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Gliederung:

 

I. Einleitung

II. Leben und Werk Kants

III. Der gute Wille als Pflicht zur Pflichterfüllung

IV. Das Privatrecht und das öffentliche Recht

V. Die republikanische Verfassung

VI. Der Weltstaat oder "Zum ewigen Frieden"

VII. Quellennachweis

 

I. Einleitung

Kants Philosophie zeigte bereits zu seinen Lebzeiten Wirkung. Das Gedankengut seiner Werke hielt seitdem in das Denken und Handel der Menschen Einzug und reicht bis in die heutige Epoche. Unter diesem Einfluß verschrieb sich das Abendland mehr und mehr der Erkenntnisfähigkeit durch die Vernunft. Das brachte auch und vor allem in den Moral-, Staats-, und Religionsfragen neue Perspektiven. "Diese Aufklärung ist getragen von dem Freiheitswillen im Denken und in der Politik. ... Kant ist ein Überwinder der Aufklärung zugunsten eines unabschließbaren Prozesses des in der Umwendung eigentlich zu sich selbst kommenden Menschen" (Jaspers 1992, 611f).

Das heißt, der Mensch ist durch den Gebrauch seines Verstandes für seine Entwicklung selbst Verantwortlich. Das heißt aber auch, daß er als ein soziales Wesen gleichermaßen für die Allgemeinheit Sorge trägt, in die er unausweichlich eingebunden ist. Die Sozietät ist Grundlage und Bezugspunkt jedes handelnden Individuums.

Die Konsequenz, um ein gegenseitiges Miteinander zu ermöglichen: Es müssen Regeln gefunden werden, die für alle Menschen allgemeine Gültigkeit haben. Die Substanz dafür liefert Kants Moralphilosophie mit den "fünf Formeln" (Ludwig 1995b, 66) des kategorischen Imperativs. Dieses Sittengesetz wiederum ist Grundlage der gesamten Rechtslehre, die sich aus Privat-, Staats und Völkerrecht zusammensetzt.

Politisch sind die Ideen der Gedankengebäude Kants von großer Bedeutung. Sie suchen nach Grundlagen allgemeingültiger Maßstäbe für das menschliche Verhalten untereinander. Auf dieser Grundlage basiert jede Politik, die sich dabei auf gegenwartsbezogene Probleme bezieht und zukunftsorientierte Lösungen anstrebt. Eine allgemeine Definition von Politik lautet deshalb auch: "Politik ist jenes menschliche Handeln, das auf die Herstellung allgemeiner Verbindlichkeiten, v.a. von allgemein verbindlichen Regelungen und Entscheidungen, in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt" (Patzelt 1992, 14).

Die hier vorliegende Arbeit stellt den Zusammenhang zwischen Moral- und Rechtsphilosophie Kants, also die politisch relevanten Maßstäbe menschlichen Verhaltens, in groben Zügen dar.

Kants Gedanken sind nicht kritiklos geblieben und wurden auch im Idealismus und Neukantianismus, im Dienste einer anderen Lebensauffassung, mißverstanden. (Jaspers 1992, 615) Das ist nicht Thema dieser Arbeit, soll aber zumindest mit diesem Satz nebenbei angedeutet sein.

 

II. Leben und Werk Kants

Immanuel Kant (1724-1804) entstammt einer Handwerkerfamilie aus Königsberg. Dort studierte er von 1740 bis 1746 Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften. 1755-69 war er Privatdozent (vorkritische Periode der Kantschen Philosophie). In dieser Zeit erhält Kant wichtige Impulse aus dem Studium von Humes empiristischer Kritik des traditionellen Ursachenbegriffs (lat. causa) und Leibniz' eigenen Schriften (im Gegensatz zu deren Deutung durch Wolff und Baumgarten). Ab 1770 lehrt er als ordentlicher Professor der Logik und Methaphysik mit großem Lehrerfolg in Königsberg.

Nach kleineren Abhandlungen über physikalische, metaphysische und politische Themen veröffentlicht Kant 1781 sein erstes Hauptwerk, die "Kritik der reinen Vernunft". Darin untersucht er das Vernunftvermögen hinsichtlich seines Erkenntnisvermögens unabhängig (a priori) von aller Erfahrung.

Auf dem Gebiet der Ethik soll der Gebrauch der Vernunft uneingeschränkt maßgebend sein. Nach Kant entspringen die moralischen Prinzipien, die den Menschen in seinen Handlungen leiten, allein dem reinen Denken. Daraus folgt keineswegs, moralische Einsicht sei der Philosophie vorbehalten. Vielmehr weiß jeder normale Mensch, so behauptet Kant, was richtig und was falsch ist. Eine Moralphilosophie, die erbauliche, belehrende Zwecke verfolgt, wäre schlechte Philosophie. Ihre Aufgabe besteht ausschließlich in der theoretischen Erklärung des tatsächlichen moralischen Denkens und Handelns.

Mit der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" (1785) und der "Kritik der praktischen Vernunft" (1788) wendet sich Kant genau dieser Aufgabe zu. In seiner Altersschrift "Die Metaphysik der Sitten" (1797) behandelt er konkrete moralische sowie rechts- und staatsphilosophische Fragen. In den Überlegungen zur Rechts- und Staatsphilosophie legt er seine Moralphilosophie zugrunde.

Die traditionelle Moralphilosophie, so Kant, begeht zumeist den Fehler, die Moral auf Bedürfnisse, Wünsche oder Neigungen gründen zu wollen. Von Moral kann aber nur die Rede sein, wenn sie allgemeinen Gesetzen folgt, deren Basis die reine Vernunft sein muß.

Eine Handlung besitzt nach Kant nur moralischen Wert, wenn sie aus Pflicht geschieht. Diese Behauptung kann mißverstanden werden. Es geht hier nicht um Unterdrückung von Neigungen wie Mitgefühl, Zuneigung oder Liebe zugunsten eines gefühlskalten Pflichtbewußtseins, sondern darum, auch dann zur Durchführung moralischer Handlungen motiviert zu sein, wenn es keine entsprechenden Neigungen gibt. Jede moralische Handlung soll auf der Grundlage einer bewußten Absicht geschehen, einer Maxime. Die Maxime bindet Kant an den kategorischen Imperativ und entwickelt auf dieser Grundlage das Privatrecht, das Staats- und das Völkerrecht.

 

III. Der gute Wille als Pflicht zur Pflichterfüllung

Die Natur unterliegt Naturgesetzen. Sie kann selbst und ohne die für sie unumgänglichen Naturgesetze nicht handeln. Auch der bloße Leib des Menschen unterliegt diesen Naturgesetzmäßigkeiten. Doch im Gegensatz dazu besitzt er auch einen naturgesetzunabhängigen, freien Willen. "Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei" (Kant 1986, 116). Damit ist ihm gegeben, was die Natur nicht besitzt, nämlich nach Richtlinien seines freien Willens im Handeln zu wählen. Doch diese Freiheit ist deshalb nicht gesetzlos, sie muß eine "Kausalität nach unwandelbaren Gesetzen, aber von besonderer Art sein" (Kant 1986, 103). Sonst, so Kant, wäre ein freier Wille ein Unding.

Der Wert einer Handlung, die aus dem freien Willen des Menschen hervorgeht, darf deshalb nicht nur nach ihrem Zweck beurteilt werden. Sie unterliegt dem "Prinzip der obersten Moralität": dem guten Willen.

Kant zufolge ist ein Wille nur dann gut, wenn er frei von empirischer Zufälligkeit ist und aus Pflicht die Pflichterfüllung will. Das ist der Fall, wenn allein die Vernunft sein Bestimmungsgrund ist. Denn ausschließlich die vernunftgemäße Beschaffenheit des Willens kennzeichnet die sittliche Qualität einer Handlung. Das vernunftgeleitete Handeln ist eine Pflicht aus Achtung vor dem Gesetz, das Gesetz folglich ein Pflichtgesetz der Vernunft. Kants Begriff der Pflicht ist kein empirischer, er ist "in der Idee einer den Willen durch Gründe a priori bestimmenden Vernunft" (Kant 1986, 49/50).

Der Willensbegriff bei Kant nähert sich in mancher Hinsicht wieder dem des klassisch griechischen, wenn er ihn als das durch Vernunft bestimmte Begehrungsvermögen faßt. Mit Hilfe dieses Willensbegriffs bewerkstelligt Kant die Grundlegung seiner kritischen Ethik. Er zeigt in diesem Zusammenhang wie Vernunft, insbesondere reine Vernunft, praktisch sein kann. Wille und praktische Vernunft fallen nach diesen Überlegungen zusammen:

"Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, das ist nach Prinzipien, zu handeln, oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft" (Kant 1986, 56).

 

Vernunft soll das Prinzip der Willensbestimmung sein, durch die sich der Mensch eine autonome Selbstgesetzgebung schafft. Die allgemeine Gültigkeit der daraus hergeleiteten Moralgesetze ist folglich ein "Faktum der reinen Vernunft" und deshalb unabhängig vom Willen (den subjektiven Neigungen) des einzelnen Individuums. Der Wille des Einzelnen hat zwar das Vermögen, nach objektiven Vernunftgesetzen zu handeln, wird aber auch von seinen partikulären und subjektiven Neigungen (Bedürfnisse und Wünsche) beeinflußt.

Orientierte sich das Handeln an den Wünschen und Bedürfnissen des Individuums, könnte für den einen Menschen richtig sein, was für den anderen falsch ist. Eine allgemeingültige Moral wäre folglich ausgeschlossen. Das hieße nach Kant, die Moral selber ist eine Illusion. Sie muß demnach unabhängig von den menschlichen Wünschen und Neigungen sein. Aus diesem Grund ist das Sittengesetz Kants in Form eines kategorischen Imperativs angelegt. Dessen Handlungsgrundlage, so Kant, ist die praktische Vernunft als Bestimmungsgrund unseres Willens, wodurch alle Neigungen und sinnlichen Beweggründe eines Einzelnen zugunsten des Sittengesetzes zurückgedrängt werden.

Diese Überlegungen sind auf die Bestimmung dessen aus, was der Menschen soll. Dieses Sollen stellt sich in Form von Imperativen dar. Nach Kant gibt es einen hypothetischen und den kategorischen Imperativ.

Kategorisch (griech. kategorein, aussagen, behaupten) heißt soviel wie absolut, unbedingt, entschieden. In der klassischen Logik sind kategorische Urteile nichtzusammengesetzte Aussagen, die durch das Wort "sein" zwei Begriffe verbinden (z. B. "Alle Kugeln sind rund."). Ihnen stehen die zusammengesetzten Aussagen (z. B. hypothetische Aussagen des Typs "Wenn..., dann...") gegenüber.

Imperativ (lat. imperare, befehlen, gebieten) ist im Grunde eine grammatische Bezeichnung für den Modus des Verbs, der zum Formulieren von Befehlen, Aufforderungen usw. dient (Befehlsform), z. B. "Sprich!". Der Begriff wird philosophisch seit Kant als Bezeichnung für Aussagen verwendet, die Gebote oder Empfehlungen ausdrücken.

Ein hypothetischer Imperativ gebietet eine Handlung nur "bedingt", d. h. unter der Voraussetzung (Bedingung), daß eine bestimmte Absicht erreicht werden soll, z. B. "Wenn du mehr Wissen erlangen möchtest, dann mußt du mehr lernen".

Kants kategorischer Imperativ dagegen bringt das Gesetz formal und absolut zur Geltung, er gebietet eine Handlungsweise ohne jede Bedingung und lautet deshalb: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne" (Ludwig 1995, 92).

Maxime werden subjektive Grundsätze des Handelns genannt, die aus empirischen Interessen des Menschen hervorgehen. Sie bestimmen den Willen des Individuums und machen dessen moralischen Wert und somit auch den Wert der Handlung schlechthin aus. Sittlich gut sind Maxime erst, wenn sie dem formalen Kriterium des kategorischen Imperativs gerecht werden.

Der kategorische Imperativ ist zwangsläufig reflexiv angelegt. Er gilt in allen interpersonalen Verhältnissen als anzustrebendes Ziel. Demnach ist der "andere" in jeder Handlung, die "ich" durchführe, notwendig mitzudenken, quasi die Grundlage meiner Überlegungen und der darauf folgenden Handlungen. Eine weitere Form des kategorischen Imperativs lautet deshalb:

"Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst" (Kant 1984, 79).

 

Das heißt, jeder Mensch besitzt notwendig eine eigene Würde, die einem reinen Selbstzweck folgt und nicht Zweck anderer Willen sein darf. Diese Form von eigener Würde war zu Kants Zeit aus religiöser Sicht nicht unproblematisch. Denn in dem er die Würde des Menschen auf diese Weise begründet, negierte er die seinerzeit gottgegebene transzendentale Gesetzmäßigkeit und die daraus abgeleiteten Handlungsmaxime.

Das moralische Ideal besteht nach diesen Überlegungen Kants im Respekt vor dem Menschen und dessen Würde als Selbstzweck. Das folgt aus der Tatsache, daß der kategorische Imperativ nur im Zusammenhang mit Sozialisation zu denken ist. Ein Individuum kann und darf nicht isoliert gesehen werden. Denn jede Handlung des Menschen als soziales Wesen bezieht sich immer mittelbar oder unmittelbar auf das soziale Handeln anderer Menschen.

Kant verdeutlicht dies, in dem er vom kategorischen Imperativ als regulativer Idee im Reich der Zwecke spricht. Er denkt dabei an eine menschliche Gesellschaft, in der die Freiheit aller Menschen in gleichem Maß berücksichtigt wird. Jeder Bürger ist Untertan und souveräner Gesetzgeber in eins. Der Zweck des einzelnen Menschen an sich selbst ist bei dieser Form des Zusammenlebens als objektiv zu bezeichnen und hat seine Grenze grundsätzlich in der Freiheit des anderen.

Diese Grenze des Individuums an der Freiheit eines anderen Individuums läßt sich nicht absolut bestimmen. Sie ist vom zeitgeschichtlichen Zusammenhang abhängig und nimmt auf die faktischen Gegebenheiten einer Sozietät Bezug. Deshalb ist der kategorische Imperativ so angelegt, "daß er nicht die Materie der Handlung, sondern die Form der Handlung betrifft. Aus diesem Grund wird Kants Ethik auch zu Recht formale oder formalistische Ethik genannt" (Ludwig, 1995b, 66). Die Grenzen, die durch den kategorischen Imperativ gesetzt werden, sind demnach vom Kontext abhängige. Die Umstände selbst definieren diese Grenzen.

Konkreter gesprochen heißt das, die Grenze des eigenen freien Willens ist das Interesse und der freie Wille des "anderen". Kants Formulierung dazu lautet:

"Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich, ganz um dieser Verbindlichkeit willen, meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle, sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von anderen tätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist" (Hoerster 1992, 214).

 

Das gilt unabhängig von der Stellung des Menschen. Es ist einerlei, ob er das "Glied einer Kette" von Untertanen oder ein Oberhaupt einer Sozietät darstellt. Eine Feststellung, die politische Relevanz hat!

Politiker handeln stellvertretend für andere Menschen. Sie müssen deshalb alle Gesetze unter der Prämisse formulieren, daß sie von jedem anderen auch so beschlossen worden wären, wenn dieser die gesetzgebende Position inne gehabt hätte. Diese Gesetze sollen dann, auf der Grundlage des kategorischen Imperativs, für alle Angehörigen einer Gesellschaft, bzw. politischen Gemeinschaft ohne Einschränkungen Gültigkeit haben. Insbesondere soll damit die politische Willkür der Herrschenden eingeschränkt werden.

 

IV. Das Privatrecht und das öffentliche Recht

"Was ist Recht? Diese Frage möchte wohl den Rechtsgelehrten ... eben so in Verlegenheit setzen, als die berufene Aufforderung: Was ist Wahrheit? den Logiker" (Hoerster 1992, 212 f).

 

Die Rechtslehre Kants setzt sich aus dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht zusammen. Beides sind Abkömmlinge des Rechts der Freiheit, das allen Menschen von Natur aus zukommt. Das Privatrecht behandelt die Formen und Bedingungen des Rechtserwerbs im vorstaatlichen Zustand. Das öffentlichen Recht dagegen setzt sich mit dem Staatsrecht, dem Völkerrecht und dem Weltbürgerrecht auseinander.

Die Rechtslehre ist ein allgemeines Rechtsprinzip a priorischer Feststellung, was als Recht gelten soll. Diese Feststellungen sind unabhängig von der vorherrschenden Realität, es handelt sich um eine transzendentale Begründung des Rechts. Denn dem Menschen, so Kant, bleibt das Kriterium verborgen, nach dem sich sowohl Recht als auch Unrecht erkennen läßt, wenn er sich lediglich an der vorhandenen Wirklichkeit orientiert. Er muß wenigstens für eine Zeitlang alle empirischen Prinzipien verlassen, um in der Lage zu sein, für eine möglichst positive Gesetzgebung die Grundlagen zu errichten. "Eine bloß empirische Rechtslehre ist (wie der hölzerne Kopf in Phädrus’ Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur schade! daß er kein Gehirn hat." (Hoerster 1992, 213)

Der Rechtsbegriff klärt den verbindlichen Umgang von Menschen, bei dem es um gegenseitige Interessen (äußeres, zweckdienliches Verhalten) zweier Personen geht, deren Handlungen de facto aufeinander bezogen sind. Es geht nicht um die Bedürfniserfüllung ("Handlungen der Wohltätigkeit oder Hartherzigkeit") gegenüber dem Anderen, sondern um das Gebot den Selbstzweck des Menschen zu respektieren, ihn nicht für eigene Zwecke zu mißbrauchen. Meine Freiheit grenzt damit an der Freiheit des anderen. Diese Freiheit verpflichtet nicht zum Vorteil des anderen beizutragen, sondern es geht darum, ob "die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des anderen nach einem allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lassen."

Daraus leitet Kant das allgemeine Prinzip des Rechts ab und sagt: "»Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann«" (Hoerster 1992, 213).

Dem Recht wird Zwangscharakter zugesprochen! Die durch ein allgemeines, für alle gleiches Gesetz eingeschränkte Freiheit ist das Recht von jedermann. Ohne Recht wäre anarchistisches Verhalten vorprogrammiert. Die Einsicht, das sich Recht ohne Zwang nicht durchsetzen und aufrecht erhalten läßt, wird als notwendig vorausgesetzt. Der Zwang begründet sich aus dem Freiheitsbegriff, der alles Handeln an den kategorischen Imperativ, "Handle so, daß die Maxime deines Willens...", knüpft. Durch diesen Zwang soll verhindert werden, daß Unrecht und damit eine allgemeine Unfreiheit aufkommt.

"Nun ist alles, was Unrecht ist, ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen; der Zwang aber ist ein Hindernis oder Widerstand, der der Freiheit geschieht. Folglich: wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis nach allgemeinen Gesetzen (das ist unrecht) ist, so ist der Zwang der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, das ist recht: mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugnis, den, der ihm Abbruch tut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft" (Hoerster 1992, 214).

 

Kants Ethik ist damit eine Pflichtethik. Die Rechtspflicht des Menschen besteht in den folgenden Maximen: lebe nach den Rechtsgesetzen, tue niemandem Unrecht und schütze durch dein Verhalten das "Mein" und das "Dein".

Recht ist nach Kant in angeborenes und erworbenes zu unterscheiden. Ersteres ist dasjenige Recht, "...welches unabhängig von allem rechtlichen Akt, jedermann von Natur zukommt; das zweite das, wozu ein solcher Akt erforderlich wird. ... Das angeborene Recht ist nur ein einziges: Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), ...".(Hoerster 1992, 215)

Der Mensch ist mit seiner Geburt prinzipiell frei von der Willkür anderer Menschen. Das ist quasi die Konsequenz der Feststellung, daß der Mensch Zweck an sich selbst sei. Aus dieser Tatsache ergibt sich logisch ein angeborenes "Mein" in Abgrenzung zum "Dein".

Dieser Besitz der eigenen Person in Abgrenzung zu anderen Personen, über die ich ebensowenig verfügen darf wie diese über mich, ist Quelle des Eigentumbegriffs bei Kant. Auf diese Weise wird der natürlichen Besitz des eigenen freien Subjekts garantiert und zum Rechtssubjekt gemacht. Ein Rechtssubjekt definiert sich in Bezug auf seine Rechte somit immer in Bezug auf ein anderes Subjekt. Denn ein "Mein" ist nur sinnvoll zu denken, wenn von der Existenz eines "Dein" ausgegangen wird.

Ein weiteres angeborenes Rechts ist die Gleichheit. Sie gestattet jedem Menschen, sich eines zwanghaften Gemeinwesens zu entziehen, das ihm aufgenötigt werden soll. Kant schreibt dazu:

"Die angeborene Gleichheit, das ist die Unabhängigkeit, nicht zu mehrerem von anderen verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann; mithin die Qualität des Menschen, sein eigener Herr (sui iuris) zu sein, ..." (Hoerster 1992, 215).

 

Die Basis des Kantschen Rechtsbegriffs setzt sich somit aus Freiheit und Gleichheit der Person zusammen, aus dem der Eigentumsbegriff hergeleitet wird. Eigentum (hier nicht semantisch zu verstehen) ist in diesem Sinne angeboren. Ohne dieses Verständnis von Eigentum gäbe es laut Kant keinen Rechtsbegriff und folglich auch keine darauf aufbauende Gesellschaft.

Das heißt, dieses dargestellte Eigentumsverständnis, ist Privatrecht, das durch die Geburt gegeben ist. Infolgedessen handelt es sich um vorgesellschaftliches und vorstaatliches Recht. Da ein "Mein" nur in Abgrenzung zu einem "Dein" denkbar ist und dieses Eigentumsverständnis ein Geburtsrecht ist, existiert es noch vor jeder gesellschaftlichen Formierung. Allerdings ist es die Grundlage für ein, vom Staat organisiertes, öffentliches Recht.

Der angeborene Besitz der eigenen Person und seine Bemühungen sich am Leben zu erhalten, ist ein Teil des Gesamtbesitzes aller Menschen. Dieser Gesamtbesitz, davon geht Kant aus, war ursprünglich die Erde als Ganzes und zu gleichen Teilen gemeinsamer Besitz aller. Die vereinte Willkür aller, die das Recht auf die eigene Person und deren Erhalt ausmacht, kann infolgedessen als ein Gesamtbesitz gedacht werden.

Weil alle Menschen einem subjektiven Rechtsbegriff unterliegen, macht die Summe der Subjekte, als gedachte Besitzer jeweils gleicher Bodenanteile, die Erde als Ganzes aus. Dieser Gesamtbesitz, der zu gleichen Teilen der Einzelbesitz aller Individuen ist, wird als transzendentales Eigentumsverhältnis bezeichnet.

Dieses Besitzverständnis ist in der Realität so jedoch nicht vorzufinden. Kant erklärt das mit der gewaltsamen Aneignung von Land, weil es der Einzelne nicht nutzen kann. Und zum anderen, daß es Aneignung zu Gunsten eines Subjektes gibt, welches nicht wie der allgemeine Wille, sondern anders denkt und sich aus diesem anderen Selbst- und Weltverständnis Land aneignet (primäre Okkupation).

Gewalt und Eigentumbegriff hängen aus diesem Grund sehr eng miteinander zusammen, denn jeder muß Verfügungsgewalt über seinen Besitz oder sein Eigentum auch ausüben.

So wie das Rechtssubjekt, liegt auch das an das Rechtssubjekt gebundene Eigentum vor aller Staatlichkeit. Somit darf der Staat in diese Rechte auch nicht eingreifen. Wohl aber muß die Verfügung über Eigentum vom Staat rechtlich gefaßt werden. Zu diesem Zweck ist eine rechtliche Ordnung durch denselben notwendig. Diese staatlich gefaßten Rechte stellt alle Bürger unter eine gemeinsame Gesetzgebung. Aus der Notwendigkeit solcher gemeinsamen Gesetze ist die Erstellung einer Verfassung, die für alle gleichermaßen Gültigkeit besitzt, zwingend. Aus diesem Grunde ist Politik bei Kant in diesen Rechtsbegriffen zu denken! Er definiert Politik sehr stark in Recht um.

Dieses umdefinieren von Politik in Recht ist in den damaligen Verhältnissen zu suchen und wird vor dem geschichtlichen Hintergrund dieser Zeit erst deutlich und damit verständlicher: Monarchische Willkürherrschaft, die seinerzeit an der Tagesordnung stand, war für Kant nicht akzeptabel und mußte geändert werden. Sich auf Recht zu berufen war die einzig denkbare Möglichkeit, um einen Reformweg zu gehen, der Veränderungen herbeiführt. Denn das damalige Bürgertum war kein Gegengewicht zur Monarchie und hatte dadurch wenig Chancen, Reformen einzuleiten und durchzuführen. Aus diesem Grunde war der Bezug auf das Recht und die Darstellung der Verbindlichkeit für alle, auch des Herrschers, ein denkbarer Weg. Diese Absicht und deren Folgen für das Denken und Handeln der Menschen, hat Konsequenzen bis in die heutige Zeit. Die politische Kultur (das "kollektive Kulturgedächtnis" [Vorlesungszitat Bermbach]) in Deutschland beispielsweise ist stark vom Kantschen Rechtsbegriff geprägt.

 

Ein weiterer wichtiger Rechtsvorgang für Kant ist der Vertrag, er ist quasi das Resultat der Abgrenzung zwischen "Mein" und "Dein", durch welche die genannten vorstaatlichen Eigentumsverhältnisse geklärt werden. Demnach ist auch der Vertrag, wie das Rechtssubjekt und das daran gebundene Eigentum vorstaatlich. Diese Vorstaatlichkeit wird von Kant als Naturzustand bezeichnet. Er ist zwar ein vorstaatlicher, aber kein rechtloser Zustand. Es gibt lediglich keine zentrale Rechtsgewalt, dennoch sind diese Verhältnisse nicht als rechtlos zu denken. Der Zustand der vorstaatlichen Rechtssubjekte ist die Voraussetzung und die Basis einer Gesellschaft. Da ohne staatliche Regelung jeder Rechtserwerb unsicher bleiben muß, folgt für Kant die rechtlich-sittliche Pflicht eines äußeren Rechtszustandes, das heißt die Pflicht zur Staatsgründung. Jede bürgerliche Gesellschaft gründet sich auf einen Vertrag zwischen vorstaatlichen Rechtssubjekten, der in der Verfassung des Staates zum Ausdruck kommt.

 

V. Die republikanische Verfassung

"Unter allen Verträgen, wodurch eine Menge von Menschen sich zu einer Gesellschaft verbindet (pactum sociale), ist der Vertrag der Errichtung einer bürgerlichen Verfassung unter ihnen (pactum unionis civilis) von so eigentümlicher Art, daß, ob er zwar in Ansehung der Ausführung vieles mit jedem anderen (der ebensowohl auf irgendeinen beliebigen gemeinschaftlich zu befördernden Zweck gerichtet ist) gemein hat, er sich doch im Prinzip seiner Stiftung (constitutionis civilis) von allen anderen wesentlich unterscheidet" (Hoerster 1992, 215).

 

In allen Gesellschaftverträgen ist die Verbindung vieler zu irgendeinem Zweck zu finden. Im Unterschied dazu ist eine Verfassung eine Verbindung, die dem Zweck des Menschen an sich selbst entspringt, der allen Menschen unter dieser Verfassung garantiert ist. Die selbstzweckorientierte Würde jedes einzelnen wird somit zur Grundlage der Verfassung gemacht und damit zur Prämisse im wechselseitigen Einfluß von Menschen, deren Einhaltung zur unbedingten und ersten Pflicht erhoben ist. Folglich müssen auch alle Rechtssubjekte, die den Verfassungsvertrag miteinander eingehen, an dessen Entstehung und Absegnung beteiligt werden. Diese Verhältnisse sind nur in einer Gesellschaft anzutreffen, die sich in einem bürgerlichen Zustand befindet.

Den öffentlichen Zwangsgesetzen, "durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes anderen Eingriff gesichert werden kann...", ist jeder Bürger zum Gehorsam verpflichtet, denn diese sind aus dem vereinten Willen aller abgeleitet.

"Da nun jede Einschränkung der Freiheit durch die Willkür eines anderen Zwang heißt: so folgt, daß die bürgerliche Verfassung ein Verhältnis freier Menschen ist, die (unbeschadet ihrer Freiheit im Ganzen ihrer Verbindung mit anderen) doch unter Zwangsgesetzen stehen: weil die Vernunft es selbst so will, und zwar die reine a priori gesetzgebende Vernunft, die auf keinen empirischen Zweck (dergleichen alle unter dem allgemeinen Namen Glückseligkeit begriffen werden) Rücksicht nimmt; ..." (Hoerster 1992, 216)

 

Für den Gesetzgeber bedeutet dies, daß er die Gesetze so gestalten muß, als seien diese dem vereinten Willen des gesamten Volkes entsprungen. Diese Forderung gilt für Kant als "Probierstein der Rechtmäßigkeit" dieser Gesetze.

Der rechtliche Zustand einer bürgerlichen Gesellschaft gründet sich a priori auf die folgenden Prinzipien:

(a) auf die Freiheit jedes Gliedes der Sozietät, als Mensch;

(b) auf die Gleichheit aller Menschen als Untertan vor dem Gesetz und

(c) auf die Selbständigkeit jedes Gliedes der Sozietät als Bürger.

Der formulierte Freiheitsbegriff erlaubt keine (gesetzgebende) Regierung eines bürgerlichen Staates, die sich nicht auch selbst an dieses Recht bindet. Kant weiß zwar, daß diese Forderung in der Realität oft nicht vorzufinden ist, lehnt diese Form der Regierung aber dennoch ab.

An dieser Stelle sei die allgemeine Bemerkung erlaubt, daß Kant die Radikalität seiner theoretischen Schriften oft an der Wirklichkeit relativierte, sie folglich nicht so streng nahm und gelegentlich auch Ausnahmen machte. Beispielsweise führt Kant aus diesem Grunde den Begriff der Selbständigkeit ein. Damit bezeichnet er jene Menschen seiner Zeit, die durch ihre freiberufliche Tätigkeit (Selbständigkeit) tatsächlich im Besitz persönlicher Freiheit sind. Damit unterscheidet er die gedankliche (theoretische) Freiheit eines jeden Menschen von der physischen (tatsächlichen) Freiheit derer, die sich Unabhängigkeit durch "Selbständigkeit" geschaffen haben. Durch diese Unterscheidung versucht Kant die Theorie der Praxis anzunähern, begeht dadurch aber einen Bruch in seiner Freiheits- und Vernunftsargumentation. Der Selbständigkeitsbegriff bricht gleichsam in den Vernunftsrechtsbegriff ein.

Gesellschaft bedeutet bei Kant ein vereinheitlichtes Regelsystem, das für alle Verbindlichkeit hat. Ein Staat ist dementsprechend die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetze, die den Rechtsstaat entstehen läßt. Wie Montesquieu (1689-1755) unterscheidet Kant eine Teilung der Gewalten im Staate in eine gesetzgebende, eine ausübende und eine urteilende. Diese drei Gewalten machen jeden Staat aus. Ein Staat der sie nicht hat oder nicht nutzt ist kein Staat.

Die (gesetzgebende) Herrschaftsgewalt kommt nur dem vereinigten Willen aller (des Volkes) zu. Recht und Gesetz ist ergo gleichzusetzen mit dem vereinigten Willen aller. Wenn das Gesetz von allen ausgeht, so kann es dem Einzelnen auch kein Unrecht zufügen. Weil sich der Einzelne selbst kein Unrecht zufügt und das Gesetz Ausdruck jedes Einzelnen ist, ist das Gesetz untadelig.

Als Regulativ ist das Recht deshalb tadellos und nicht zu kritisieren. Folglich gibt es auch kein Widerstandsrecht, denn das würde die Rechtsprechung ad absurdum führen. Wenn Recht und Gesetz vom vereinigten Willen aller, und damit auch von jedem einzelnen ausgeht, würde sich der Widerstand gegen dieses von jedem einzelnen gewollte Recht richten.

Die vollziehende Gewalt im Staat setzt lediglich die Weisung der Herrschergewalt durch weshalb sich dieser nicht zu widersetzen ist. Daraus folgt, daß der oberste Richter, als rechtsprechende Gewalt unantastbar ist, sein Rechtsspruch ist unabänderlich. Zwar kann und soll der Richterspruch diskutiert werden, auch ein Revisionsantrag ist möglich, aber bis ein eventueller Widerruf erfolgt oder ein neues Gesetz verabschiedet wurde, ist das ausgesprochene Recht verbindlich.

Kant versucht die drei Staatsgewalten in ein Staatsrechtsverhältnis zu setzen. Dabei ist es für ihn unerheblich, ob die Staatsform die einer Autokratie, Aristokratie oder Demokratie ist. Wesentlicher ist der Vertrag zwischen den Rechtssubjekten und die Art, wie regiert wird. Maßgebend ist demnach die konstituierte Verfassung. Handelt es sich um eine Verfassung auf der Grundlage des Kategorischen Imperativs, dann handelt es sich um einen "republikanischen Staat". Sind die Bedingungen einer Republik erfüllten, ist es gleichgültig, ob einer, mehrere oder alle regieren. Durch das Fundament des Kategorischen Imperativs und die Verbindlichkeit der Gesetze für alle, soll Tyrannei, Diktatur und Willkür ausgeschlossen werden.

Alle Republiken haben Repräsentanten. "Repräsentation" bezeichnet die treuhänderische Vertretung eines ursprünglichen Eigentümers von politischer Gewalt oder wirtschaftlichen Besitzes. Die Repräsentationstheorie besagt, daß zwischen Repräsentanten und Repräsentierten kein Interessenunterschied besteht. Es wird unterstellt, daß die Person des Repräsentanten gleichzeitig die der zu repräsentierenden ist (Identitätsfiktion). Ein Staatsoberhaupt beispielsweise vertritt in diesem Sinne durch seine Person das gesamte Volk, er vertritt nicht den Souverän, er ist der Souverän selbst.

Das es einen repräsentierten einheitlichen Willen aller gibt, ist auf dem europäischen Kontinent zum ersten Mal bei Rousseau (1712-1778) zu finden. Der jedoch lehnt einen einzelnen Repräsentanten mit der Begründung ab, daß sich das Volk nur als Ganzes selbst repräsentieren könne.

Auch die französische Revolution, von der Kant sehr beeindruckt war, beschäftigte ihn rechtsphilosophisch. Er bescheinigte auch einer Verfassung Gültigkeit und verweist auf die Gehorsamspflicht aller Untertanen, wenn sie, wie in Frankreich, die Folge einer Revolution ist. Zwar sind die Folgen eines Umsturzes diskutabel, nicht aber die aus ihm hervorgegangene Verfassung.

Diese Auffassung darf nicht als Verherrlichung von Absolutismus verstanden werden. Denn auch die Verfassung einer Revolution ist der vereinigte Wille aller, der für alle verbindlich ist. Anderenfalls droht in solch einer Situation die Gefahr der Rechtlosigkeit und Anarchie.

Nach Kants Rechtsverständnis darf aber über einen Herrscher, den Souverän des Staates, nicht gerichtet werden. Das gilt auch im Falle einer gewaltsamen Absetzung durch das Volk, wie in der französischen Revolution geschehen. Dem Souverän gegenüber besteht Gehorsamspflicht, weil in ihm (seiner Person) der vereinigte Wille aller zum Ausdruck kommt, andernfalls wäre er nicht der oberste Souverän.

Die Repräsentationsforschung sagt dazu, daß Könige niemals sterben, da sie über einen "Amtskörper" und einen physischen Körper verfügen. Der "Amtskörper" tritt zwar (fast) ununterscheidbar beim lebenden König gemeinsam mit seinem physischen Körper auf, beginnt aber ein "Eigenleben" im Augenblick des physischen Todes eines Königs, um sodann wieder mit dem Körper des Nachfolgers zu verschmelzen. So wird ein rechtsfreier Raum ausgeschlossen. Die Verfassung bleibt bestehen oder wird unmittelbar von einer neu konstituierten abgelöst.

Nach Kantschem Verständnis von Recht kann der oberste Repräsentant (Souverän) kein Unrecht begehen, da er selbst an die Gesetze gebunden ist, die er vertritt. Das Verbot eines Widerstandsrechts dem Souverän gegenüber bleibt immer aufrechterhalten, auch im Revolutionsfall. Widerstand ist zwar erlaubt, aber als ein Recht auf Widerstand nicht! Ein Widerstandsrecht würde ein Aufheben aller Rechte (der Verfassung) bedeuten und somit einen vorstaatlichen Zustand herbeiführen.

Widerstand schließt Kant nicht aus, er ist ein empirisches Faktum. Doch ein Widerstandsrecht ist logisch unsinnig, da die Gesetze der Vernunft entspringen und so gestaltet sind, daß sie jeder Bürger an der Stelle des Gesetzgebers so formuliert und verabschiedet hätte.

Aus diesen Überlegungen schließt Kant, daß ein Staatsoberhaupt nicht verurteilt werden kann (wie im Falle Ludwig XVI. geschehen, der am 21.1.1793 hingerichtet wurde). Das würde bedeuten, daß die der Vernunft entsprungenen Gesetze aufgehoben und in ihr Gegenteil verwandelt würden. Diese Überlegung fügt sich logisch in das Gedankengebäude Kants, kann aber moralisch durchaus bedenklich sein. Im Zweifelsfalle kann solch eine Situation dazu führen, daß zwischen Recht und Unrecht nicht mehr unterschieden werden kann (Legalität und Legitimität fallen dann auseinander).

Ein Königsmord ( sozusagen im Eifer des Gefechts einer Revolution) ist zwar ein Gesetzesverstoß, aber Recht und Gesetz wären dadurch nicht außer Kraft gesetzt, wie durch eine offizielle Hinrichtung zum Beispiel.

 

Kant stellt sich unter einem bürgerlichen Staat eine Gesellschaft vor, die sich permanent selbst reguliert, aufklärt und stabilisiert, quasi einer ständigen Selbstreform unterliegt. Das geschieht unter geltenden Rechtsbegriffen, die selbst diesem Erneuerungs- und Wandlungsprozeßes unterliegen und somit einen ungerechten Staat unmöglich und damit Widerstand gegen den Staat unnötig macht.

 

In diesem Staat soll es vier Fakultäten geben:

Obere Fakultäten:

 

1.Theologie:................................ Þ liefert die gesellschaftlichen Normen

2.Rechtswissenschaft:................. Þ ist für die Rechtsprechung verantwortlich

3.Medizin:................................... Þ steht für die Gesunderhaltung des Volkes

 

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Untere Fakultät:

 

4.Philosophie:...........................soll die praktischen Konsequenzen der drei oberen Fakultäten beurteilen und kritisieren, sie ist auf Wahrheit angelegt.

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Sie übt zwar eine Kontrollfunktion aus,

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hat aber keine (!) Interventionsfunktion.

ß

Nur deshalb kann die Regierung mit

einer Totalkritik einverstanden sein.

ß

Änderuns- und Interventionsrecht ist nur der

Regierung selbst vorbehalten.

 

 

Dieser Prozeß soll letztlich zur Aufhebung der Rechte von Kirche und Adel, zur Inakzeptanz von Geburtsprivilegien und zur Aufhebung der Leibeigenschaft führen.

 

VI. Der Weltstaat oder "Zum ewigen Frieden"

Vom Staatsrecht geht Kant zum Völkerrecht über. Er sagt, daß sich Staaten untereinander von Natur aus in einem nicht-rechlichen Zustand befinden. Daraus folgt: Es gilt das Recht des Stärkeren. Auch wenn es dadurch nicht zu unmittelbarer kriegerischer Handlung kommt, ist dieser Zustand für Kant im höchsten Grade unrecht. Auf Grund dessen ist ein Vertrag nach Art eines "ursprünglich gesellschaftlichen Vertrages" notwendig. Die Verbindung der Staaten soll aber keine souveräne Gewalt enthalten, sondern eine "Genossenschaft" (Föderation) sein. Die Nichteinmischung in innere "Mißhelligkeiten" der Staaten untereinander bleibt garantiert, doch der Schutz vor äußeren Angriffen ist erlaubt.

Kant lehnt die kriegerische Auseinandersetzung zwar ab, sagt aber, das Recht auf Verteidigung sei erlaubt. In einem Kriegsfall bleibt der Staat als solcher bestehen. Analog zum Subjekt stellt er einen Selbstzweck dar, der den vereinten Willen seiner Staatsbürger (Rechtssubjekte), in Form von Recht und Gesetz, darstellt. Alle Rechte in einem Krieg führenden Staat bleiben folglich erhalten.

Das Recht des Staates gegen einen ungerechten Staat hat keine Grenzen. Denn der Kriegszustand ist kein Rechtszustand, er stellt den Naturzustand zwischen den kriegführenden Staaten her.

Der eigentliche Rechtszustand zwischen zwei Staaten ist der Frieden, weil nur im Frieden Gerechtigkeit herrschen kann.

Ein auf Kants Rechtsbegriff ruhender, permanenter Rechtszustand zwischen den Staaten führt zum ewigen Frieden. Die dafür notwendigen Bedingungen führt er in seinem 1795 erscheinenden Werk "Zum ewigen Frieden" aus.

Vor diesem Hintergrund und dem bisher ausgeführten legt Kant den Rechtsbegriff auf die ganze Welt aus. Denn alle Völker sind auf der Basis des transzendental abgeleiteten Rechtsbegriffs der Vernunft und als gedachte Besitzer jeweils gleicher Bodenanteile der Erde miteinander vereint zu denken. Kant geht davon aus, daß es einen Weltstaat auf der Grundlage seines Rechtsbegriffs geben wird. Auf dem Weg dahin folgt die Menschheit einer ihr innewohnenden zweckvollen "Naturabsicht".

Diese Thematik führt Kant in seinem geschichtsphilosophischen Aufsatz "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1784) aus. Darin geht er der Frage nach, ob sich die Torheit des menschlichen Verhaltens auf der "Weltbühne" mit der Hypothese, daß die Geschichte der Menschheit einer zweckvollen Absicht der Natur folge, vereinbaren läßt.

Nach diesem Geschichtsverständnis ist die Menschheit im ständigen Fortschritt begriffen, der darauf angelegt ist, daß der Mensch seine naturgegebenen Fähigkeiten vollständig und zweckmäßig zur Anwendung bringt. Kant vermutet mit Bezug darauf ein verborgenes Gesetz in der Menschennatur (Anlage), was allerdings nur die gesamte Gattung zur Reife gelangen kann, weil das Leben eines einzelnen Individuums dafür zu kurz ist. Zum anderen befinden sich niemals alle Individuen auf einem gleich hohen Entwicklungsniveau. Entscheidend für diesen Prozeß ist daher der Entwicklungsstand der Gattung als Gattung. Die Vorsehung menschlicher Dinge im ganzen, so Kant, wird sich "vom Schlechten zum Besseren allmählich entwickeln; zu welchem Fortschritt denn ein jeder an seinem Teile, so viel in seinen Kräften steht, beizutragen durch die Natur selbst berufen ist" (Jaspers 1992, 576). Das Ziel der Entwicklung führt notwendig über den republikanischen Staat zum Weltstaat. Dabei an den "Menschen zu glauben, ist Voraussetzung, um an den Sinn der Geschichte zu glauben, und daher sittlich-politisch handeln zu können. ... Glaube an den Menschen bedeutet [in diesem Zusammenhang] nicht Liebe zur Realität des Menschen, sondern zur Idee des Menschen" (Jaspers 1992, 576).

Die Geschichte, die sich fortlaufend und stufenförmig auf ein immer höheres Kulturniveau zubewegt, liegt in einem kausalen Mechanismus begründet. Diese Kausalität führt Kant in seinem Aufsatz auf die "ungesellige Geselligkeit", einem Antagonismus zwischen sozialen und antisozialen Trieben des Menschen, zurück.

Das heißt, der Mensch ist seinem Wesen nach gesellig und ungesellig zugleich. Das Individuum neigt einerseits zur Vergesellschaftung, um sich mit und an einer Sozietät entwickeln zu können. Andererseits aber hat er auch ein unbändiges Verlangen nach Vereinzelung, um seine individuellen Bedürfnisse, unabhängig von anderen Menschen zu befriedigen. Das ist für Kant der Grundantagonismus der Anthropologie, der eine positive Entwicklung der Menschen ermöglicht. Diese auf Konkurrenz angelegte Konfliktstruktur ist Katalysator der Entwicklung. Es ist eine naturgewollte Zwietracht (nicht Krieg), die gleichsam Antriebsmotor für die Gesellschaft ist. Aus ihr geht eine bürgerliche Gesellschaft hervor, die das Recht all ihrer Bürger verwaltet und ein gesetzmäßiges Verhältnis zu anderen Staaten herstellt. Das ist nach Kant ein weltbürgerlicher Zustand, der den "ewigen Frieden" zwischen den Staaten verbirgt.

 

In der Schrift "Zum ewigen Frieden" (1795) entwickelt Kant auf der Grundlage seiner Moralphilosophie das Konzept eines dauerhaften Friedens. Die sechs Präliminarartikel folgen dem Ziel, Hindernisse zu einer künftigen Friedensordnung, zu beseitigen. Darin heißt es:

(1) Es dürfen keine Friedensschlüsse mit geheimen Vorbehalten und der Intension eines künftigen Krieges gemacht werden.

(2) Es darf kein Staat von einem anderen Staat durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden.

(3) Stehende Heere sollen mit der Zeit abgeschafft werden, weil deren Existenz einer gegenseitigen Bedrohung gleich kommt und Anreiz zum Aufrüsten ist.

(4) Der Staat soll kein Schulden durch äußere Staatshändel machen.

(5) Kein Staat darf sich gewalttätig in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates einmischen.

(6) Im Kriegsfalle darf sich kein Staat irgendwelcher Mittel bedienen, die ein späteres Zusammenleben in Frieden nicht mehr möglich macht.

In den drei Definitivartikeln entwickelt Kant dann die institutionellen Voraussetzungen für diese Friedensordnung. Die drei Bedingungen dafür sind:

(1) Die Verfassung der einzelnen Staaten muß eine republikanische sein.

(2) Es muß einen föderalistischer Friedensbund der Staaten gegründet werden.

(3) Es muß ein (eingeschränktes) Weltbürgerrecht festgelegt werden, in dem es jedem erlaubt sein muß, daß er auf friedliche Weise andere besuchen darf, um sich ihnen zu Gesellschaft und Handel anzubieten.

All diese Überlegungen beruhen auf Kants praktischen Vernunftsglauben, der seine Geschichts- und Rechtsphilosophie (sein Politikverständnis) mit der Moralphilosophie in ein komplementäres Verhältnis setzt:

"Die wahre Politik kann keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben, und obzwar Politik für sich selbst eine schwere Kunst ist, so ist doch Vereinigung derselben mit der Moral gar keine Kunst; denn diese haut den Knoten entzwei, den jene nicht aufzulösen vermag, sobald beide einander widerstreiten" (Kant 1995, 49).

 

 

 

Quellennachweis:

 

Bahr, E. (Hg.): Was ist Aufklärung?. Stuttgart: Reclam, 1992

Hoerster, N. (Hg.): Klassische Texte der Staatsphilosophie. 7. Aufl. München: dtv, 1992

Jaspers, K.: Die großen Philosophen. 7. Aufl. München: Piper, 1992

Kant, I.: (1785) Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hg. Valentiner, T. Stuttgart: Reclam, 1984

Kant, I.: (1797) Die Metaphysik der Sitten. Hg. Ebeling, H. Stuttgart: Reclam, 1990

Kant, I.: (1795) Zum ewigen Frieden. Hg. Malter, R. Stuttgart: Reclam, 1995

Kinder, H./Hilgemann, W. (Hg.): dtv-Atlas zur Weltgeschichte Karten und chronologischer Abriss. 26. Aufl. Bd.2. München: dtv, 1992

Kunzmann, P./Burkhard, F.-P./Wiedemann, F. (Hg.): dtv-Atlas zur Philosophie Tafeln und Texte. 2. Aufl. München: dtv, 1992

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Patzelt, J.P.: Einführung in die Politikwissenschaft. Grundriß des Fachs und studiumbeglei- tende Orientierung. Passau: Rothe, 1992

Spierling, V.: Kleine Geschichte der Philosophie 50 Porträts von der Antike bis zur Gegenwart. 2. Aufl. München: Piper, 1992

Schischkoff, G. (Hg.): Philosophisches Wörterbuch. 22. Aufl. Bd. 13. Suttgart: Kröner, 1991

Störig, H.J.: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Frankfurt am Main: Fischer, 1992

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1988