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Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
Die drei Arten der Notwendigkeit
Der Gemeinsinn
Der Gemeinsinn in objektiven Urteilen
Der Gemeinsinn in ästhetischen Urteilen
Literaturverzeichnis

Vorbemerkung
In der Einleitung der "Kritik der reinen Vernunft" schreibt Kant, daß "Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit [...] sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori" sind und "auch unzertrennlich zueinander"[1] gehören.
Obwohl das Geschmacksurteil kein verstandesmäßiges Erkenntnisurteil sondern ein ästhetisches Urteil ist, möchte Kant beweisen, daß es doch auf Prinzipien a priori fußt. Dazu versucht er das Geschmacksvermögen von den Erkenntniskräften abzuleiten und entwickelt so eine Argumentation, die das eigentlich subjektive Prinzip des Geschmacksurteils als apriorisches Prinzip der reflektierenden Urteilskraft beweist.
Der logische Aufbau der Erläuterung des vierten Moments (Modalität) des Geschmacksurteil ähnelt dem des zweiten Moments (Quantität). In beiden Fällen tritt das Problem auf, daß sich das Geschmacksurteil über das Schöne zwar nicht auf Begriffen gründet, denn dann wäre es ein Urteil über das Gute, aber eben auch nicht bloß auf die Sinne, denn dann wäre es ein Urteil über das Angenehme. Das Urteil über das Schöne ist eine Art von Mischform zwischen objektiven und subjektiven Urteil.
Das Kennzeichen der Allgemeinheit hat Kant in der Kategorie der Quantität gefunden, wenngleich diese Allgemeinheit auch nur ästhetisch sein kann, da sie sich nicht auf Begriffe von Objekten bezieht, wodurch sie erst logisch genannt werden könnte. Die Allgemeinheit des Geschmacksurteils ist also subjektiv, Kant nennt sie auch "Gemeingültigkeit".[2]
Wenn er nun das Geschmacksurteil bezüglich der Kategorie der Modalität untersucht, ist es naheliegend, daß er hier die Bedingung der Notwendigkeit finden wird.
Und tatsächlich lautet die "aus dem vierten Moment gefolgerte Erklärung des Schönen": "Schön ist, was ohne Begriff als Gegenstand eines notwendigen Wohlgefallens erkannt wird."[3]
Wie kommt Kant nun auf diese Erklärung?
Indem er zuerst drei verschiedene Arten von Notwendigkeit unterscheidet.

Die drei Arten der Notwendigkeit
Erstens gibt es eine theoretisch objektive Notwendigkeit. Diese muß sich aber auf Begriffe beziehen und wäre damit auch beweisbar. Das ein Gegenstand schön ist, kann man aber nicht beweisen, man kann es nur fühlen.
Zweitens gibt es die praktische Notwendigkeit, die sich auf objektive Gesetze der Vernunft bezieht. Das Wohlgefallen am Schönen läßt sich aber auch nicht aus solchen Vernunftsgesetzen herleiten.
Die dritte Art von Notwendigkeit ist die einer exemplarischen Notwendigkeit, und das ist nun die Notwendigkeit, die in dem Urteil über das Schöne gedacht wird. Kant definiert diese Notwendigkeit als "eine Notwendigkeit der Beistimmung aller zu einem Urteil, was wie ein Beispiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird."[4]
Was dieses bedeutet kann man sich vielleicht verdeutlichen, wenn man Beispiele eines logischen und eines ästhetischen Urteils vergleicht.

Logisches Urteil:
Regel: Alle Menschen sind sterblich.
Beispiel: Sokrates ist ein Mensch.
Urteil: Sokrates ist sterblich

Hier folgt das Urteil über das Beispiel notwendig aus der Regel.

Ästhetisches Urteil:
Regel: (ist nicht begrifflich vorhanden, nur ein Gefühl des Subjekts)
Beispiel: Diese Rose ist schön. à (Urteil wird zum Beispiel)
Urteil: Jeder findet diese Rose schön.

Das jeder diese Rose schön findet, kann man nicht beweisen. Das Urteil folgt nicht objektiv notwendig, weil eben keine Regel vorhanden ist.
Derjenige, der das Urteil "Die Rose ist schön" fällt, kann die Zustimmung von jedermann also nicht fordern, er kann sie aber, da das Urteil auch nicht rein subjektiv oder zufällig ist, sondern eine Notwendigkeit enthält, jedermann ansinnen[5].
Da die Notwendigkeit im Geschmacksurteil keine objektive ist, d.h. keine die sich auf Begriffe bezieht, sondern auf die Gefühle des Subjekts, nennt Kant sie subjektive Notwendigkeit[6]. Diese Notwendigkeit ist nun keine unbedingte Notwendingkeit. Es ist nicht unbedingt notwendig, daß jeder diese Rose, die ich schön finde, auch als schön empfindet. Vielleicht kann ein anderer die Rose nicht interessefrei betrachten, da er z.B. ein Rosenzüchter ist. Mein Urteil, daß diese Rose schön ist, hat also keinen Anspruch auf unbedingte Notwendigkeit, da es durch einen Gefühlszustand begründet wird. Diesen Gefühlszustand können aber alle Menschen gleich empfinden. Voraussetzung dafür ist das Vorhandensein eines Gemeinsinns. Und nur wenn dieser vorausgesetzt wird, "kann ein Geschmacksurteil gefällt werden".[7]
Somit könnte man also diesen Gemeinsinn als Regel für das ästhetische Urteil ansehen, wenngleich natürlich nicht als objektive Regel, wie sie ein Urteil eigentlich verlangt, sondern nur als subjektive Regel, da sie sich auf Gefühlen gründet und nicht auf Begriffen. Daß diese Regel existiert, gilt es nun zu beweisen, denn nur dann wäre Kants Anspruch auf subjektive Allgemeingütligkeit des ästhetischen Urteils haltbar.

Der Gemeinsinn
Wie sich ja schon aus dem Wort ergibt, ist der Gemeinsinn ein Sinn, der allen gemein ist. Man kann ihn sich jedoch nicht wie unsere anderen 7 Sinne (Hörsinn, Tastsinn, u.s.w.) vorstellen, die ja organisch nachweisbar und damit objektiv sind.
Der Gemeinsinn ist ein subjektives Prinzip, "welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle."[8]
In § 21 untersucht Kant ob dieser Gemeinsinn vorausgesetzt werden darf. Sein Ausgangspunkt ist hier die allgemeine Mitteilbarkeit von Urteilen und Erkenntnissen. Diese müssen eine allgemeine Mitteilbarkeit besitzen, d.h. nachvollziehbar für jeden sein, "denn sonst käme ihnen keine Übereinstimmung mit dem Objekt zu"[9]. Der Erkennende fühlt, daß seine subjektive Beurteilung oder Erkenntnis eine allgemeine Gültigkeit besitzt und nicht nur rein spekulativ ist. Jeder Erkenntnis geht ein Zusammenspiel der Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand voraus. Bei der objektiven Erkenntnis versucht die Einbildungskraft die Mannigfaltigkeit eines Gegenstandes unter Begriffe des Verstandes zu bringen. Das Ergebnis ist dann, wenn Einbildungskraft und Verstand in einer dem Objekt angemessenen Proportion stehen, ein Urteil, das in Übereinstimmung mit dem Objekt steht. Dieses Urteil kann man allgemein mitteilen, d.h. jeder wird es für richtig halten, weil es sich auf Begriffen gründet und es damit bewiesen werden kann. So kann ich z.B. sagen, daß dieses Objekt, daß ich vor mir sehe, ein Pferd sei. Denn der Begriff des Pferdes ist definiert durch allerlei Bedingungen. Meine Einbildungskraft hat in der Mannigfaltigkeit des Objektes diese Bedingungen gefunden und konnte sie somit unter den Begriff "Pferd" zu einer Einheit bringen. Dieses kann jeder Mensch nachvollziehen, d.h. die Erkenntnis ist allgemein mitteilbar.
Weil sich Erkenntnisse und Urteile allgemein mitteilen lassen, schreibt Kant, muß sich auch die Proportion der Erkenntniskräfte im Moment der Erkenntnis allgemein mitteilen lassen, "weil ohne diese, als subjektive Bedingung des Erkennens, das Erkenntnis als Wirkung nicht entspringen könnte"[10]. Auch das ist logisch, denn wenn alle erkenntisfähigen Menschen eine Erkenntnis nachvollziehen können, dann sind sie auch in der Lage ihre Erkenntniskräfte in die selbe Proportion zu bringen, wie der Erkennende, der die Erkenntnis formulierte. Jeder Mensch kann also, wenn er das Objekt, daß ich mit dem Begriff "Pferd" bezeichnet habe, betrachtet, seine subjektiven Erkenntniskräfte in die gleiche Proportion bringen, die auch bei mir vorhanden war, und wird das Objekt dann auch unter den Begriff "Pferd" bringen. Denn ansonsten wäre die Erkenntnis ja nicht allgemein mitteilbar. Die subjektive Bedingung von Erkenntnis, nämlich ein bestimmtes Verhältnis der Erkenntniskräfte zueinander, ist also auch allgemein mitteilbar.
Dieses subjektive Verhältnis der Erkenntniskräfte hat nun, je nachdem was für ein Objekt betrachtet wird, eine unterschiedliche Proportion. Nun schreibt Kant aber, daß es eine Proportion geben muß, die "die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist; und diese Stimmung kann nicht anders als durch das Gefühl (nicht nach Begriffen) bestimmt werden"[11]. Ich verstehe das jetzt so, daß es für jedes der verschiedenen Objekte, die betrachtet werden, eine optimale Proportion der Erkenntniskräfte gibt.
Hätte Kant hier geschrieben, daß es diese zuträglichste Proportion der Erkenntniskräfte in Absicht auf ästhetische Urteile gibt, wäre mir das einleuchtender erschienen. Er schreibt jedoch, daß diese optimale, nur durch das Gefühle bestimmte Stimmung der Erkenntniskräfte bei Erkenntnis überhaupt anzutreffen ist, d.h. also sowohl bei ästhetischen als auch bei objektiven Urteilen vorausgesetzt werden kann.

Der Gemeinsinn bei objektiven Urteilen
Bei dem objektiven Urteil: "Dies ist ein Pferd" müssen sich die Erkenntniskräfte also, vorausgesetzt das Urteil ist richtig, in einer optimalen Proportion befunden haben, denn sie haben die Mannigfaltigkeit des vorgestellten Objekts richtig unter einen Begriff synthetisiert. Der Urteilende fühlt diese optimale Proportion und kommt so zu seinem Urteil.
Meiner Meinung nach hat dieses Gefühl einer richtigen Proportion der Erkenntniskräfte viel mit Erfahrung und Übung zu tun. So kann ich mir vorstellen, daß ein Kind, welches noch nicht so geübt ist in seinem Zusammenspiel von Einbildungskraft und Verstand, das Objekt, welches ich unter den Begriff "Pferd" erkannte, vielleicht als "Hund" erkennt. Aber es wird sein Urteil: "Dies ist ein Hund" eventuell mit einem unguten Gefühl aussprechen. Vielleicht wird es deshalb statt zu urteilen auch eher fragen, ob dies ein Hund sei. Das Kind wird nicht sagen können, warum es ein ungutes Gefühl bei dem Urteil hat, denn das Gefühl beruht auf der noch nicht optimalen Proportion seiner Erkenntniskräfte bezüglich der Absicht auf Erkenntnis dieses Gegenstandes und man kann diese Proportion nicht mit Worten erklären. Später jedoch, wenn es seine Erkenntniskräfte weiter geschult hat, wird es überzeugt, d.h. mit einem guten Gefühl, richtig über den Gegenstand urteilen können. Mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit wird es dann das Urteil: "Dies ist ein Pferd" aussprechen. Die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit seines Urteils ergibt sich daraus, daß er die Mannigfaltigkeit der gegebenen Vorstellung richtig unter Regeln des Verstandes subsumiert hat. Das ihm das gelungen ist, sagt ihm sein Gefühl. Dieses Gefühl muß, wenn auch auf eine andere Art als bei ästhetischen Urteilen, wohl ein Gefühl der Lust sein.
Nun wird ja normalerweise bei objektiven Erkenntnisurteilen das Verhältnis der Erkenntniskräfte zueinander gar nicht thematisiert und auch nicht bewußt wahrgenommen. Aber das kann damit zusammenhängen, daß Erkenntnisurteile bei erwachsenen Menschen einfach routinemäßig erfolgen und nicht mehr bewußt auf ein Gefühl der richtigen Proportion von Einbildungskraft und Verstand zurückgeführt werden. Das Kind jedoch, daß die Erfahrung, ein allgemeingültiges und notwendiges Urteil auszusprechen, zum ersten Mal macht, kann die Lust, die aus der richtigen Proportion der Erkenntniskräfte folgt, vielleicht noch spüren. Und auch Erwachsene, die z.B. erstmals das Prinzip mathematischer Urteile erkannt haben und nun ihre Erkenntniskräfte in eine Stimmung bringen können, die sie dazu befähigt, diese Urteile nachzuvollziehen oder sogar eigene zu fällen, werden darin ein Gefühl der Lust verspüren. Und diese Lust kann "nicht anders als durch das Gefühl (nicht nach Begriffen) bestimmt werden"[12]. Trotzdem kann sie jeder Mensch nachvollziehen, d.h. sie ist allgemein mitteilbar, denn sie gehört zu den subjektiven Bedingungen des Erkennens und diese lassen sich wie die Urteile selbst allgemein mitteilen, da ihnen, wie Kant schreibt, sonst keine Übereinstimmung mit dem Objekt zukäme und sie bloße Spekulationen wären[13].
Das subjektive Prinzip aber, "welches nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme"[14] wann die Proportion der Erkenntniskräfte "die zuträglichst für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist"[15], d.h. wann sich ein Gefühl der Lust einstellt, ist der Gemeinsinn.

Der Gemeinsinn in ästhetischen Urteilen
Einleuchtender erscheint mir Kants Theorie von einem optimalen Verhältnis der Erkenntniskräfte in Absicht auf Erkenntnis bei der ästhetischen Beurteilung von Gegenständen. Denn die ästhetische Qualität eines Gegenstandes läßt sich nicht mit Begriffen beschreiben. Ich kann mein ästhetisches Urteil nicht durch Begriffe beweisen, da es sich eben nur auf einem subjektiven Gefühl gründet, nämlich auf dem Gefühl im freien Spiel der Erkenntniskräfte an einem Gegenstand, ein harmonisches Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand gefunden zu haben, welches dann in mir ein Lustempfinden auslöst.
Diese Lust muß nun eine andere sein, als die, die ich bei objektiven Urteilen empfinde, denn sonst würde ich jeden objektiv erkannten Gegenstand auch als schön bezeichnen. Die Lust, die ich dabei empfinde, die Mannigfaltigkeit eines Gegenstandes ohne Begriff in eine harmonische Form zu bringen, kann man vielleicht als "ästhetische" Lust bezeichen. Diese ästhetische Lust ist dann eine andere als die Lust, die ich empfinde, wenn ich die Mannigfaltigkeit richtig unter einen Begriff subsumiert habe. Gleichwohl muß auch für diese ästhetische Lust ein Prinzip vorausgesetzt werden, welches das Gefühl, wodurch ich mein Urteil begründe, allgemein mitteilbar macht. Denn nur so hat mein ästhetisches Urteil eine Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, d.h. nur so kann es die Zustimmung aller als notwendig annehmen. Nur durch dieses Prinzip, welches für Kant der Gemeinsinn ist, kann ich erwarten, daß jeder erkenntnisfähige Mensch mein Urteil nachvollziehen kann.
Kant setzt den Gemeinsinn also in objektiven und ästhetischen Urteilen voraus, weil sich Erkenntnisse und die Proportion der Erkenntiskräfe im Moment der Erkentnis allgemein mitteilen lassen und weil es eine optimale Proportion in Absicht auf Erkenntnis überhaupt gibt, die sich nur durch Gefühle bestimmen läßt. Und das Prinzip, daß durch Gefühle allgemeingültig bestimmt wann die optimale Proportion der Erkenntniskräfte besteht, ist eben der Gemeinsinn.
Durch die Voraussetzung des Gemeinsinns, der als Regel für ein ästhetisches Urteil dient, kann Kant nun behaupten, daß "die Notwendigkeit der allgemeinen Beistimmung, die in einem Geschmacksurteil gedacht wird, [...] [eine] subjektive Notwendigkeit [ist], die unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objektiv vorgestellt wird."[16]

Literaturverzeichnis
Fricke, Christel: Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils;
Berlin/New York 1990
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Hrsg. von Karl Vorländer;
Hamburg, 1990
Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. von Raymund Schmidt;
Hamburg 1990
Teichert, Dieter: Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft:
Ein einführender Kommentar; Hamburg 1992


[1] Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft, B 4
[2] Kant, I.: Kritik der Urteilskraft, 23. (Im folgenden gebrauche ich bei Verweisen auf die "Kritik der Urteilskraft" die Abkürzung "KdU".)
[3] KdU, 68
[4] KdU, 63
[5] vgl. KdU, 63
[6] KdU, 63
[7] KdU, 65
[8] KdU, 64
[9] KdU, 65
[10] KdU, 65
[11] KdU, 66
[12] KdU, 66
[13] vgl KdU, 65
[14] KdU, 64
[15] KdU, 66
[16] KdU, 66