I GG erfährt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht einen besonderen Schutz.

Es umfaßt Verhaltensweisen, die einen besonderen Konnex mit der in Art. 1 I geschützten Würde des Menschen aufweisen und daher eines

stärkeren Schutzes bedürfen als alle sonstigen Verhaltensweisen, welche im Übrigen von Art. 2 I erfaßt werden .

 

Fraglich ist ob die Sprache in diesen grundrechtlich geschützten Bereich fällt.

 

Sprache steuert, bündelt, verstärkt und verdichtet Willensbildungsprozesse, Mehrheitsströmungen, Stimmungen, Meinungen und Erwartungen. Sie dient somit der psychischen Entfaltung zu einer Persönlichkeit.

 

Also macht Sprache ein bedeutender Teil der Menschlichen Persönlichkeit aus und fällt in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

 

Fraglich ist, ob die geschriebene Sprache nicht sekundär ist, und somit nicht des gleichen Schutzes wie die gesprochene Sprache bedarf.

In der Antike war die Auffassung verbreitet, daß die geschriebene Sprache gegenüber der gesprochenen eine sekundäre Technik ist.

Nach jüngsten Orthographieforschungen hat sich jedoch gezeigt, daß die geschriebene Sprache nicht bloßes Abbild der Rede, sondern ein relativ autonomes sprachliches Teilsystem ist.

 

Folglich gibt es keinen Grund, die Schriftsprache gegenüber der gesprochen Sprache weniger zu schützen.

 

Weiterhin ist zu klären, ob es in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört, sich in einer bestimmten Schriftsprache zu äußern.

Es steht jedem frei sich in der von ihm gewählten Sprache zu äußern.

Folglich steht es jedem Menschen frei sich in der Schriftsprache zu äußern, die er für richtig hält.

 

Der sachliche Schutzbereich ist somit betroffen.

 

II. Eingriff in den Schutzbereich

Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrecht fällt, unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt. Die Wirkung muß von einem ursächlichen und zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgehen.

 

1. Eingriff in das APR der T

Durch die Umsetzung des KMK-Beschlusses wird T dazu gezwungen, d von den bereits verinnerlichten alten Schreibregeln keinen Gebrauch zu machen, sondern die neuen Rechtschreibregeln zu erlernen.

Verwendet T in den Abiturprüfungen im Frühjahr 2006 nicht die neue Orthographie, wird dies durch Punktabzug sanktioniert werden.

Folglich liegt ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der T vor.

 

2. Eingriff in das APR von V und M

Fraglich ist, ob in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der V und M eingegriffen, wurde indem T nach wie vor gegen den Willen der Eltern nach den neuen Rechtschreibregeln unterrichtet wird.

 

Wenn V und M der T die neuen Rechtschreibregeln beibringen wollen, um ihren elterlichen Pflichten in der Erziehung der T nachzukommen, werden sie dazu gezwungen, sich die neuen Regeln selbst anzueignen.

Bei Festhalten an den tradierten Regelungen droht V und M darüber hinaus in bezug auf die Kommunikation mit ihrer Tochter T ein Konflikt zwischen alten und neuen Rechtschreibregeln.

 

Sollte sich die neue Orthographie in der Bevölkerung etablieren,

verursacht dies aufgrund des zu erwartenden Anpassungsdrucks

die Isolierung der Eltern der T bei Beibehaltung der alten Recht-

schreibregeln.

 

Daraus ergibt sich insgesamt, daß V und M durch die von den Kultusministern erlassene Reform gezwungen werden, von verinnerlichten Schreibweisen abzuweichen, um nicht gesellschaftlich wie privat isoliert zu werden.

Der Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist daher zu bejahen.

 

III. Verfassungsmäßige Rechtfertigung des Eingriffs

Fraglich ist, wie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der V, M und T eingeschränkt werden kann.

 

1. Schranken des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Die Gewährleistung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht unter den drei unmittelbaren Verfassungsschranken der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und des Sittengesetzes.

Hier kommt eine Einschränkung durch die verfassungsmäßige Ordnung in Betracht.

 

Die verfassungsmäßige Ordnung meint alle formell und materiell mit der Verfassung übereinstimmenden Normen.

 

Konkretisierung dieser verfassungsmäßigen Ordnung könnte die Verwaltungsvorschrift des Kultusministers NW sein.

 

a) Verfassungsmäßigkeit des Runderlasses

Dazu müßte die Verwaltungsvorschrift formell und materiell verfassungsmäßig sein.

 

aa) Formelle Verfassungmäßigkeit

Die Ermächtigung zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften beruht auf der Befugnis zur Leitung eines Geschäftsbereichs und sich der daraus ergebenden Befugnis zum Erlaß von Weisungen gegenüber nachgeordneten Behörden.

Die Befugnis des Kultusministers zur Leitung seines Geschäftsbereichs ist zu unterstellen.

Folglich ist der Runderlaß formell verfassungsgemäß.

 

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit der Verwaltungsvorschrift

Weiterhin müßte die Verwaltungsvorschrift materiell

verfassungsmäßig sein.

Fraglich ist, ob die Rechtschreibreform überhaupt auf dem Erlaßweg eingeführt werden darf.

 

aaa) Wesentlichkeitstheorie

Dies bestimmt sich nach der Wesentlichkeitstheorie, die das BVerfG entwickelt hat. Es unterscheidet hierbei zwischen wesentlichen und unwesentlichen Sachverhalten.

 

Wesentlich sind nur Fälle einer intensiven Grundrechtsbetroffenheit, wobei die Intensität der Grundrechtsrelevanz an den Folgen für den Grundrechtsträger gemessen wird. Aus dem Rechtsstaats und Demokratieprinzip ergibt sich, daß der Gesetzgeber die Eingriffsregeln, die von großem Gewicht sind, selbst regeln muß.

Er muß um so mehr regeln, je empfindlicher der Eingriff wird.

Die Reichweite des Parlamentsvorbehalts wird durch die Flexibilität des Gesetzes als Regelungsinstrument und die erhöhte fachliche Kompetenz er Verwaltung bestimmt.

 

Es besteht sonach eine Stufenfolge von der ganz wesentlichen Angelegenheit, die der ausschließlichen Regelung durch den Parlamentsgesetzgeber bedarf, über die minder wesentlichen Angelegenheiten, die auch durch den gesetzlich determinierten Verordnungsgeber geregelt werden können, bis zu den unwesentlichen Angelegenheiten, die nicht unter den Gesetzesvorbehalt fallen. Die Stufenfolge ist im Blick auf die Regelungsdichte nicht in bestimmten Absätzen, sondern verläuft gleitend.

Es müßte sich somit um einen unwesentlichen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen handeln, damit es legitim wäre die Rechtschreibreform auf dem Erlaßweg umzusetzen.

 

bbb) Wesentlichkeit der Rechtschreibreform

Zur Wesentlichkeit der Rechtschreibreform werden mehrere Meinungen vertreten.

Die erste Meinung vertritt die Ansicht, daß die Rechtschreibreform

nicht grundrechtsrelevant ist. Bei ihr handele es sich nicht um die Festlegung von Erziehungszielen in den Grundzügen. Es sei nicht erkennbar, daß das Lernen einer in einigen Teilen veränderten Schriftsprache auf die Entwicklung eines Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft einen Einfluß habe.

Vielmehr habe die Reformierung der Orthographie das Ziel, die Rechtschreibung zu vereinfachen und nicht, das bestehende System organisatorisch oder inhaltlich wesentlich zu verändern.

Diese Meinung kann nicht überzeugen. Sie verneint die Existenz eines Rechts auf sprachliche Integrität.

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht umfaßt, wie unter A I 2. dargestellt, ein Recht auf sprachliche Integrität. Folglich ist Sprachsteuerung oder Sprachbeeinflussung als Eingriff in das Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu werten.

 

Nach anderer Ansicht haben die Kultusminister durch die Einführung der am Reißbrett entworfenen Rechtschreibregeln die ihm vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Bahnen der Fortentwicklung von Bildungs- und Erziehungszielen verlassen.

Die Reform stelle keine Fortentwicklung, sondern ein eigenständiges Bildungsziel dar. Sie wurde nicht von Gegebenheiten in der Gesellschaft fortentwickelt sondern neu konstruiert, was einer gesetzlichen Regelung bedarf.

Weiterhin richtet sich die Rechtschreibreform an alle Menschen des deutschsprachigen Raumes und beansprucht, daß diese sich nach ihr richten.

Für einen so weitreichenden Eingriff in die sprachliche Integrität fehle den Kultusministern die Aufgabenzuweisung.

Es handelt sich somit um einen Entscheidung, die für die Allgemeinheit von großer Bedeutung ist und somit nach der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG vom Gesetzgeber geregelt werden muß.

 

Hierzu ist zu sagen, daß Unterrichtung der neuen Rechtschreibung in der Schule nur einen Sinn hätte, wenn die Kinder diese später in Beruf und Privatleben verwenden. Die neuen Rechtschreibregeln haben keine Existenzberechtigung, wenn sie nur in der Schule und in der Verwaltung zwingend anzuwenden wären und sich in Beruf und Arbeit jeder nach der alten Orthographie richtet.

Die Schüler müßten dann trotz neuer Rechtschreibregeln für die Kommunikation in der Gesellschaft die alten Regelungen beherrschen. Wenn die in der Gesellschaft aktuellen Regelungen jedoch nicht in der Schule gelehrt werden, würde das einer Mißachtung der bestehender Bildungsziele gleichkommen (§ 1III SchOG).

Für den größten Teil der Bürger bedeutet das Umlernen der Rechtschreibung keine Erleichterung.

Die Kultusminister erwähnen nicht, daß sich nur Beamte und Schüler an die neue Rechtschreibung zu halten haben, vielmehr wird die Reform in der Öffentlichkeit als verbindliche Regelung dargestellt.

 

Die Minister beabsichtigen folglich, in Zusammenarbeit mit dem Dudenverlag, nicht nur die Regelung der Rechtschreibung für Beamte und Schüler zu reformieren, sondern die Reform dem gesamten deutschsprachigen Raum "aufzuempfehlen". Dies wird auch durch die zwischenstaatlichen Verträge mit Österreich und der Schweiz unterstrichen.

 

Eine so weitreichende Regelung, die weite Teile der Bevölkerung betrifft und in deren sprachliche Integrität eingreift bedarf der parlamentarischen Regelung. Das Parlament ist aufgrund seiner pluralistischen Zusammensetzung besser als die Kultusminister dazu geeignet, den unterschiedlichen Interessen Rechnung zu tragen.

Also ist der zweiten Meinung zu folgen.

 

Danach darf die Reformierung der Rechtschreibung aufgrund der Wesentlichkeit der Regelung nicht durch die Kultusminister selbst durchgeführt werden.

Der Erlaß des Kultusministers vom 2.7.96 ist somit materiell

verfassungswidrig.

2. Hilfsgutachen

Im Rahmen des Hilfsgutachtens ist von der Unwesentlichkeit der Reform auszugehen.

Folglich bedarf die Verwaltungsvorschrift einer wirksamen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.

 

Hier kommt § 1 SchOG NW in Betracht.

 

a) Verfassungsmäßigkeit des § 1 SchOG

Der § 1 SchOG muß, um als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu fungieren, seinerseits formell und materiell verfassungsmäßig sein.

 

aa)Formelle Verfassungsmäßigkeit

Die Gesetzgebungskompetenz im Schulwesen liegt gemäß Art. 70 I bei den Ländern.

Die formelle Verfassungsmäßigkeit ist zu unterstellen.

 

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Zu prüfen ist hier, ob § 1 SchOG dem Bestimmtheitsgrundsatz entspricht.

Der Bestimmtheitsgrundsatz des Art 103 II formuliert das Gebot rechtsstaatlicher Klarheit und Bestimmtheit. Er stellt auf die Perspektive des einzelnen, d. h. darauf ab, was dieser vorhersehen und berechnen kann. Ist das Gesetz hierfür zu unklar und zu unbestimmt, dann kann es ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung schon daran scheitern.

In § 1 III SchOG wird festgelegt, daß den Schülern das für ihr Leben und ihre Arbeit erforderlicheWissen und Können beigebracht werden soll.

In der Gesellschaft gelten jedoch noch die alten Rechtschreibregeln und es ist nicht absehbar, ob sich die neuen Rechtschreibregeln durchsetzen.

Der § 1 SchOG ist, selbst bei weiter Auslegung, zu unbestimmt um als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu dienen.

 

3. Hilfsgutachten

Hilfsgutachtlich wird unterstellt die Reform sei durch eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gestützt.

Verhältnismäßigkeit des SchOG wird unterstellt.

 

cc) Verhältnismäßigkeit der Reform

Schließlich ist zu prüfen, ob die Orthographiereform dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Der Grundsatz wäre gewahrt, wenn daß vom Staat eingesetzte Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.

 

aaa)Legitimer Zweck

Zunächst muß die Reform einen legitimen Zweck verfolgen.

Im Bezug auf den legitimen Zweck hat die Verwaltung die gegebenen Zweck- Mittelge- und Verbote zu beachten.

Die Bemühungen der Kultusminister den Schülern das Erlernen des deutschen Orthographie zu erleichtern ist durch die SchOG und den staatlichen Bildungsauftrag des Art. 7 I gedeckt.

Folglich ist ein legitimes Ziel gegeben.

bbb) Geeignetheit

Geeignet sind Mittel, mit deren Hilfe der gewünschte Erfolg herbeigeführt oder zumindest gefördert werden kann.

Ein fehlerträchtiger Bereich der deutschen Rechtschreibung ist die Groß- und Kleinschreibung.

Zu prüfen ist, ob die Reform dazu geeignet ist es den Kindern zu erleichtern weniger Fehler bei der Groß- Kleinschreibung zu mache.

Die Reformierung sieht vor, daß nicht mehr nur Substantive und echte Substantivierungen groß geschrieben werden, sondern auch eine Reihe substantivierter Adjektive in festen Wendungen (im Dunkeln tappen) sowie adverbiale Wendungen wie : vor Kurzem, im Allgemeinen, ohne Weiteres, seit Langem. Diese Reform soll das Schreibenlernen dadurch erleichtern, daß die ansonsten zur Identifizierung eines substantivischen Gebrauchs maßgeblichen Kriterien nun mehr auch in weiteren Fällen eine Großschreibung auslösen sollen. Dies soll im Zusammenhang mit der Artikelprobe zu einer Vereinfachung der Groß- Kleinschreibung führen.

Es ist fraglich ob dieses Mittel den Erfolg bringen wird, den hypothetisch unterstellt.

Zu bemängeln ist, daß diese Frage nicht empirischen untersucht wurde um eine verläßliche Basis zu schaffen.

So muß das Mittel der Reformierung der deutschen Rechtschreibung grundsätzlich für geeignet gehalten den Schülern, die gerade schreiben lernen, das Erlernen der Rechtschreibregeln zu erleichtern.

Im Bezug auf Personen, welche die alten Rechtschreibregeln schon verinnerlicht haben, stellt die Orthographiereform keine Erleichterung dar.

Folglich ist das Mittel der Rechtschreibreform, im Bezug auf das Erlernen der Orthographie, förderlich.

 

 

ccc) Erforderlichkeit

Das Mittel ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber zur Erfüllung des Zwecks kein anderes, milderes Mittel hätte wählen können.

Denkbar wäre als milderes Mittel, daß für einen Begriff unterschiedliche Schreibweisen zulässig und die Regeln liberalisiert werden, welche zu häufigen Fehlern führen.

Gegen diese Liberalisierung könnte eingewandt werden, daß ein moderne, komunikationsorientierte Industriegesellschaft auf eine weitgehende Einheitlichkeit der Schreibung angewiesen ist.

Dieses Argument kann nicht überzeugen, denn eine Spaltung der modernen, kommunikationsorientierten Industriegesellschaft in Vertreter der alten Rechtschreibung und Verfechter der neuen ist der Kommunikation nicht sehr dienlich.

Im Übrigen spricht auch der eingeplante Übergangszeitraum von alter zur neue Rechtschreibung, der sieben Jahre betragen soll, nicht für die Einheitlichkeit sondern für Rechtschreibungsunsicherheit.

 

Also ist die Reform nicht erforderlich.

 

IV. Zwischenergebnis

V, M und T sind in ihrem Grundrecht aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I verletzt.

B. Verletzung der M und V in ihren Rechten aus Art. 6 II

V und M sind in ihren Elternrechten aus Art. 6 II verletzt, wenn in den Schutzbereich eingegriffen wird und der Eingriff nicht verfassungsmäßig gerechtfertigt ist.

 

I. Schutzbereich des Art. 6 II 1

1. Persönlicher Schutzbereich

V und M können sich, wenn sie Träger des elterlichen

Erziehungsrechtes sind, auf Art.6 II 1 berufen.

Nach Angaben des Sachverhaltes sind V und M die Eltern der T und somit Träger des elterlichen Erziehungsrechtes.

2. Sachlicher Schutzbereich

Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 garantiert den Eltern gegenüber dem Staat den Vorrang als Erziehungsträger.

Hieraus ergibt sich der Grundsatz der Familienautonomie und Elternverantwortung i. S. einer Schutz- und Erziehungsgemeinschaft.

Das Elternrecht ist kein Herrschaftsrecht gegenüber den Kindern, sondern umfaßt vielmehr die Beziehung zwischen Eltern und Kindern

i. S. einer umfassenden Personensorge für das persönliche, körperliche und psychische Wohl sowie für die seelisch- geistige Entwicklung.

Indem Art. 6 II 1 zuvörderst die Rolle der Eltern erwähnt, wird nicht nur deren primäre Verantwortung für das Kind herausgehoben , sondern gleichzeitig darauf hingewiesen, daß der Staat im Rahmen eines Bildungsauftrages aus Art. 7 I hat.

Der staatliche Schulauftrag beschränkt die elterlichen Erziehungsrechte aus Art. 6 II 1.

Bei der Unterrichtsgestaltung können die unterschiedlichen Elternwüsche nicht berücksichtigt werden.

Folglich stehen die Elternrechte aus Art. 6 II 1 in einem Spannungsverhältnis zu den Bildungsauftrag des Staates aus Art. 7 I.

 

Also ist zu prüfen, ob die Unterrichtung nach der neuen Orthographie in den Aufgabenbereich des Staates oder in den der Eltern fällt.

 

Dazu werden unterschiedliche Meinungen vertreten.

 

a) 1. Meinung

Diese Meinung ist der Ansicht, daß es sich bei der Reform um ein behutsame Änderung der Schriftweise, die keine neues Bildungsziel darstellt, handelt.

Somit wäre die Reform mit einer konkreten Ausgestaltung des Unterrichts vergleichbar, und falle in den Bereich des Bildungsauftrages der Schulen.

 

b) 2. Meinung

Dem ist mit der 2. Meinung entgegenzuhalten, daß die Schriftsprache in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrecht fällt (s.o.). Sie gestaltet bei der Kommunikation in der in Gesellschaft und Privatleben die Persönlichkeit jedes Menschen.

Folglich ist Schriftsprache eine Entscheidender Aspekt in der Erziehung der Kinder.

Somit handelt es sich nicht um eine konkrete Ausgestaltung des Unterrichts, sonder um ein entscheidendes Bildungsziel (s.o.).

Also müßten die Eltern zumindest ein Mitbestimmungsrecht im Bezug auf die Reform haben.

Dieser Auffassung ist zu folgen.

II. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 II

Die Unterrichtung der neuen Orthographie könnte in die Elternrechte der V und M eingreifen.

Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrecht fällt, unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt. Die Wirkung muß von einem ursächlichen und zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgehen.

Durch die anhaltende Unterrichtung der neuen Regeln macht es der Staat den Eltern unmöglich sich an der Erziehung in diesem Bereich zu beteiligen.

Folglich wird in die Recht der V und M aus Art. 6 II eingegriffen.

 

III. Rechtfertigung des Eingriffs

Fraglich ist ob der Eingriff in die Elternrecht gerechtfertigt ist.

 

Wie unter 1. Teil A 1. a) bb) bbb) geprüft ist die Verwaltungsvorschrift des Kultusministers NW verfassungswidrig.

 

Also kann der Eingriff nicht gerechtfertigt werden.

 

 

Folglich sind V und M in ihren Grundrechten aus Art. 6 II 1 verletzt.

 

 

C. Ergebnis

V und M sind in ihrem Recht aus Art. 6 II 1und in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I verletzt.

 

T ist in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht

aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I verletzt.

 

 

 

 

 

 

 

2. Teil

Die Verfassungsbeschwerde der V und M und ihrer Tochter T hat Erfolgsaussichten wenn sie zulässig ist.

 

A. Zulässigkeit

Die Zulässigkeit richtet sich nach Art. 93 Nr. 4a, §§ 13 Nr. 8a, 22, 23, 90 ff. BVerfGG.

 

I. Antragsberechtigung

V, M und T müßten antragsberechtigt sein.

Gemäß § 90 I BVerfGG ist "jedermann" antragsberechtigt.

Jedermann ist zunächst jede natürliche Person, die fähig ist, Träger von Grundrechten zu sein.

V und M berufen sich auf Art. 6 II, Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG. T auf Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I.

Sie sind natürliche Personen und Träger dieser Grundrechte.

Also sind V, M und T antragsberechtigt.

 

II. Prozeßfähigkeit

Weiterhin müssen V, M und T prozeßfähig sein.

 

1. Prozeßfähigkeit der T

Prozeßfähig ist, wer seine Recht persönlich prozessual geltend machen kann .

Fraglich ist, ob die gemäß §§ 2, 106 BGB minderjährige T prozeßfähig ist, oder ob ihre Eltern gemäß §§ 1626, 1629 BGB für sie Prozeßhandlungen vornehmen müssen.

Überwiegend wird vertreten, daß Grundrechtsmündigkeit Voraussetzung für die Prozeßfähigkeit ist.

Als Grundrechtsmündig wird angesehen, wer nach der Rechtsordnung als reif angesehen werden kann, im Bereich grundrechtlich thematisierter Freiheit, Entscheidungen zu treffen oder Pflichten zu übernehmen. Danach beginnt die Grundrechtsmündigkeit grundsätzlich mit der Volljährigkeit.

Ausnahmen werden bei Bestehen eines Gesetzes, das dem Minderjährigen für spezielle Grundrechte die Grundrechtsmündigkeit zuspricht, gemacht.

Hier besteht kein spezielles Gesetz, daß der T Prozeßfähigkeit gewährt.

Nach dieser Auffassung ist T nicht prozeßfähig und muß von ihren Eltern gemäß §§ 1626, 1629 BGB vertreten werden.

 

 

2. Prozeßfähigkeit von M und V

Mangels entgegenstehender Anhaltspunkten ist die Prozeßfähigkeit von V und M zu unterstellen.

 

III. Beschwerdegegenstand

Weiterhin muß, gemäß Art. 93 Nr. 4a, der Beschwerdegegenstand ein Akt der öffentlichen Gewalt sein.

Öffentliche Gewalt meint alle Staatsgewalt, sowohl die Exekutive, die Judikative als auch die Legislative.

Fraglich ist ob der Erlaß des Kultusministers NW vom 2. 7. 1996 tauglicher Beschwerdegegenstand sein kann.

Verwaltungsrichtlinien, Erlasse und Verfügungen können mangels eigener Rechtswirkung nicht Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein.

Folglich können sich M, V und S nicht im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gegen den Runderlaß des Kultusministers NW wenden.

In Frage kommt hier die in allen Instanzen abgewiesene einstweilige Anordnung im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren als Akt der Judikative.

Die Weigerung der Schule in Abstimmung mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung, nicht nach der neuen Rechtschreibreform zu unterrichten, kann als Akt der Exekutive möglicher Beschwerdegegenstand sein.

Der Beschwerdeführer hat die Wahl ob er sich gegen einen, einzelne, oder alle Akte der öffentlichen Gewalt wendet

Folglich liegt ein zulässiger Beschwerdegegenstand vor.

 

 

IV. Beschwerdebefugnis

Auch müssen M, V und T gemäß Art. 93 Nr. 4a, § 90 I BVerfGG behaupten, durch die öffentliche Gewalt selbst, unmittelbar und gegenwärtig in ihren Grundrechten verletzt zu sein.

 

1. Mögliche Grundrechtsverletzung

Dabei reicht eine bloße Behauptung einer Rechtsverletzung nicht aus, es muß nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Tatsachenvortrag ergeben, der eine Grundrechtsverletzung möglich erscheinen läßt. Über den Wortlaut des § 90 I BVerfGG muß die Behauptung ausreichend substantiert sein.

Durch die Einführung der neue Rechtschreibung wird T dazu gezwungen die schon verinnerlichten alte Rechtschreibung zu vergessen und die neue zu erlernen. Dies könnte eine mögliche Verletzung ihrer aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I darstellen.

M und V müßten die neue Rechtschreibung erlernen, wenn sie als Erziehende ihrer Tochter in schulischen Angelegenheiten weiterhelfen wollen. Das würde sie zum Erlernen der neuen Rechtschreibregeln zwingen. Folglich scheint eine Grundrechtsverletzung in ihren Rechten aus Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I und Art. 6 II nicht ausgeschlossen.

 

2. Selbstbetroffenheit

Der Beschwerdeführer ist selbstbetroffen, wenn er Adressat des Akts der öffentlichen Gewalt ist.

Die Ablehnung der Schule sowie die Ablehnung der einstweiligen Anordnung richten sich an T und ihre Erziehungsberechtigten V und M als Adressaten.

Somit liegt Selbstbetroffenheit vor.

 

3. Unmittelbare Betroffenheit

Eine unmittelbare Betroffenheit fehlt, wenn nicht der angegriffene Akt selbst, sondern erst ein notwendiger oder in der Verwaltungspraxis üblicher Vollzugsakt in Grundrechte des Beschwerdeführers eingreift.

Es ist kein Vollzugsakt ersichtlich der zwischen dem staatlichen Handeln und der möglichen Grundrechtsverletzung der Beschwerdeführer steht.

Folglich sind V, M und T unmittelbar betroffen.

 

4. Gegenwärtige Betroffenheit

Gegenwärtig ist betroffen, wer schon oder noch betroffen ist. Der Beschwerdeführer darf nicht bloß "virtuell" in der Zukunft oder lediglich in der Vergangenheit betroffen sein.

T werden in der Schule die neuen Rechtschreibregeln beigebracht. Folglich sind V, M und T schon und noch betroffen.

 

V. Rechtswegserschöpfung

V, M und T müßten gemäß § 90 II S.1 BVerfGG i. V. m. Art. 94 II GG den Rechtsweg erschöpft haben.

Der Begriff des Rechtsweges ist weit zu verstehen. Er stellt die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit dar, ein Gericht anzurufen.

Der Rechtsweg ist erschöpft, wenn der Beschwerdeführer alle prozessualen Möglichkeiten zur Beseitigung der behaupteten Grundrechtsverletzung in Anspruch genommen hat.

Wenn zwar das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, aber nicht das Hauptsachenverfahren durchgeführt ist, kann der Rechtsweg schon erschöpft sein.

Wenn der Beschwerdeführer die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes rügt, hat er mit der letztinstanzlichen Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes den Rechtsweg erschöpft und kann Verfassungsbeschwerde erheben.

M, V und T rügen die letztinstanzliche Versagung der einstweiligen Anordnung.

Folglich haben sie den Rechtsweg erschöpft.

VI. Form

Von der Einhaltung der in § 23 I BVerfGG aufgeführten Formvorschriften ist auszugehen.

VII. Frist

Die Einhaltung der in § 93 I BVerfGG erwähnten Frist ist ebenfalls zu unterstellen.

VIII. Ergebnis

Die Verfassungsbeschwerde der V, M und T ist zulässig.