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Inhaltsverzeichnis

1.

Einleitung

 

 

2.

Das Bild der Stadt

2.1

Herkunft

2.2

Grundlage

2.3

Lebensform

2.4

Beobachter

2.5

Kontext

2.6

Vollständigkeit und Stadtgrenzen

2.7

Privatsprache

2.8

Regeln und Grammatik

2.9

Familienähnlichkeit

2.10

Vorstadt Traktatus

 

 

3.

Probleme

 

 

4.

Zusammenfassung

1. Einleitung

Die Stadt als Bild für die Sprache(1) kommt in den PU nur ein einziges Mal vor, nämlich in Paragraph 18. Hier vergleicht Wittgenstein die Struktur der Sprache mit einer alten Stadt(2). Obwohl auf den ersten Blick sehr plausibel, läßt sich fragen, inwiefern der Vergleich berechtigt ist, d.h. ob er zu seinem eigenem Konzept paßt. Denn Wittgenstein hält sich nicht weiter damit auf, diesen Vergleich zu analysieren. Es gilt zu prüfen, wo die Stärken und Schwächen dieses Bildes sind.

Wittgenstein vertritt in seinen PU einen Standpunkt, den man gebrauchstheoretisches Konzept der Sprache nennt. Das bedeutet, daß ein Wort, und folglich auch ein Satz, nur Sinn macht in dem größeren Kontext, in dem es benutzt wird. Dieser Kontext erst gibt dem Satz einen Sinn- unabhängig davon, wie er von dem Sprecher gemeint war. Dementsprechend kann ein und dasselbe Wort völlig verschiedene Bedeutungen haben, die man aber normalerweise aufgrund des Kontextes ohne Schwierigkeiten auseinanderhalten kann. Das bedeutet, daß alle menschlichen Äußerungen von einem Kontext abhängen, oder, wie Wittgenstein es sagt, von einer Tätigkeit oder einer "Lebensform". Diesen Sachverhalt hat er mit dem Namen "Sprachspiel" belegt. Wenn nun die Stadt ein treffendes Bild der Sprache sein soll, so muß dieses sprachtheoretische Konzept eine Entsprechung in der Stadt haben. In dieser Arbeit soll vornehmlich versucht werden, den fehlenden Vergleich auszuführen. Sinn dieser Arbeit hingegen soll es nicht sein, Wittgensteins Ausführungen einer Kritik zu unterziehen, sondern: seine Philosophie als Grundlage zu nutzen, um sein Bild mit seinen Mitteln zu untersuchen. Dabei beschränkt sich diese Arbeit nur auf den ersten Teil der PU I, d.h. 1-133.

Das "Neue" an Wittgensteins Untersuchungen ist, daß er gegen den Essentialismus angeht, welcher besagt, daß der Sprache, daß allen Sprachen ein wesentliches Merkmal zukommt, welches sich als das Wesen manifestiert. Wittgenstein lehnt dieses Wesen ab und zeigt, daß der Sprache nicht mit einem Wesen, nicht mit einem Bild beizukommen ist, sondern nur mit vielen, die miteinander nur einige Merkmale gemeinsam haben. Es gibt nach Wittgenstein nichts, was in allen Sprachen als Merkmal auftritt. Dies setzt dieser Arbeit Grenzen: denn bevor der Vergleich stattgefunden hat, ist gesagt, daß der Vergleich nicht das Bild der Sprache sein kann, sondern nur ein Bild, dem vielleicht nur geringe Priorität zugestanden werden kann.

2. Das Bild der Stadt

2.1 Herkunft

Das Wachstum der Stadt als Bild für die Sprache zu nehmen kommt nicht von Wittgenstein selbst. Dieser Vergleich taucht schon in einem Aufsatz des Physikers Boltzmann [5] auf, der eine produktive Wirkung auf Wittgenstein hatte [3,46]. Boltzmann beginnt seinen Aufsatz mit dem Gedanken, daß so wie sich eine Stadt im Laufe der Zeit ändert und wächst auch die Wissenschaften sich verändert haben: Aus einer kleinen, ruhigen Stadt ist durch stetigem Wachstum und "Neubauten" einen hektische, betriebsame und moderne "Millionenstadt" geworden[5]. Wittgenstein nimmt dieses Bild auf und überträgt es auf die Sprache. Die Stadt besteht demnach aus einem alten Stadtkern, der sich aus einem "Gewinkel von Gäßchen und Plätzen, alten und neuen Häusern" zusammensetzt, die von "neuen Vororten mit graden und regelmäßigen Straßen und einförmigen Häusern" umgeben ist [1,18].

Obwohl 18 die einzige Stelle ist, an der die Stadt explizit auftaucht, kann man eine weitere Stelle anführen, die gewissermaßen ebenfalls auf eine Stadt hinweist; denn Wittgenstein vergleicht die Sprache mit einem Labyrinth von Wegen: "Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennst dich aus; du kommst von einer andern zur selben Stelle, und kennst dich nicht mehr aus"[1,203]. Stellt man sich das Gewinkel von Gäßchen und Plätzen eines alten Stadtkernes vor, dann kann man dazu neigen, dies als ein kleines Labyrinth zu bezeichnen, was sich dann mit diesem Bild deckt.

2.2 Grundlage

Wie aber sind nun Wörter in diesem Bild zu finden? Obwohl Wittgenstein nichts direktes dazu sagt, kann man geneigt sein zu behaupten, daß den Wörtern der Sprache die Gebäude der Stadt entsprechen könnten. Diese Möglichkeit aber führt zu einigen Problemen: Denn Wörter lassen sich beispielsweise in verschiedensten Bedeutungen, Sätzen, Sprachspielen verwenden und es wird schwierig, einem recht statischen Haus solche Verwendungsmöglichkeiten zuzuschreiben. Auch verändert sich ein Haus nicht so, wie es Wörter tun: Im Grunde wird ein Haus gebaut und dann solange benutzt, bis es nicht mehr verwendungsfähig ist; dann wird es abgerissen.

Eine Alternative dazu besteht darin, anzunehmen, daß den Wörtern als solches keine große Bedeutung zukommt; stattdessen ist der Satz, der sich auch als Ein-Wort-Satz zeigen kann [1,27], der entscheidende Baustein des Vergleiches. Dieser Ansatz stützt sich auf die PU 19, 20, in dem Wittgenstein den Unterschied zwischen Sätzen und Wörtern abschwächt. Wichtig ist stattdessen, daß wir mit Wörtern und Sätzen im Grunde nur ein Sprachspiel spielen, welches die Grundlage der Sprachtheorie Wittgensteins ist. In diesem Falle könnte man das Sprachspiel mit einer Straße vergleichen; die Häuser, die Gebäude übernähmen dann die Funktion des Kontextes, in der das Sprachspiel spielt. Hier können die Gebäude mit den Wörtern übereinstimmen, wie die Wörter, d.h. Namen in dem augustinischen Bild mit dem Träger des Namen übereinstimmen; doch müssen sie es nicht. Dieser Vergleich würde dann Wittgensteins Ausführungen entgegenkommen [1,43] Doch auch hier gibt es einige Probleme, die weiter unten besprochen werden.

2.3 Lebensform

Für diesen Vergleichsansatz spricht, daß es das Sprachspiel, welches nach Wittgenstein ein Tätigkeit ist, eine Art von Lebensform, sehr plastisch umsetzt [1,23]: Dem "Benutzen" eines Sprachspieles würde dann in etwa das Abschreiten einer Straße oder der Nutzung eines Gebäudes etc. entsprechen.

Interessant ist bei dem Vergleich, daß Wittgensteins Regel "Denk nicht, sondern schau!" [1,66] nicht nur in bezug auf die Beschreibung der Sprachspiele paßt, sondern auch plastisch auf die Stadt übertragen werden kann: Würde nach dem Wesen der Straße gefragt werden, das man nicht allgemein bestimmen kann, so kann dies nur durch das Abschreiten und Vergleichen einzelner Straßen geschehen. Denn auch bei Straßen ist das einzige, was allen Straßen gemeinsam ist, die Tatsache, daß es Straßen sind (Man denke hierbei an die Gemeinsamkeiten einer Landstraße, die nur von Weideflächen umgeben ist und an eine belebte Fußgängerstraße im Stadtzentrum).

Doch warum benutzt Wittgenstein überhaupt den etwas vagen Begriff "Lebensform"? Er will mit diesem Wort deutlich machen, daß Sprache nur dann funktioniert, wenn sie im täglichen Leben angewendet wird. Sprache, die nicht gesprochen wird, ist tot. Weiterhin ist die Sprache abhängig von der Situation, in der sich der Sprecher befindet- eben von der Form seines Lebens.

Wie genau aber wird durch das Benutzen einer Straße eine Lebensform dargestellt? Dafür sollte man sich klar machen, daß das Aussehen, die Form einer Straße bzw. eines Sprachspieles von den Menschen bestimmt wird, die die Straße bewohnen bzw. benutzen: Eine Straße eines arabischen Stadtteils sieht ganz anders aus als eine Straße eines englischen, weil das Straßenbild sich nach dem Charakter der Menschen richtet, das sehr verschieden ist bzw. sein kann.

2.4 Beobachter

Wie aber ist das Verhältnis des Sprechers zur Sprache? Folgt man der Analogie, so ergibt sich, daß jeder Mensch, der eine bzw. überhaupt Sprache spricht, sich in der Stadt als Mensch wiederfindet. Man kann also sagen, daß die Rolle des Menschen sich durch den Vergleich nicht ändert: Der Sprecher spielt nicht auf dem "Feld der Sprache", sondern eher auf den Straßen der Stadt.

Der besonderen Rolle, die Wittgenstein dem Philosophen einräumt, nämlich die, die Stadt als solches "in keinster Weise antasten" [1,124] zu dürfen und sich stattdessen auf eine Beschreibung derselben zu beschränken, kann man eine adäquate Rolle in der Stadt zuschreiben. Der Philosoph wäre demnach ein Mensch, der die Stadt kartographiert, d.h. nach der Realität Stadtpläne zeichnet. Diese Pläne hätten nur den Sinn, das Verständnis der Zusammenhänge der Stadt klarer zu machen; sie können aber anderen helfen, durch bessere Einsichten in die Stadt diese in sinnvoller Weise zu verändern (Man denke an Städteplaner, die ständig damit beschäftigt sind, die Infrastruktur einer Stadt zu verbessern; ihr äquivalent in der deutschen Sprache wären wohl die Rechtschreibreformler).

Aber können solche Beobachter je die ganze Stadt kartographieren? Im Falle der Sprache verneint Wittgenstein diese Möglichkeit. Da die Sprache sich ständig ändert, käme man nie zu einem Ende, wenn man alle Sprachspiele aufzeichnen wollte: "[..] neue Typen der Sprache [...] entstehen und andre veralten und werden vergessen" [1,23]. Nur dann, wenn die Sprache "still" stände, könnte man sich an einen solchen schwierigen Versuch wagen. Dieses überträgt sich in exakt derselben Weise auf die Stadt; so sehr man auch alle Teile der Stadt kartographieren würde, so könnte man nie exakt die gesamte Stadt sehen, weil die Struktur der Stadt sich ständig ändert.

2.5 Kontext

Eine direkte Entsprechung zwischen einem Wort und einem Gebäude gibt es zwar, diese aber ist nicht immer der Fall. Auf einer Landstraße muß es keine Gebäude geben. Dies entspricht der Behauptung Wittgensteins, daß man "die Bedeutung eines Namens [..] manchmal dadurch [erklärt], daß man auf seinen Träger zeigt" [1,43]. Der Träger wäre in einem entsprechenden Fall ein Gebäude. Hinzu kommt, daß einem Wort nur dann Bedeutung zukommt, wenn es in einem funktionierenden Sprachspiel verwendet wird [9, 112]. Einem leerstehenden Haus, das auf einer -aus welchen Gründen auch immer- nicht mehr benutzten Straße steht, käme folglich keine Bedeutung zu. Genauso ist ein "alleinstehendes" Haus ohne eine angrenzende Straße sinnlos: Man kann es gar nicht erreichen. Dadurch wird deutlich, daß nicht die Wörter dem Satz einen Sinn verleihen, sondern daß die Situtation genau andersherum ist: Die Sätze geben den einzelnen Wörtern erst ihren Sinn, ein vereinzeltes Wort ist sinnlos.

Andererseits hat mit der Benennung eines Hauses das Haus noch keinen Sinn, noch keine Bedeutung. Es muß erst benutzt werden, bewohnt werden, damit es in einer Straße eine gewisse Funktion übernehmen kann. Dies entspricht der Idee Wittgensteins, daß mit dem Anhängen von Namensschildern an Gegenständen noch nichts erreicht ist; erst durch das Nutzen des Wortes in einem Sprachspiel bekommt das Wort eine Bedeutung.

Im Anschluß an 23 läßt sich die Frage nach den verschiedenen Satzarten stellen, die es in der Sprache gibt. Wittgensteins Behauptung ist, daß es nicht nur Behauptungen, Frage- und Befehlssätze gibt, wie die Sätze in der Sprachwissenschaft üblicherweise eingeteilt werden, sondern daß es "unzählige solcher Arten" gibt. Auf die Stadt übertragen meint dies, daß Wittgenstein die "klassische" Einteilung in Landstraße, Bundesstraße etc. nicht übernimmt, sondern die Art der Straße von ihrer Eigenart abhängig macht. Zwar würde es einen Sinn machen, sie so einzuteilen wie man es macht, aber es würde nicht sehr viel für die Beschreibung der Straße bringen. Für die Frage nach der Beschaffenheit einer Straße ist eine solche Einteilung viel zu grob.

2.6 Vollständigkeit und Stadtgrenzen

Die eigentliche Intention, mit der Wittgenstein das Bild anführt, ist, um seinem "imaginären Widersacher" zu zeigen, daß der Einwand, daß das Sprachspiel in 2 bzw. 8 zu primitiv sei und folglich keine "echte", vollständige Sprache sei, nicht gerechtfertigt ist. Dazu vergleicht er die Sprache mit einer alten Stadt und zeigt, daß der Begriff der Vollständigkeit nicht sinnvoll auf die Stadt und folglich, wenn das Bild adäquat ist, auch nicht auf die Sprache angewandt werden kann. Es macht in diesem Bild keinen Sinn nach der Vollständigkeit unserer Sprache zu fragen, da sie, wie eine Stadt, für uns vollständig ist. Es gibt keinen Satz, den wir nicht ausdrücken könnten, weil die dafür noch angemessenen Wörter noch nicht existierten. Erst rückblickend können wir sagen, daß die Sprache bzw. die Stadt nicht derart vollständig ist, wie zum Zeitpunkt des Rückblicks. Damit aber zeigt sich, daß die Sprache, die wir täglich sprechen und benutzen, für uns immer vollständig ist, unabhängig davon, ob man später zeigen kann, daß sie die einen oder anderen "Vororte" noch nicht erschlossen hatte. Prägnanter ausgedrückt: "Eine Stadt ist eine Stadt- jenseits von Vollständigkeit und Unvollständigkeit [und unabhängig von ihrem Wandel]" [6, 50]

Anschließend an die Vollständigkeit einer Stadt läßt sich fragen, ob die "Ausdehnung" der Sprache übereinstimmt mit der Größe der Stadt. Denn nach Wittgenstein kann man das "Feld der Sprache" niemals verlassen: Es gibt keinen Punkt, von dem man quasi die Stadt von einem außerstädtischen Ort überblicken könnte.

Dieses aber führt zu einem Problem, wenn man das Bild annimmt, daß jede menschliche Sprache, z.B. die deutsche oder mexikanische, die mathematische oder die Gebärdensprache, eine eigene Stadt darstellt. Denn dann müßte es zwischen den Städten Punkte geben, die nicht zu den Städten gehören; an dem sich sozusagen unberührte Natur befindet, zu dem sich Einsiedler (wie Zarathustra) zurückziehen könnten. Dies aber widerspricht dem oben gesagten. Folglich kann es kein Punkt geben, der nicht zu einer Stadt gehört. Bildlich gesprochen bedeutet dies, daß es nichts andres als Stadt gibt; was zum Bild einer die gesamte Welt umspannenden Metropole führt, die in viele große und kleine Stadtteile zerfällt (3).

Wie aber steht es mit den Grenzen der einzelnen Stadtteile? Wo fängt eine Straße an, wo hört sie auf? Wohl kann man theoretisch Grenzen ziehen, doch bleibt die Frage, ob diese Grenzen sinnvoll sind. Denn wenn eine lange Straße in zwei Stadtteilen liegt, ist es dann sinnvoll, die Straße an einem Punkt zu trennen und zu sagen, daß die eine Hälfte zu diesem Stadtteil, die andere aber zu dem andren Stadtteil gehört? Sicher nicht, denn dieser Punkt ist willkürlich, da eine Straße normalerweise recht homogen ist. Also gibt es, wie in der Sprache auch, Straßen, die sowohl zu der einen als auch zu der anderen Sprache gehören. Damit aber sind die Grenzen fließend, so, wie es Wittgenstein auch von der alltäglichen Sprache fordert.

2.7 Privatsprache

In diesem Kontext kann man auch die Frage nach der Privatsprache stellen. Denn die Sprache ist kein Akt des inneren Verständnisses. Daher kann es nach Wittgenstein keine Privatsprache geben, die nur für den Sprecher selbst Sinn hat und die jedem anderen unklar sein muß. Wittgenstein behauptet, daß eine Sprache, die nur von einem Menschen gesprochen wird sinnlos ist, da man sich damit nicht mehr sinnvoll unterhalten kann. Zur Sprache gehört eine intersubjektive Verständigung [Ph.Gr, S.193; nach [4, 138]]; sie ist öffentlich. Ähnlich kann man auch nicht über "Privatstädte" sprechen, die nur einem einzigen zugänglich sind. Eine Stadt lebt davon, daß Menschen gewisse Konventionen zum Zusammenleben entwickeln und sie umsetzen.

Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß jeder Mensch seine eigene Sprache spricht; denn bei dem Wort "rot" denkt jeder Mensch an einen bestimmten Farbton, der sich kaum mit dem eines andren decken wird. Aber diese innere Vorstellung ist i.a. irrelevant im allgemeinen Sprachgebrauch, da es eine Konvention gibt, welche einem gewisses Spektrum Farbtöne das Wort "rot" zuordnet. Aber damit ist das Wort "rot" in einem gewissen Sinne unabhängig davon, in welcher Art und Weise der Sprecher dieses Wort benutzen wollte.

Ebenso hat jeder Bürger(4) ein eigenes Haus bzw. ein kleines Fleckchen, das nur er selbst benutzt, zu dem nur er Zugang zu hat. Sich über diesen Ort mit jemanden zu unterhalten, der noch nie diesen Ort gesehen hat, ist zwar begrenzt möglich, aber nicht sehr sinnvoll, weil eine Beschreibung alleine die Tätigkeit, das Zimmer zu sehen, nicht ersetzt.

2.8 Regeln und Grammatik

Bestimmend für die Sprache sind nach Wittgenstein die Regeln, nach der wir sie spielen. Während im Traktatus noch von davon die Rede war, daß die gesamte Sprache sich den Gesetzen der Logik zu unterwerfen hätte(5), wird in den PU dieses strenge Konzept aufgegeben: Die Alltagssprache mit ihren vielen Zweideutigkeiten und verschwommenen Grenzen wird nicht mehr als nicht formal verurteilt, sondern sie rückt in den Mittelpunkt Wittgensteins Betrachtungen. Denn obwohl sie unexakt ist, bildet die Umgangssprache das Fundament der Sprache, auf der alle anderen wie z.B. die formalen aufbauen. Die "ordinary language" funktioniert genau deswegen so gut, weil sie keine starren Regeln hat, sondern in ihrem Gebrauch flexibel ist; diese Regeln sind aber nicht von der Logik, sondern von dem Kontext, in denen sie spielen, abhängig. Es gibt also nicht ein festes System nach dem sich die Alltagssprache zu richten hätte, sondern viele verschiedene, die voneinander vollkommen unterschiedlich und auch (in einem gewissen Sinne) unlogisch sein können; genauso wie die Sprache selbst ändern sich auch diese Regeln je nach Zeit und Ort. Diese Regeln, die Wittgenstein Grammatiken nennt, bestimmen die "Logik" der Sprachspiele.

Grammatiken sind sowohl in der Stadt als auch in der Sprache vorhanden; eben weil Grammatiken in der Stadt von Menschen aufgestellt werden, die aber nichts anderes tun, als Sprachspiele zu spielen. Also entsprechen die Regeln, die das Leben in einer Stadt bestimmen, den Grammatiken der einzelnen Sprachspiele. Beispiele für solche Regeln in der Stadt sind z.B. Verkehrsregeln, Bauverordnungen, Sozialgesetze etc. Diese Regeln werden nicht für die gesamte Stadt gelten, also nicht für alle Sprachen, sondern für die jeweiligen Stadtteile in denen sie Sinn machen. Verschiedene Regel sind also auf verschiedene Gebiete beschränkt.

Doch sind in der Alltagssprache die Regeln nur vage, unscharf; nicht alles ist durch Regeln bestimmt. Wittgenstein führt das Tennisspiel als Beispiel an [1,68]. Diese Unscharfheit findet man aber auch in der Stadt, denn obwohl es Gesetze gibt, die das ein oder andere regeln, gibt es keine verbindlichen Auflagen für das Verhalten der Bürger. Diese richten sich nach individuellen und sozialen Kritierien.

Sogar eine Übereinstimmung mit dem Gedanken, daß "[we] make up the rules as we go along" [1,83], ist hier "wörtlich" übersetzt, denn das Nutzen einer Straße folgt auch Regeln, die wir uns als Benutzer, als Bewohner einer Straße zum größten Teil selbst festlegen. Für Wittgenstein ist das Befolgen von Regeln aber keine individuelle Komponente, sondern eine soziale, denn die Regeln werden von der Gesellschaft aufgestellt und ergeben nur in dieser einen Sinn.

Es ließe sich die Frage stellen, wieso Regeln benötigt werden oder wie es kommt, daß es in der Stadt Regeln gibt, denn in gewisser Weise kann man sich auch ein Leben ohne Regeln vorstellen, um das Leben sinnvoll zu gestalten; in der Stadt wie auch in der Sprache.

In der Stadt ist der Mensch nie ohne Regeln, weil schon ein einfaches soziales Zusammenleben mit Menschen Regeln erfordert. Dies aber ist der Sinn der Stadt: von dem Miteinander und Nebeneinander profitieren alle, die daran teil haben. Erst die Regeln lenken dieses Miteinander und gibt dem Leben in der Stadt eine Bedeutung. Offensichtlicher liegt der Fall in der Sprache, denn ohne Regeln gäbe es keinerlei Kommunikation.

Eine wichtige Aufgabe Wittgensteins Philosophie ist das Sehen von Selbstverständlichem. Die meisten Menschen sind blind für die Dinge, mit denen sie täglich zu tun haben: So bemerken wir die Regeln, nach denen sich die Sprache richtet, die wir sprechen, kaum, in einigen Fällen wissen wir nicht einmal, wie die genaue Regel lautet, obwohl wir sie täglich anwenden. Dieses Blindsein für das Alltägliche begegnet uns auch in der Stadt: Auch hier meinen wir i.a. frei in all unseren Handlungen zu sein, ohne zu sehen, daß wir uns an so banale Regeln halten wie z.B. dem Überqueren der Ampel bei Grün.

Doch woher bekommt der einzelne Mensch die Regeln? Diese stehen nur in ganz bestimmten Fällen wirklich derart fest, daß man sie "aus einem Buch" lernen könnte (wie z.B. die Regeln Mathematik). Die Regeln werden dem einzelnen durch ihren Gebrauch nähergebracht, wie auch der "Gebrauch" der Stadt dem einzelnen beigebracht wird: Sinn und Bedeutung einzelner Gebäude, Stadtteile etc. sind solange unbekannt, bis sie gebraucht werden, bis sie durchschritten werden. In beiden Fällen wird der Mensch auf den Gebrauch abgerichtet. Und dennoch ist der eigentliche Sinn, die Geschichte dieser Einrichtungen zum größten Teil unbekannt: Man könnte auch ohne jene leben. Auch in der Sprache kennen wir den Sinn, die Wurzeln eines Wortes nicht immer, aber wir wissen, wie wir es zu gebrauchen haben.

2.9 Familienähnlichkeiten

Der Begriff der Familienähnlichkeit, wie Wittgenstein sie einführt, besagt, daß wir zwar für viele Dinge ein Wort haben, diese Dinge aber kein Wesen, d.h. kein Merkmal haben müssen, das allen gemeinsam ist. Stattdessen kann man davon ausgehen, daß je zwei beliebige "Objekte" irgendein Merkmal gemeinsam haben. Dieses erläutert Wittgenstein am Beispiel des Wortes "Spiel" [1,67].

Familienähnlichkeiten müßten folglich auch in verschiedenen Stadtteilen zu sehen sein: Tatsächlich gibt es z.B. Institutionen, die man in vielen Stadtteilen sehen kann. So wird wohl fast jeder Stadtteil seine eigene Polizei, Feuerwehr haben, eigene Schulen, Universitäten etc. Aber keins dieser Ähnlichkeiten ist das Wesensmerkmal der Stadtteile, denn man kann sich auch kleine Stadtteile vorstellen, die keine eigene Polizei, Universit"tat etc. hat.

Auch ist der Einwand, daß jeder Stadtteil etwa ein eigenes Rathaus haben muß, damit es überhaupt ein eigenes Stadtteil ist, nicht gewichtig. Denn es könnten ja auch andere politische Strukturen geben, die ein solches Amt, das in der "westlichen" Welt die Normalform ist, überflüssig machen. Man denke dabei an eine direkte Demokratie, in der alle exakt dieselben politischen Rechte haben.

Daß analog auch die Straßen sich ähneln ohne ein Wesen zu haben, wurde weiter oben (s. "Lebensform") ausgeführt und soll hier nicht wiederholt werden.

2.10 Vorstadt Traktatus

Erst "auf dem Hintergrund meiner älteren Denkweise [könnten meine neue Gedanken] ihre rechte Beleuchtung erhalten" [1, Vorwort], bemerkt Wittgenstein im Vorwort zu den PU. Wie steht diese Aussage zu dem schon gesagten? Denn die Sprachauffassung im Traktatus, die im Grunde der Augustinischen ähnelt, unterscheidet sich stark von den "neuen" Gedanken, die Wittgenstein in seinem Spätwerk entwickelt. Obgleich hin und wieder behauptet wird, daß Wittgenstein eine Kehrtwende in seiner Sprachauffassung gemacht hätte- schließlich bekennt er selbst, daß er im ersten Buche "schwere Irrtümer" [1, ebenda] niedergelegt habe- tendiert man eher dazu, beides, den Traktatus und die PU als Grundzug einer philosophischen Sicht anzuerkennen. Folgt man dieser Meinung, so bekommt der Traktatus eine neue Rolle in bezug auf den Vergleich: Der Traktatus beschreibt dann nichts anderes als die neuen, streng geplanten, ggf. industriellen Stadtteile und deren Regeln, die Logik. Wittgensteins Fehler war in diesem Sinne, daß er im Traktatus glaubte, die gesamte Stadt überblickt zu haben, obgleich er in Wahrheit nur den Stadtteil der wissenschaftlichen Sprache vor Augen hatte. Somit ist der Traktatus als eine Art Beschreibung ganz spezieller Sprachen, die nur für einen bestimmten Raum gelten, zu verstehen; und eignet sich damit zur Beschreibung von gewissen Stadtteilen.

3. Probleme

Die Sprache verführt: Denn die Wörter erscheinen uns gleichförmig [1,11]. Dieses "Leiden" aber wird in dem Vergleich nicht ausgewischt, sondern ist auch in der Stadt allgegenwärtig. Das Bild verführt dazu, alle Straßen zu einem Wesen zu reduzieren, zu Fahrbahn, Bürgersteig und Gebäude, was aber gar nicht stimmen kann, nicht für die Stadt noch weniger für die Sprache. Auch werden die Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von Sprachen eingeebnet: So ist für uns eine nicht-verbale Sprache ganz verschieden von einer verbalen; dies alles aber wird auf Stadtteile reduziert, die sich damit noch ähnlicher werden. Sinnvoller aber wäre wohl ein Bild gewesen, in dem die Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachspielen deutlicher und klarer hervortreten, wo doch die Klarheit eines Bildes dem Bild seine Berechtigung gibt.

Auf einige, wichtige Fragen kann auch das Bild keinen Rückschluß geben. Woher z.B. könnte man sich fragen, stammt die Stadt? Geschichtlich belegt ist sie gewachsen: Aus einer Ansiedlung zu einem Dorf und weiter zu einer kleinen Stadt. Aber kann das auch für die Sprache gesagt werden? Hatte man zunächst nur das eine oder das andere Sprachspiel? Zwar sieht Wittgenstein offenbar dieses Problem- er fragt, wann eine Stadt beginnt, Stadt zu sein [1,18]- aber überläßt alle Schlußfolgerungen dem Leser; Wittgenstein selber scheint an dieser Stelle nicht an den Ursprung der Sprache zu denken, sondern nur darauf hinweisen zu wollen, daß die Stadt keine scharfen Grenzen hat- worauf er auch sonst immer wieder hinweist. Der Vergleich aber stößt bei der Frage nach dem Anfang, dem Beginn der Sprache auf eine Grenze, denn es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Sprache auf derselben oder auf eine ähnliche Art entstanden ist wie die Stadt.

Seltsam ist auch die Rolle von sinnlosen Sätzen in der Sprache: Wohl kann man vollkommen sinnlose Sätze sprechen, aber kann man auch "sinnlose" Straßen bauen? Oder eine Straße, die sich selbst widerspricht? Wo man in der Sprache Sätze mißbrauchen kann, sie entfremden kann in ihrer Verwendung, ist dies in der Stadt nicht ohne weiteres möglich.

Nimmt man, wie getan, an, daß Sprachspielen Straßen entsprechen, so führt dies zu einem weiteren Problem, das man nicht lösen kann(6). Normalerweise spielt man nicht nur ein einziges Sprachspiel, sondern viele, teilweise ganz verschiedene Sprachspiele gleichzeitig; beispielsweise wird jemand, der einen Witz macht während er nach einem Befehl handelt [1,23], mindestens zwei Sprachspiele spielen, die nichts miteinander zu tun haben müssen. Dieses Problem läßt sich nicht einfach beheben: Denn um zwei Sprachspiele gleichzeitig spielen zu können, muß man sich auf einer Kreuzung zweier Straßen befinden. Da man aber praktisch zwei beliebige Sprachspiele spielen kann, würde daraus folgen, daß jede Straße direkt auf jede andere Straße träfe. Die Straßen würden sich quasi wie ein Gitternetz durch die Stadt ziehen.

Gleichzeitig läßt sich fragen, wie denn eine Tätigkeit wie das Übersetzen von einer Sprache in eine andere in dieser Stadt möglich ist. Denn das Übersetzen von z.B. eines schwedischen Mathematikbuches ins Deutsche kann man nicht, wie vielleicht erwartet, als eine Reise von einem Stadtteil in einen anderen interpretieren. Denn in Wahrheit verläßt man nie die deutsche Sprache, genausowenig wie man sich ausschließlich in der schwedischen aufhält.

Daß die Sprache sich ständig ändert und erweitert, wurde schon weiter oben angesprochen. Wittgenstein gibt dafür in 18 das Beispiel der Infinitesimalnotation und des chemischen Symbolismuses an, die die Sprache um weitere Vororte bereichert hätten. Dies aber führt zu einem Problem, wenn man, wie getan, davon ausgeht, daß die Stadt die gesamte Fläche (des Planeten etc.) bedeckt, denn es gibt keine Möglichkeit, keinen Raum, die Stadt weiter auszudehnen. Einen Ausweg bietet sich an, wenn man die Stadt nicht auf einem Planeten sondern auf einer Insel in einem unendlichen Meer plaziert. Eine Erweiterung der Stadt käme dann einer Landgewinnung gleich.

Ein weiteres, kleineres, Problem ist, daß man die Erde und damit Stadt verlassen kann, indem man z.B. mit einer Rakete ins All fliegt. Das aber widerspricht Wittgensteins Behauptung, daß alles auf dem Feld der Sprache spielt. Ein bemannter Satellit hätte beispielweise die Möglichkeit, die gesamte Stadt, wenngleich auch nicht auf einmal, zu überblicken, ohne dabei Teil der Stadt zu sein.

4. Zusammenfassung

Obwohl Wittgenstein sich nicht die Mühe gemacht hat, seinen Vergleich weiter auszuführen oder zu prüfen, ob dieser zu seinen eigenen Theorien paßt, hat diese Untersuchung(7) gezeigt, daß es im großen und ganzen ein recht guter Vergleich ist. Wie jedes Bild hat auch dieses seine Grenzen, wirft auch dieses Probleme beim genauen Betrachten auf, doch halten sich diese Schwachstellen in Maßen. Es wurde in dieser Arbeit der Versuch unternommen, Wittgensteins Bild derart darzustellen, daß es konform ist mit den Theorien, die er im ersten Teil der PU vorstellt. Dabei kann es sein, daß das Bild zu arg strapaziert wurde und so ins Banale glitt. Doch kann man keinen Vergleich kritisieren, der nicht ausgeführt ist: Daher meine Entscheidung, mich zu bemühen Wittgensteins Bild erst einmal zu vervollständigen.

Als Fundament des Vergleiches wählte ich den Vergleich, daß den Sprachspielen Straßen entsprächen; ein Ansatz, der gegenüber anderen einen weitergehenden Vergleich ermöglicht. Es scheint, als ob dieser Vergleich genügend "Dynamik" besitzt, um Wittgensteins Theorien gerecht zu werden.

Viele Fragen und Probleme sind noch offengeblieben, die den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätten: Nicht nur weitere, das Leben bestimmende Dinge wurden ausgelassen- wie z.B. die Frage nach dem Zusammenhang von Denken und Sprache- sondern die Theorien Wittgensteins wurden nicht problematisiert, obwohl sich gerade dadurch das Bild noch klarer gestalten ließe.

Abschließend aber kann man nur betonen und wiederholen, daß dieses Bild nur ein einziges Bild der Sprache darstellt und somit dazu "verdammt" ist, keinen vollständigen Vergleich zu ermöglichen.


Fußnoten

(1)

Sprache bezeichnet hier alle menschlichen Sprachen, verbale wie nicht-verbale

(2)

Dieser Vergleich hat wenig mit dem Vergleich von Ackermann [2] o.a. zu tun. Die Stadt von Ackermann nimmt die Stadt nicht als Bild der Sprache, sondern als Bild Wittgensteins Philosophie, auch wenn versucht wird, die Stadt mittels Wittgensteins eigenen Gedanken aufzubauen

(3)

Damit hätte man, wenn auch mit suspekten Mitteln, die schon lange geforderte Globalisierung der Welt erreicht

(4)

Man gehe von einer Zukunftsvision aus, in der alle Menschen in Wohlstand leben

(5)

Zumindestens die formalen Sprachen müßten diesem Anspruch genügen

(6)

Vermutlich tritt das Problem generell bei diesem Vergleich auf und ist nicht nur abhängig von dem speziellen Vergleich

(7)

wenigstens ansatzweise


Literatur

[1]

Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus, Tagebücher 1914-1916, Philosophische Untersuchungen, Werkausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main, 10. Auflage, 1995.

[2]

Ackermann, Robert John: Wittgenstein's City, Massachusetts, 1977

[3]

Baker, G.P./ Hacker, P.M.S.: An Analytical Commentary on Wittgenstein's Philosophical Investigations, Volume 1, Oxford, 1984

[4]

Beerling, R.F.: Sprachspiele und Weltbilder, Freiburg/München, 1980

[5]

Boltzmann, Ludwig: Über die Entwicklung der Methode der theoretischen Physik in neuerer Zeit, aus: Populäre Schriften, S.198, Amsterdam, 1905

[6]

Roser, Andreas: Die Privatsprache der Privatsprachenkritik bei Ludwig Wittgenstein, Frankfurt am Main, 1991

[7]

Savigny, Eike von: Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen", Band I, Frankfurt am Main, 2. Auflage, 1994

[8]

Teuwsen, Rudolf: Familienähnlichkeit und Analogie, Freiburg/München, 1988

[9]

Wuchterl, Kurt: Struktur und Sprachspiel bei Wittgenstein, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1969