Auf der Suche nach Ewigkeit.

Über Strategien und Wege zu Unsterblichkeit zu gelangen

"Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit

versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt."

Ludwig Wittgenstein

Inhalt:

    1. "Unsterblich verliebt sein" und die "ewige Jugend"
    2. Der Beitrag Zygmunt Baumans zu Sterblichkeit und Unsterblichkeit
    3. Gegenwärtige Ideen, Utopien und Strategien zu potenieller Unsterblichkeit zu gelangen
    4. Hans Moravec: Vom Mensch zur Cyberspace-Matrize

      Frank J. Tipler: Die Physik der Unsterblichkeit

      Die Idee der Kryonik

      Das soziale Gedächtnis

      Das Internet als elektronisches Gedächtnis

      Das Fortleben durch die eigenen Nachkommen

    5. Ein "endliches" Ende

1. "Unsterblich verliebt sein" und die "ewige Jugend"

In der Alltagssprache, in Schlagertexten und in der (trivialen) Literatur werden Begriffe wie "Unsterblichkeit", "Unendlichkeit" und "Ewigkeit" oft als metaphorische Ausschmückungen und zur Illustration außergewöhnlicher Schönheit, besonderer Treue ("die ewige Treue") oder zur Beschreibung ungewöhnlich aufwühlender emotionaler Zustände ("unendliche Trauer", "unsterblich verliebt sein") gebraucht. Auch die Werbung, besonders auffällig im Bereich der Gesundheits- und Kosmetikindustrie, instrumentalisiert solche Begriffe um potentiellen Konsumenten durch den Kauf und den Gebrauch ihrer Produkte einen kleinen Schritt Richtung "ewiger Jugend" zu verheißen, sie durch Vermerke wie "gefertigt für die Ewigkeit" auf außergewöhnliche Qualität und Robustheit, oder in der Schmuckfabrikation auf die "Unvergänglichkeit" von Diamanten und anderen Edelsteinen aufmerksam zu machen. Auch in Comics und in der Science Fiction und Fantasy Literatur spielen Unsterblichkeit und ewiges Leben eine besondere Rolle. Hierbei handelt es sich oft um Wesen, die nicht sterblich sind oder die die menschliche Sterblichkeit überwunden haben und deshalb eine besondere Faszination auf Leser wie Autoren ausüben [1]. Eine herausragende Rolle nimmt die Idee der Unsterblichkeit und die eines Lebens nach dem Tod in den unterschiedlichen religiösen Weltdeutungen ein [2]. Auch in der Geschichte der Philosophie ist die Thematik der Unsterblichkeit von den unterschiedlichen Schulen aufgegriffen und mit unterschiedlichen Meinungen und Interpretationen versehen worden [3]. Innerhalb der Soziologie ist die Thematik der Unsterblichkeit bisher nur marginal vorhanden. Eine mögliche Vorstufe der Unsterblichkeit, die der medizinisch-technischen Lebensverlängerung, wird zum Teil in der Medizinsoziologie und der Umwelt- und Techniksoziologie behandelt. In Zukunft jedoch könnten technische Unsterblichkeitsstrategien (Ausführung weiter unten) stärker in den Fokus geraten. Klaus Feldmann und Werner Fuchs-Heinritz bemerken innerhalb der soziologischen Theorie eine unhinterfragte Vorannahme der Unsterblichkeit von Kollektiven, die sie als nicht gegeben ansehen:

"Offensichtlich wirkt die Annahme von der "Unsterblichkeit" der Großkollektive auch in heutigen soziologischen Theorien und prägt hintergründig soziologisches Arbeiten generell. Unausgesprochen gilt die Gesellschaft, gerade durch die Betonung des sozialen Wandels hindurch, als ewige Substanz, in der die toten Individuen >>aufgehoben<< sind, wobei der Grad der >>Aufgehobenheit<< von ihrer gesellschaftlichen Leistung abhängt. Gesellschaftliche Institutionen sichern das Überleben der Individuen und müssen, um diese sichernde Funktion zu erfüllen, die Individuen überdauern. Sterblichkeit der Individuen und Unsterblichkeit der Institutionen sind also soziologisch verknüpft.

Gesellschafts- und kulturtranszendierende Mythen oder Ideologien waren die >>Konsequenzen<< von wiederkehrenden Erfahrungen der Vernichtung von Kollektiven, das heißt der Aufhebung des Unsterblichkeitsversprechens. Universalistische Religionen und >>die Wissenschaft<<, damit auch die soziologischen Grundlagentheorien, sind Beispiele solcher Metamythen, die implizite Unsterblichkeitsversprechen transportieren.

Aber im Grunde gilt allgemein: die Unsterblichkeit der Institutionen – mögen sie sich noch so universalistisch gerieren – ist in Wirklichkeit nicht gegeben, sondern nur strukturell beansprucht und ideologisch zugesichert."

(Feldmann, K. & Fuchs-Heinritz, W. 1995: S. 13)

In dieser Arbeit soll nun der Beitrag Zygmunt Baumans zum Thema Tod und Unsterblichkeit kurz dargestellt werden und anschließend der Versuch einer schematisierten Darstellung verschiedener, gegenwärtiger Möglichkeiten und Strategien zu Unsterblichkeit zu gelangen, anhand von Beispielen, erfolgen.

2. Der Beitrag Zygmunt Baumans zu Sterblichkeit und Unsterblichkeit

"Wo die Individuen nicht unterschieden sind, verschlingt die Unsterblichkeit der Gattung die Sterblichkeit des Individuums. Die Frage der Sterblichkeit wird also überhaupt erst dem eigentlichen Individuum, im Sinn des Unwiederholbaren, Unersetzlichen, gegenüber akut"

Georg Simmel

In seinem 1994 erschienen Werk "Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien" setzt sich Zygmunt Bauman mit der Problematik der Sterblichkeit und der Idee der Unsterblichkeit auseinander.

Das Wissen um die eigene Sterblichkeit ist die Voraussetzung um zu der Idee der Unsterblichkeit zu gelangen. Die Basis zur Sicherung der Unsterblichkeit bildet die Kultur, die die biologische Lebenszeit des einzelnen überdauert. Die Sterblichkeit und der Tod sind dort am mächtigsten, wo sie nicht unter ihrem eigenen Namen auftreten (wie z. B. Friedhöfe, Krematorien, Hospize etc. mit dem Tod assoziiert werden), sondern in Bereichen in denen sie nicht vermutet werden und ihre Existenz nicht wahrgenommen, geradezu geleugnet wird. Aufgabe der Kultur ist es von der Allgegenwärtigkeit der Sterblichkeit abzulenken:

"Menschliche Kultur ist einerseits eine gigantische (spektakulär erfolgreiche) und ununterbrochene Anstrengung, dem menschlichen Leben Sinn zu verleihen, und andererseits eine hartnäckige (nicht ganz so erfolgreiche) Bemühung, das Bewußtsein der unrettbaren Unbeständigkeit und Ersatzhaftigkeit eines solchen Sinns zu verdrängen. Die erste Anstrengung bliebe ohne die ständige Unterstützung durch die zweite beklagenswert erfolglos." (Bauman 1994: S. 18)

Durch verschiedene Strategien zu Unsterblichkeit zu gelangen soll die Furcht vor dem Tod und der Sterblichkeit zerstreut werden. Bauman unterscheidet zunächst zwei Hauptstrategien: die der kollektiven und die der individuellen Unsterblichkeit. Bei der kollektiven Unsterblichkeit steht das Fortleben der Gattung (Bauman nennt weitere Beispiele wie die Kirche, das Vaterland, die Partei, die heilige Sache) im Mittelpunkt, der Einzelne ist sterblich und wird nicht mehr sein, die übergeordnete Einheit, der er angehört, wird seinen Tod aber überdauern und fortbestehen. Da bei fast allen Formen menschlichen Zusammenlebens bestimmte Muster in der Behandlung der Verstorbenen zu finden sind, kann man davon ausgehen, daß durch Bestattungsriten und ritualisierte Totengedenkfeiern der verstorbenen Einzelnen als Teil des Kollektivs gedacht wird und sie im Gedächtnis ihrer Nachkommen existent bleiben. Im kollektivem Gemeinschaftsleben liegt die Macht, das Ableben eines Einzelnen aufzuheben, denn durch das ritualisierte und institutionalisierte Gedenken finden auch die Lebenden Trost, da sie wissen daß auch ihrer nach ihrem Ableben gedacht werden wird:

"Gedenkriten proben die Nicht-Endgültigkeit des Todes. Zudem stellen sie die fortdauernde Existenz der Gemeinschaft als Gewähr dafür dar, daß sich die individuelle Vergänglichkeit zumindest für gewisse Zeit überwinden läßt. Sie trennen den Augenblick des körperlichen Todes vom Augenblick des sozialen Todes, machen diesen von jenem unabhängig und erheben nur den zweiten, den sozialen Tod in den Rang der Endgültigkeit. Während sie dem Traum von der Unsterblichkeit Gestalt geben, stellen sie die drohende Sterblichkeit in den Dienst des gesellschaftlichen Zusammenhalts." [Herv. Im Org.] (Bauman 1994: S. 83)

Da bei Rangunterschieden der verschiedenen Gruppenmitglieder verschiedene Bestattungs- und Trauerzeremonien praktiziert werden ist eine Gleichheit aller Mitglieder in der Behandlung nach ihrem Ableben nicht gegeben. Dies bedeutet für manche (ranghöhere) Menschen >>weniger sterblich<< als der Rest der Gruppe zu sein, da ihnen ausführlichere Gedenkriten zuteil werden. Die übrigen Gruppenmitglieder gehen, ohne Namen, als Teil eines Ganzen, als Teil der Masse oder des Volkes in die Erinnerung des Kollektivs ein. Bauman spricht in diesem Zusammenhang von einer anonymen Weise in die Zukunft einzugehen, sozusagen als Zahlen in der Statistik. Dem Großteil der Gesellschaftsmitglieder wird in der Strategie der kollektiven Unsterblichkeit Individualität verwehrt. Der Wunsch nach individueller Unsterblichkeit geht auf im Dienst an der Unsterblichkeit der übergeordneten Einheit.

In dieser Strategie sieht der Autor eine Ursache für Aufspaltungen in Freund- und Feind Schemata, da sich jedes Kollektiv gegenüber anderen Kollektiven für die Legitimität und Zweckmäßigkeit ihrer Ordnung zu rechtfertigen und gegenüber den anderen abzugrenzen hat. Dazu gehört, daß kein Kollektiv größeren Anspruch auf Unsterblichkeit erheben kann, als das eigene, denn sonst wäre die Zukunftsträchtigkeit des eigenen Kollektivs ja dahingestellt: "Die Strategie der Gruppenunsterblichkeit besteht generell gesagt darin, ihre eigene Gruppe von der Bedingung der Vergänglichkeit auszunehmen, die sich auf alle anderen Kategorien und Kollektive der menschlichen Gattung erstreckt." (Bauman 1994: S. 179).

Bei der zweiten Strategie, der Strategie der individuellen Unsterblichkeit, steht das Fortleben des Einzelnen im Mittelpunkt. Ihrer Natur nach sind alle Menschen sterblich, manchen gelingt es jedoch in der Erinnerung der Nachfahren als einzigartige Individuen bestehen zu bleiben. Bauman unterscheidet zwei Personengruppen, deren Taten und Werke so unverwechselbar hervorstachen, daß sie möglicherweise für immer im Bewußtsein der Menschheit fortleben: Zum ersten die der Herrscher und großen Führer, Könige, Gesetzgeber und Generäle, zum zweiten die der Schriftsteller und Intellektuellen, Philosophen, Poeten und Geisteswissenschaftler. Der Schlüssel zur Beständigkeit in der Ewigkeit liegt in der Gegenwart; was zukünftig unsterblich werden wird, wird aus den Archiven und Aufzeichnungen der Gegenwart entstammen. Die Geschichtsschreibung spielt deshalb für die Unsterblichkeitsaspiranten eine besondere Rolle, je mehr Spuren hinterlassen werden desto besser, je größer die Bekanntheit desto größer die Wahrscheinlichkeit daß man nicht vergessen wird. In Anlehnung an Marx stellt der Autor fest, daß die herrschenden Ideen stets die Ideen der herrschenden Klasse sind. In diesem Fall sollen nun die herrschenden Ideen nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Zukunft als die herrschenden Ideen bestehen bleiben. Auch die Biographien und Gesichter der Herrschenden sollen in die Geschichte eingehen, sich von der grauen Masse abheben. Ob dies gelingt und die Aussicht auf Unsterblichkeit bestätigt wird, hängt von den zukünftigen Generationen ab und deren Willen die Bedeutung jener Taten und Werke anzuerkennen. Die Möglichkeit die Zukunft zu binden ist nur kollektiv möglich indem man dafür sorgt, daß die vorherrschenden Ideen die vorherrschenden bleiben. Dazu benötigen die Herrschenden die Hilfe der "professionellen Unsterblichkeitsmakler" (Baumann 1994: S. 93), womit Schreiber, Sänger, Gelehrte, Intellektuelle etc. gemeint sind. Diesen kommt nun die Aufgabe zu Unsterblichkeit zu etablieren, das heißt Geschichte zu schreiben. In der nun folgenden moralischen und wertenden Darstellung Baumans kommt es durch diese Annäherung zwischen der begüterten Klasse der Möchte-Gern-Unsterblichen und den über allem materiellen stehenden Intellektuellen und Künstlern zu einem Schwinden des Wertes der Kunst und (in Anlehnung an Michel Foucault) zum Tod des "universellen Intellektuellen".

"Diese Strategie eignet sich nicht für die Masse, es muß daran gearbeitet werden sich als Persönlichkeit möglichst von der grauen, anonymen Masse, allem Gewöhnlichen und Durchschnittlichem abzuheben: "Sie [Fürsten wie Weise, die persönliche Unsterblichkeit suchen] müssen durch den Kontrast ihrer Individualisierung zur Kollektivierung der anderen, sich in einer gesichtslosen Masse verlierenden Menschen jene Gräben aufwerfen, erweitern und vertiefen, die sie von den >>gewöhnlichen Sterblichen<< trennen." (Bauman 1994: S. 102 f)

In der Strategie der individuellen Unsterblichkeit sieht Bauman eine der Hauptursachen für die soziale Schichtung und sie liefere damit den eigentlichen Gehalt von Rangunterschieden und Privilegien, wie auch den wichtigsten Köder für statusorientierte Bestrebungen, den gesellschaftlichen Aufstieg, den begehrten Preis im Wettstreit um gesellschaftliche Positionen.

Bauman untersucht zwei Strategietypen (welche die heutige Gesellschaft gleichzeitig anwenden will): erstens den modernen Typ und seinen charakteristischen Trieb Sterblichkeit zu >>dekonstruieren<< und zweitens den postmodernen Typ und dessen Bemühung, Unsterblichkeit zu >>dekonstruieren<<. (1994: S. 21/22)

Der moderne Typ spricht die Sprache des Überlebens, eine instrumentelle Sprache, eine Anleitung für zweckgerichtetes Handeln, die zeigt wie man sich richtig zu verhalten hat um zu überleben:

"...die praktische Beschäftigung mit bestimmten Lebensbedrohungen verdrängt die metaphysische Beschäftigung mit dem Tod als dem unausweichlichen Ende des Daseins. Sich in Form halten, Sport treiben, >>ausgewogen essen<<, mehr Ballaststoffe, weniger Fett zu sich nehmen, Raucher meiden oder die Verunreinigung des Trinkwassers bekämpfen: all das sind bewältigbare Aufgaben, solche, die sich durchführen lassen und die das nicht handhabbare Problem (oder vielmehr das Nicht-Problem) des Todes (an dem sich nichts ändern läßt) in eine Reihe äußerst handlicher Probleme umformulieren (an denen sich manches, ja sogar eine Menge ändern läßt)." (Bauman 1994: S. 199)

Durch ein Zweck-Mittel-Denken wird Sterblichkeit "dekonstruiert", der Tod und was damit zu tun hat wird hinter die Kulissen des Alltags verlagert und verborgen. Die Menschen sind nicht mehr allgemein sterblich, sondern jedem Tod wird nun eine, ihm spezifische, Ursache zugesprochen, man stirbt nicht mehr "am Tod", sondern an einer bestimmten Krankheit oder man wird ermordet. Da man die Ursachen kennt, kann man diese bekämpfen, bzw. sich an Vorschriften und Verbote halten um diesen zu entgehen. Gegen die Ursachen des Todes vorzugehen wird zum Sinn des Lebens, man kann etwas gegen den Tod tun, nicht gegen den Tod allgemein – wohl aber gegen diese oder jene Todesursache, vor der man gewarnt wird. Durch diese Verhalten wird der modernen Medizin eine geradezu magische Kraft gegen die Ursachen des Todes zugeschrieben. Innerhalb der medizinischen Praxis kommt es dabei jedoch zur schroffen Differenzierung der Gesellschaftsmitglieder. Die Folgen dieses Strategietyps greifen aber noch in weiteren Bereichen:

"Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Sünde und Verbrechen – in einer öffentlichen, von Medizinern beherrschten Debatte – zu der allumfassenden Kategorie der Krankheit verschmolzen." (Bauman 1994: S. 221)

Die These Baumans hierzu lautet nun, daß die umfassende "Pathologisierung" des Alltags, eine Leistung des Diskurses um die Degeneration, ein unvermeidliches Ergebnis der Todesfurcht war, die durch die Dekonstruktion der Sterblichkeit zwar verdrängt und unterdrückt, aber nie zerstreut und überwunden werden konnte. Durch rationale Handlungsvorgaben, also dadurch daß man etwas tun kann, soll von der Irrationalität des Todes abgelenkt werden, alle Hoffnung wird ins Handeln gesetzt, solange man noch handeln kann ist es nicht zu spät und ständig tauchen neue Handlungsvorgaben auf, um potentiellen Todesursachen zu entgehen. An die Stelle der einen großen Sorge ums Überleben ließ die Moderne die vielen kleinen, handhabbaren gemachten Sorgen über ausgesuchte Sterbeursachen treten. Dadurch, daß man etwas "Vernünftiges" und "Nützliches" gegen den Tod tun kann, wird er handhabbar gemacht, rationalisiert. Eine Folge dieses Verhaltens ist, daß man ständig einen "bedrohlichen Anderen" benötigt, gegen den man vorgehen oder vor dem man sich schützen kann. Bauman geht an dieser Stelle auf den Rassendiskurs ein, hier bemerkt er die Zuschreibung lebensbedrohlicher Krankheiten zu bestimmten Rassen, die von der eigenen, der gesunden getrennt werden müssen, was zum Gebot der Rassenhygiene führt. Das Gebot der Hygiene ist aber auch im alltäglichen Leben entscheidendes Produkt der Dekonstruktion der Sterblichkeit, im Alltag sind der Schmutz (wie wir ihn personalisiert aus unzähligen Werbespotts kennen), die Bakterien und Viren die bedrohlichen, ekelerregenden und abscheulichen Feinde, gegen die es vorzugehen gilt. Die irrationalen Gefühle gegenüber unhygienischen Zuständen und die daraus resultierenden irrationalen Maßnahmen sind die Kehrseite der neuzeitlichen Rationalisierung des Todes. Zusammenfassend noch einmal Bauman:

"Wir sollten noch einmal wiederholen, daß die medizinischen Maßnahmen Ersatzlösungen für die unlösbar existentielle Lage sind. Sie lenken bloß die Aufmerksamkeit von den großen, nicht zu bewältigenden Fragen ab und auf andere, kleinere hin, die sich erledigen lassen. Die Ohnmacht angesichts des >>größten Problems<< muß durch fanatischen Eifer und die hitzige Aufregung über die kleineren Probleme ausgeglichen (erstickt?, verschleiert?, niedergeschrien?) werden. Daher die Hysterie – gleichgültig ob die gewitterte Gefahr von salmonelleninfizierten Hühnern, Rauchern, wahnsinnigen Rindern, Homosexuellen, Türken in Deutschland, Algeriern in Frankreich, Schwarzen in England oder von Zigeunern überall auf der Welt ausgeht. Durch die Unterdrückung des Wissens um die Nicht-Endgültigkeit, um die hoffnungslos zeitliche Natur jeder Erlösung, um die Gefährdetheit wie auch die endemische Ergebnislosigkeit aller Überlebensanstrengungen wird die echte Furcht vor dem frühzeitigen Tod solange gemästet und aufgebläht, bis sie neurotische Dimensionen annimmt." (Bauman 1994: S. 237)

Bauman stellt dem modernen Typ nun den postmodernen Typ gegenüber. Lag dem modernen Typ ein projektorientiertes, in die Zukunft gerichtetes Zeitkonzept zugrunde, orientiert sich der postmoderne Typ nicht mehr an der Zukunft, alles was für ihn zählt spielt sich im jetzt, im jeweiligen Augenblick ab: "Zwar läuft die Zeit immer noch, der Richtungsweiser ist allerdings im Fluß der Zeit verloren gegangen. Nun unterscheidet sich kein Augenblick mehr vom anderen. Jeder Augenblick oder kein Augenblick ist unsterblich. Die Unsterblichkeit ist da – aber nicht um dazubleiben. Die Unsterblichkeit ist ebenso vergänglich und flüchtig wie alles übrige auch. Sie ist so nomadisch wie die Nomaden, denen sie dient..." (Bauman 1994: S. 249) Um das Zeit-Raum-Konzept zu illustrieren weist er dem modernen Typ die Metapher des Pilgers, dem postmodernen Typ die Metapher des Nomaden zu. Wird der Pilger noch von einem Lebensprojekt angetrieben, nach dem er sein Leben plant, ausrichtet und verfolgt, fehlt dieses beim postmodernen Nomaden. Die rast- und ruhelosen Nomaden ziehen zwischen unverbundenen Plätzen hin und her, auch ihre jeweilige Identität ist eine vorbehaltliche und vorübergehende, die in der Gegenwart ständig neu ausgebildet werden muß. Für den Nomaden hat es keinen Sinn sich auf die Zukunft oder sonst irgendeinen anderen Moment als den Augenblick zu fixieren:

"Und so muß nichts für die Dauer getan werden. Nichts kann für die Dauer getan werden. Das Wissen, das ich mir heute so eifrig aneigne, wird morgen völlig unbrauchbar sein, wenn nicht gar als glatte Unwissenheit gelten. Die Fertigkeiten, die ich mir heute im Schweiße meines Angesichts erwerbe, werden mir in der kühnen neuen Welt der Technologie und des Könnens von morgen kaum helfen. Die Arbeitsstelle, die ich gestern im harten Wettbewerb erhalten habe, wird morgen verschwinden. Die Karriere, deren Stufen ich mühsam erklimme, wird sich auflösen – mit Stufen, Treppe, Gebäude und allem. Meine Trophäen, mein Stolz von heute, werden morgen zum Geschmack von gestern geworden und mir peinlich sein. Die Bindung, die zu ehren ich geschworen habe, wird morgen beim ersten Anzeichen von Unzufriedenheit, sei es der meinigen oder der des Partners, zerbrechen und aufgelöst werden. Vielleicht wird es eine kleine Schar >>lebenslanger Gefährten<< geben. Keiner ist, keiner wird mein Partner sein, >>bis daß der Tod uns scheide<<: oder wenigstens wird nichts was ich tue, garantieren, daß sie oder er es sein werden." (Bauman 1994: S. 257)

Bisher war es so, daß nur die, die in die Annalen eingingen und dadurch Geschichte machten, durch diesen Vorgang unsterblich gemacht wurden. In der Gegenwart des postmodernen Typs hat nun aber jeder die Möglichkeit in die Geschichte einzugehen, da die Geschichte nicht mehr explizit auf den Bereich der Politik festgelegt ist, sondern auch bisher triviale Bereiche gleich relevant sind (Bauman nennt dies eine üppige Vermehrung von Historien [S. 259]). Da jetzt nichts mehr historisch im bisherigen Sinne ist, läßt sich im Prinzip unverzüglich Unsterblichkeit erwerben. Bauman illustriert dies an Quizspielen ("das postmodernste aller Unterhaltungsspiele"), in dem man durch das Wissen um den Anbruch einer neuen politischen Ära ebenso viele Punkte bekommt, wie für das Nennen des Titel eines Schlagers oder eines bestimmten Wettkampfs bei den Olympischen Spielen. Die Folge ist eine Verweltlichung und Demokratisierung der Unsterblichkeit, zumindest die Chancen darauf werden angeglichen. Die Zuteilung läßt sich jedoch durch eine neue Zunft von "Unsterblichkeitsmaklern", die sich nun aus Werbefachleuten, Galeristen, Kritiker, Programmdirektoren etc. zusammensetzt, beeinflussen. Die gesamte postmoderne Welt ist gekennzeichnet vom Verhaftetsein im Augenblick, in dem Dinge auftauchen, verschwinden und wiederkehren können. Dies gilt auch für die Unsterblichkeit selbst:

"Die Unsterblichkeit selbst ist es, die nun sterblich wird – allerdings hört der Tod auf, ein einmaliger Akt zu sein, ein besonderes, einzigartiges Ereignis mit unaufhebbaren Folgen. Der Sterblichkeit ist der Stachel der Endgültigkeit gezogen worden, jeder Sterblichkeit, einschließlich der Sterblichkeit der Unsterblichkeit: die Dinge verschwinden nur eine Zeitlang aus dem Blick, diese Zeit mag dauern, aber die Chancen stehen gut, daß es nicht für immer sein wird. Der Tod ist nur ein Aufschub, ein Übergangsstadium...Nur der Aufschub scheint wahrhaft >>unsterblich<< zu sein – dauerhaft und seiner Ewigkeit gewiß [...] – und wird sich nie heimlich in den >>wirklichen<< Tod auflösen." (Bauman 1994: S. 263 f)

In einer Welt, die auf keinem linearen Zeitkonzept aufgebaut ist, ist der Tod reversibel und widerruflich, er wird durch zeitweiliges Verschwinden abgelöst. Allerdings gilt dies auch für die Unsterblichkeit, sie ist nun kein anzustrebender Wert, keine Herausforderung mehr: "In der Welt ,in der es kein Sterben mehr, sondern nur noch ein Verschwinden gibt, löst sich Unsterblichkeit in die Melancholie der Präsenz auf, in die Monotonie endloser Wiederholung." (Bauman 1994: S. 266). Diese Wiederholungen machen sich nach Bauman in der Warenwelt, ebenso wie im Kunst- und Kulturleben in Form von Massenproduktionen und Kopien bemerkbar wobei er Originalen (den Repräsentationen) höherwertige Qualität und den Nachbildungen (den Wiederholungen) minderwertige Quantität zuschreibt. Desweiteren stellt er fest, daß es immer beliebiger wird Original oder Fälschung zu wählen, die Unterscheidung wird immer fließender bis das wirklich Ursprüngliche und Originale von der Nachbildung nicht mehr zu unterscheiden ist und es auch keine Rolle mehr spielt, ob es sich um Original oder Fälschung handelt wobei die ursprüngliche Bedeutung verloren geht [4]. Eine weitere Eigenschaft von Dingen und Ereignissen ist die allgemeine Folgenlosigkeit, so wie beispielsweise der Sexualität keine Gefühlsbindung oder soziale Pflicht zu folgen haben. Die tägliche Praxis ist gekennzeichnet von Flüchtigkeit und Vergänglichkeit, die sich auch auf die ursprüngliche Überlebensstrategie ausgeweitet hat, nicht nur die Sterblichkeit, auch die Unsterblichkeit wird nun dekonstruiert. In der zunehmenden Ungleichheit in der Verteilung der lebensrettenden und –verlängernden Maßnahmen des medizinischen Sektors sieht Bauman Anzeichen dafür daß die Strategie "Sterblichkeit zu dekonstruieren" nahe daran ist, ausgeschöpft zu sein. Aber auch für den zweiten, den postmodernen Strategietyp kommt er zu keinem allzu optimistischen Ergebnis:

"Die Dekonstruktion der Sterblichkeit machte die Gegenwart des Todes mehr als je zuvor allerorten spürbar: Sie erhob das Überleben zum Sinn des Lebens und die magische Beschwörung des Todes zu Lebensmodellen. Demgegenüber schien die Dekonstruktion der Unsterblichkeit den Sinn zu vernichten und die Notwendigkeit eines Modells zu leugnen. Paradoxerweise gipfelte das Projekt der Moderne in der Vernichtung ihres Werkes. Der Tod ist wieder zurück – un-dekonstruiert, un-rekonstruiert. Selbst die Unsterblichkeit ist nun in den Bann und unter die Herrschaft des Todes geraten. Es zeigte sich, daß für die Austreibung des Gespenstes der Sterblichkeit mit der kollektiven Unfähigkeit bezahlt werden mußte, Leben als Wirklichkeit zu konstruieren, Leben ernstzunehmen." (Baumann 1994: S. 297)

 

3. Gegenwärtige Ideen, Utopien und Strategien zu potentieller Unsterblichkeit zu gelangen

"Unsterblichkeit, 1) im eigentlichen Sinne das Freibleiben vom biologischen Tod. Auf dem Selbstbehauptungstrieb gegenüber der äußeren Naturgewalt beruht die Überzeugung des Menschen, daß er als Person, als bewußtes und handelndes Subjekt, der Vergänglichkeit nicht endgültig unterworfen sein könne. Kern dieser Überzeugung ist der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, d. h. ein persönliches Fortleben der menschlichen Seele nach dem biologischen Tod (>>ewiges Leben<<).

2) das Überdauern der Leistungen und Wirkungen eines Menschen in der Erinnerung der Nachfahren oder in der Wirklichkeit (Bauten, Kunstwerken, Erfindungen u.a.)."

(aus: Der Brockhaus in einem Band)

Ausgehend von dieser Definition werde ich nun den beiden unterschiedlichen Unsterblichkeitsbedeutungen verschiedene Strategien und Wege, Ideen und Konzepte zuordnen. Im folgenden werden technische Wege und Strategien zu Unsterblichkeit zu gelangen kurz vorgestellt, wobei ich exemplarisch die Ideen von Hans Moravec, Frank J. Tipler und die Idee der Kryonik herausgreife. Diese Strategien stellen nur einen Teil der technischen Wege zu Unsterblichkeit zu gelangen dar. Inzwischen haben sich unter den Begriffen des Transhumanismus und der Extropie weltweit vernetzte Bewegungen und Organisationen gebildet, deren erklärtes Ziel das Verlangsamen bzw. die Aufhebung des menschlichen Alterungsprozeßes und somit letztendlich die Überwindung der menschlichen Sterblichkeit ist. Das größte Potential sehen sie dabei in Bereichen der Molekularbiologie und Nanotechnologie, der Gentechnik (die Suche nach dem "Altergen"), der modernen Medizin ( z. B. Xenotransplantation), den Kognitionswissenschaften und der Künstlichen Intelligenz (dazu gehört das sog. "Uploading", das Speichern des Bewußtseins auf Festplatte)[siehe Quellen im Internet].

3. 1. 1. Hans Moravec: Vom Mensch zur Cyberspace-Matrize

Hans Moravec, Direktor des Mobile Robot Laboratory der Carnegie Mellow University, Pittsburgh geht von der rasanten Entwicklung einer künstlicher Intelligenz und der Computer – und Roboterwissenschaften aus. Für den Zeitraum der Jahre 2030 – 2040 sieht er bereits Universalroboter existieren, die ihrer Arbeitsleistung nach der menschlichen Ebene entsprechen und logische Überlegungen anstellen werden. Dadurch kommt es zu einem Wettlauf zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz. Die Chance, die er darin sieht, ist die einer Befreiung des menschlichen Geistes aus dem Körper des Menschen, womit die Unsterblichkeit für ihn in greifbare Nähe rückt. Er sieht die Möglichkeit eines postbiologischen Lebens, in dem der menschliche Geist innerhalb von Maschinen fortlebt, wobei er von einer grundsätzlich möglichen Trennung von Bewußtsein und Körper (einem expliziten Leib/Seele Dualismus) ausgeht. In einem von ihm geschilderten Szenario wird es in Zukunft möglich sein, menschliches Bewußtsein, durch Roboterchirurgen Stück für Stück in Computer zu übertragen, und dort zu installieren, womit der Computer zum menschlichen Äquivalent wird. Der Geist des Menschen wird in die Maschine übertragen. Am Ende dieses Prozesses stirbt der menschliche Körper samt dem Gehirn; das Bewußtsein, der Geist des Menschen, befindet sich jedoch vollständig in einem, von ihm ausgewählten, neuen Maschinenkörper. Ist der menschliche Geist erst einmal zu einer Art Software transformiert worden, kann man ihn abspeichern oder beliebig vervielfältigen. So sieht Moravec beispielsweise die Möglichkeit eine außerirdische Existenz zu gründen und sich innerhalb von Maschinen, als Computerprogramm, frei durchs Weltall zu bewegen, während auf der Erde eine Kopie des Bewußtseins zurückbleibt, die psychologisch so modifiziert wurde, daß sie dieses Wagnis scheut.

"Die alten Körper individueller Exe [Ex-Menschen, Anm. d. Verf.], in Cyberspace-Matrizen verwandelt, werden sich miteinander verbinden und die geistigen Prozesse der Exe werden sich in Form reiner Software nach Belieben durch diesen Raum bewegen. Je leistungsfähiger der Cyberspace wird, desto deutlicher wird sich die Überlegenheit gegenüber physischen Körpern auch an der rauhen Expansionsfront bemerkbar machen." (Moravec 1996: S. 186 f)

Diese Möglichkeiten bleiben nicht auf einzelne Menschen beschränkt. Nach Moravec wäre es auch möglich das Wissen von Tieren, sogar das Wissen der gesamten irdischen Biosphäre zu transformieren und letztendlich zu einer gigantischen denkenden Einheit zu verschmelzen. Falls es soweit käme wäre das menschliche Fortleben als "Cyberspace-Matrize" in der Tat unsterblich, wenn auch nicht frei von Krankheiten und Problemen. Moravec betont daß es auch in dieser Existenzform zum Beispiel zum Befall durch Parasiten und Computerviren kommen kann.

Das große Problem bei den Utopien Moravecs ist zum einen die Durchführbarkeit (die von vielen Fachleuten bezweifelt wird) zum anderen die viel entscheidendere Frage, ob dieses Leben, das innerhalb von Computerkreisläufen stattfindet, überhaupt noch mit menschlichen Leben gleichzusetzen ist. Die Vorstellung ohne einen menschlichen Körper zu leben und somit auch auf etliche Wahrnehmungsorgane wie die Haut oder den Geruchs- und Geschmackssinn verzichten zu müssen wirkt doch etwas befremdlich. Außerdem ist ungewiß, ob die Matrizen zu echten Gefühlen fähig sind, oder bereits bei der Transformation standardisiert wurden. Hinzu kommen noch ethische Fragen wie die der Auswahlkriterien: wer darf überhaupt transformiert werden, sollte man nicht gleich Korrekturen bei der Transformation durchführen? Abschließend hierzu der Kommentar Ernst Pöppels (1996: S. 24):

"...Wir hätten dann vielleicht in hundert Jahren auf dieser Erde zwei prinzipiell verschiedene menschliche Lebensformen, nämlich mit Hilfe der natürlichen Fortpflanzung traditionell erschaffene Menschen und künstliche Menschen, denen der mühsame Umweg der natürlichen Kreation erspart bleibt. Diese künstlichen Menschen hätten noch einen weiteren Vorteil: sie wären unsterblich, da sie nicht mehr von der Fleischlichkeit des Seins abhängig wären. Es ist in diesem Szenario ein naheliegender Gedanke, auf den traditionell produzierten Menschen ganz zu verzichten, die aufgrund ihrer Beschränktheit in dieser neuen Welt aus dem Rahmen fielen. In einem solchen Szenario empfiehlt sich dann ein kollektiver Genozid, um der neuen Lebensform, dem <<artificial life>>, in seiner Entfaltung nicht im Wege zu stehen."

 

3. 1. 2 Frank J. Tipler: Die Physik der Unsterblichkeit

Frank J. Tipler ist Professor für mathematische Physik an der Tulane Universityin New Orleans und forscht und arbeitet im Bereich der Kosmologie und der sogenannten globalen Relativitätstheorie. Für Tipler, der die Versöhnung von Wissenschaft und Religion anstrebt, ist es möglich die Existenz Gottes und die Wahrscheinlichkeit einer Auferstehung der Toten zum ewigen Leben auf genau die gleiche Weise berechnen, wie die Eigenschaften des Elektrons. (Tipler 1994: S. 13). Ausgehend von einem immer heißer werdenden und in sich zusammenstürzenden Universum (was nach Tipler in frühestens 100 Milliarden Jahren zu erwarten sein dürfte) kommt er zu seiner sogenannten Omega-Punkt-Theorie:

Er geht davon aus, daß wir uns noch in der Kindheit des Kosmos befinden und dieser sich chaotisch entwickle, intelligente Wesen dürften in der Lage sein, diese Instabilitäten zu nutzen, um die Bewegung von Materie in den allerhöchsten Größenordnungen zu manipulieren. Eine seiner wichtigsten Grundannahmen lautet, daß das Universum so beschaffen ist, daß Leben bis zum Ende der Zeit buchstäblich ewig weiterbestehen kann. In seiner Definition von "Leben" reduziert er Leben auf alles was dazu in der Lage ist Informationen zu codieren, d.h. auch menschliches Leben wird auf Informationsverarbeitung reduziert. In dem, von ihm angenommenen, geschlossenem Universum gibt es auch in Zukunft genug Energie für eine unendliche Menge von Informationsverarbeitung. Wenn das Leben fortexistieren will ist es gezwungen sich auf das gesamte Universum auszudehnen. Tipler schlägt eine Erkundung des Universums durch sich selbst reproduzierende universelle, intelligente Robotersonden nach dem Schneeballprinzip vor, worauf die Kolonialisierung durch terrestrisches Leben folgen soll. Die Ausbreitung des Lebens im gesamten All reicht jedoch noch nicht aus. Die Information, die Leben codiert, muß im weiteren Verlauf des kosmologischen Kollaps aus dem Material, aus dem sie jetzt besteht, in eine Form übertragen werden, die den Temperaturschwankungen bis zum finalen Omegapunkt standhält. Tipler schlägt hierzu vor das Universum selbst als Informationsspeicher zu nutzen, d. h. "Informationen entweder auf wandernden oder auf stehenden Wellen zu speichern und das Universum selbst als Zelle zu benutzen, um die Welle einzuschließen." (Tipler 1994: S. 194). Computer, die auf solchen Wellen basieren, würden intakt bleiben und während des Übergangspunkts normal funktionieren. Unsere Nachfahren könnten dadurch Einfluß darauf nehmen, wie das Universum kollabiere, das Ziel müsse dabei sein in den Omegapunkt hinein zu existieren, also Leben "hinüberzuretten". Ist dies geschafft befindet sich das Leben im finalen Omegapunkt, in dem unbegrenzte und unaufhörliche Kommunikation möglich ist: "Bei der Annäherung an den Omegapunkt muß Leben um seines Überdauerns willen kollektiv die Kontrolle über alle nahe dem Endzustand verfügbare Materie und Energiequellen erlangen; beim Omegapunkt wird diese Kontrolle dann umfassend. Wir können sagen, daß Leben in dem Augenblick, da es den Omegapunkt erreicht, allmächtig wird." (Tipler 1994: S. 198) Da Leben als Informationsverarbeitung definiert ist, ist der Omegapunkt nun eine Art übermächtiges, unendlich existierendes Überwesen, das alles weiß, was über das Universum gewußt werden kann. Für Tipler ist sicher, daß durch das Ansteigen der Temperatur im Universum die Spezies Homo sapiens unmöglich überleben kann, die Kultur derselben jedoch fortleben wird. Er sieht, ähnlich wie Moravec, die Möglichkeit als körperlose Wesen fortzuleben, womit die gesamte Menschheit (mitsamt ihren Haustieren!) als perfekte Computeremulation wiederaufzuerstehen und ewig zu leben in der Lage sein wird.

G. Fröhlich (1998: S. 204) bezeichnet aus diesem Grund den Omegapunkt als "Bild eines digitalen, virtuellen Himmels, eines Computer-Schlaraffenlands." Abschließend zu diesen beiden technischen Wegen der Kommentar Gerhard Fröhlichs (1998: S. 207):

" Moravecs und Tiplers Theorien können als Beispiele für die große Sehnsucht nach Unsterblichkeit – negativer formuliert: für die menschliche Ewigkeitssucht – angesehen werden, auch und gerade unter zeitgenössischen modernen Wissenschaftlern, und für ihren – trotz Tschernobyl und sonstiger menschenproduzierter Katastrophen – ungebrochenen Techno-Optimismus bzw. Machbarkeits-Wahn, für ihre gigantomanischen Zukunftspläne, die sie nicht nur für die Erde, sondern für das gesamte Universum wälzen - , wobei Tiplers geplante Eingriffe kosmischer Ausmaße weit über die Vorstellungen von Moravec hinausgehen."

 

3. 1. 3 Die Idee der Kryonik

Aufbauend auf den exakten Wissenschaften der Kryobiologie und der Kryogenetik, denen es zu verdanken ist, daß die Kältekonservierung von Blut, Zellmaterial und menschlichem Samen heute eine Standardprozedur ist, entstand Ende der Sechziger Jahre die Idee der Kryonik [5]. Hierbei handelt es sich um ein Verfahren bei dem die Körper von Verstorbenen bei minus einhundertsechsundneunzig Grad Celsius in Stickstofftanks in der Hoffnung aufbewahrt werden, daß sie eines Tages wiederbelebt werden können. Der erste Mensch (ein gewisser Dr. James Bedford) wurde 1969 diesem Verfahren unterzogen. Bisher ist es noch nicht gelungen, komplette Organe wie Nieren oder Herzen (geschweige denn komplette Körper) so tiefzukühlen, daß sie nach dem Wiederauftauen funktionsfähig waren. Da es schon Minuten nach dem Tod des Menschen zu irreversibelen Schäden der Gehirnzellen kommen kann, ist es unerläßlich den Körper unverzüglich herunterzukühlen und sehr schnell zu konservieren. Menschen, die sich für eine Kältekonservierung entscheiden (sie nennen sich Kryoniker), tragen deshalb ständig Anweisungen mit sich, damit behandelndes Personal weiß, was nach ihrem Ableben zu tun ist. Da vielen Kryonikern die Konservierung des gesamten Körpers zu aufwendig und zu teuer ist, lassen sich einige von ihnen nur die Köpfe (sog. Neuropräservation) einfrieren. Die Kosten für die Konservierung ganzer Körper betragen gegenwärtig zwischen 28000 und 150000 US-Dollar, die Konservierung der Gehirne zwischen 12000 und 50000 US-Dollar [6]. Den Wiedererweckungshoffnungen der Kryoniker gemäß werden die zu konservierenden Leichen und Körperteile im Jargon den Kryonikinstiute als "Patienten" (die es zu heilen gilt) bezeichnet.

Das größte Problem dieses Verfahrens ist es bisher die entstehenden Gefrierschäden, die am schwerwiegendsten in den Gehirnzellen sind, in den Griff zu bekommen. Kryoniker setzen hierbei auf die Nanotechnologie, von der sie sich erhoffen, daß es später möglich sein wird winzige Roboter in Körper einzusetzen die in der Lage sind die beschädigten Zellen zu reparieren. Diejenigen die nur ihre Gehirne einfrieren lassen setzen auf die Gentechnik, der die Aufgabe zukommt aus vorhandenem DNA Material den Körper zu rekonstruieren, in den dann das Gehirn eingesetzt werden soll. Gegenwärtig gibt es in den USA fünf Institute (siehe Internetquellen), die Kryonik-Verfahren anbieten, aber auch in Japan, Australien, Rußland, Schweden, den Niederlanden und Neuseeland gibt es Kryonikbewegungen.

Genau betrachtet handelt es sich bei der Kryonik um eine Wiederauferstehungshoffnung, ob, wann und wo man wieder belebt werden wird ist bislang völlig offen. Fraglich ist auch, wie die Wiederbelebten in einer viele Jahre entfernten Zukunft zurechtkommen würden, denn das gesamte Handlungswissen wäre vermutlich nicht mehr zeitgemäß und die menschliche wie dingliche Umwelt wäre vermutlich eine einzige Fremdheitserfahrung, nicht nur für den Wiederbelebten sondern auch für die Wiedererwecker. Was macht man schließlich mit einem Menschen, der seinen Alltag in einer weit zurückliegenden Vergangenheit hatte; er wäre möglicherweise ein idealer Kandidat in einer Art Museum als "lebendiges Stück Vergangenheit" ausgestellt zu werden. Abschließend der Kommentar A. C. Rowes, Direktor des kryobiologischen Rote-Kreuz-Institus in New York: " Der Glaube, Kryonik könne jemanden wiederbeleben, der eingefroren wurde, ist so ziemlich dasselbe wie die Idee, aus einem Hamburger wieder eine Kuh zu machen." (zitiert nach Freyermuth 1995: S. 257).

Wer sich nicht für eine Wiedererweckung interessiert, aber seinen Körper auch nicht unter der Erde oder im Krematorium verfallen bzw. verbrennen lassen möchte, der hat die Möglichkeit seinen Körper einbalsamieren oder plastinieren (siehe Quellen im Internet) zu lassen, oder ihn der medizinischen Forschung zur Verfügung zu stellen und dadurch möglicherweise in aufschlußreichen Forschungsergebnissen fortzuleben.

 

3. 2. 1. Das soziale Gedächtnis

Georg Simmel bemerkte ein Ungleichheit in der Erinnerung an Verstorbene im sozialen Gedächtnis. Nach Simmel findet auf der sozialen Ebene der Tod eines Durchschnittsmenschen kaum, der Tod eines Menschen mit ausgebildeter Individualität jedoch sehr starke Beachtung. Diese Bemerkung hat im Spiegel der Medien auch heute noch seine Gültigkeit. Waren es im Lauf der Geschichte noch Herrscher, Führer und Märtyrer, deren Tod öffentlich weite Beachtung fand und dessen gedacht wurde, ist die Öffentlichkeitswirkung des Todes auf Prominente aller Sparten ausgeweitet worden. Der höchste Grad der Aufmerksamkeit wird diesen zuteil, wenn der Tod sie zu Hochphasen ihres Schaffens und damit zu Zeiten maximaler Bekanntheit und Berichterstattung, ereilt. Je "spektakulärer" und außergewöhnlicher der Tod eintritt, desto präsenter ist derjenige Tote in der Öffentlichkeit [7]. Außergewöhnliche Tode, wie etwa die Selbstopferung der Märtyrer, ein tödliches Attentat oder die Selbsttötung auf dem Höhepunkt des Erfolges, bleiben in der kollektiven Erinnerung stärker präsent, als etwa der "gewöhnliche" Alterstod von Prominenten, der schließlich auch alle anderen Menschen trifft.

Nichtsdestotrotz findet langfristig eine erneute Selektion im Gedenken an verstorbene Persönlichkeiten statt. Verstorbenen, die sich durch ein außergewöhnliches Lebenswerk, einerlei ob auf politischer, künstlerischer oder wissenschaftlicher Ebene, auszeichnen, wird ein weitaus höheres Maß an kollektiv geteilter Erinnerung zuteil, als den restlichen Toten. Um sie zu ehren werden Straßen und Plätze nach ihnen benannt [8], Monumente zu ihrer Erinnerung errichtet, Preise in ihrem Namen vergeben, sie gehen in Nachschlagewerke und Lexika ein, man gedenkt ihrer auf Briefmarken [9], bei manchen wird der Todestag offiziell begangen. Im Zusammenhang mit der Würdigung bestimmter prominenter Toter spielt die regionale Bedeutung oft eine besondere Rolle. Die Zeichen der Ehrung und Erinnerung sind jedoch keineswegs für die Ewigkeit, Straßen und Plätze können, etwa bei einem Regierungsumsturz, umbenannt, Enzyklopädien und Geschichtsbücher umgeschrieben und die restlichen Werke verbrannt werden. Personen, die Verfahren eingeführt haben, die heute noch (ähnlich) wie damals angewandt werden, gehen in Verbindung mit diesen zumindest solange in das kollektive Gedächtnis ein, wie diese Verfahren die funktionalste Lösung darstellen. So ist etwa der Name Gutenbergs unauslöschbar mit dem Buchdruck verbunden, Pythagoras mit der Geometrie, oder Louis Pasteur mit der Entkeimung von Lebensmittel. Das soziale Gedächtnis ist nicht einheitlich institutionalisiert, es findet keine planmäßige kollektive Erinnerung statt, es ist selektiv, es finden nur einzelne, ausgewählte Tote besondere Beachtung. Fuch-Heinritz (1998: S. 131) schreibt dazu:

"Nimmt man die Institutionalisierungsformen, Merkmale und Funktionen des sozialen Gedächtnissen an die Toten gemeinsam in den Blick, so fällt vor allem die durchgehende Ungleichheit auf: Es gibt keine Erinnerungsmatrix, in der alle Toten Platz hätten, jedenfalls keine modern-säkulare – und dies trotz aller Thematisierung der Gleichheit aller Menschen seit zweihundert Jahren."

Zwei Sozialwissenschaftler, die dies ändern wollten, waren Stanley Hall und Auguste Comte. Stanley Hall schlug vor ein "court of the dead" einzurichten. Dieser solle sich mit jedem einzelnen Leben befassen um die "good lessons" und "meanings" aller aufzubewahren. Diese Institutionalisierung des sozialen Gedächtnisses sollte eine Steigerung der ethischen Kultur bewirken, und jeden dazu veranlassen, sich so zu verhalten, daß er vor dem irdischen Totengericht einen guten Stand hat. Auguste Comte hatte vor Hall die Idee, sieben Jahre nach dem Tod eines Menschen einen endgültigen Urteilsspruch über dessen Leben zu fällen. Sollte dies Leben von altruistischen Motiven und einem Ertrag für nachkommende Generationen geprägt sein, ist der Verstorbene würdig in den geheiligten Kreis der "Humantié", in der herausragenden Toten aller Epochen und Kulturen gedacht wird, einzugehen. Die Unwürdigen sollten aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt werden, sie erhalten kein Grabmal und werden zusammen mit Verbrechern und Selbstmördern verscharrt.

Individuen, die darauf abzielen, zu Ruhm und Ehre zu gelangen und somit im kollektiven Gedächtnis verhaftet zu bleiben, sind von sozialen Kontexten abhängig. Um zu ihrem Ziel zu gelangen ist es nötig einen guten Ruf zu etablieren, in der Öffentlichkeit präsent zu sein und einen möglichst hohen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Hierbei können die von Bauman als "Unsterblichkeitsmakler" bezeichneten Fachleute, wie Medienexperten, PR Agenturen, Biographen, Modeberater etc. in Anspruch genommen werden. Hier herrscht eine soziale Ungleichheit; nur wer über entsprechende Mittel verfügt ist in der Lage öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen, wie beispielsweise Stiftungen zu gründen, große Spenden zu überreichen oder die Patenschaft für seltene Arten zu übernehmen, die auf den Namen des Paten getauft werden können [10].

 

3. 2. 2. Das Internet als elektronisches Gedächtnis

Im jungen und sich rasch ausbreitendem Medium Internet bieten unzählige Erinnerungsgemeinschaften und virtuelle Gedenkstätten ihre Dienste an (siehe Internetquellen). Sie bieten die Möglichkeit Menschen wie Tieren und sogar Gegenständen ein virtuelles Denkmal zu setzen, wobei es möglich ist, Bilder, Texte sowie Audio- und Videobeiträge zu verwenden. Die meisten der Anbieter werben damit, daß sich durch die Nutzung ihres Angebots ein Stück Unendlichkeit und die Möglichkeit ewigen Gedenkens sichern läßt. Es besteht hierbei die Möglichkeit sich zu Lebzeiten selbst ein umfassendes Denkmal zu setzen, oder Verstorbenen, Freunden und Bekannten zu gedenken und Erinnerungen an sie im Netz zu speichern. Der Vorteil der virtuellen Gedächtnisstätten gegenüber privaten Homepages, auf denen man sich selbst und schließlich auch anderen problemlos gedenken könnte, soll eine die Zeiten überdauernde Existenz sein, da die private Homepage nach dem Tod des Betreibers gelöscht werden wird. Die meisten der Betreiber verlangen für ihre Dienste einige hundert, manche für ausführlichere Darstellungen mehrere tausend Mark, nur vereinzelt werden "Speicherungen" gegen geringe Spenden angeboten. Es stellt sich hierbei allerdings die Frage inwieweit das flüchtige Medium Internet mit Dauerhaftigkeit und Beständigkeit in Zusammenhang gebracht werden kann. Da die durchschnittliche Verweildauer von Dokumenten im Internet nur 30 Tage beträgt, sich Adressen im Netz ständig ändern und man beim Surfen im Internet oft auf sogenannte "tote" Links trifft (auch von den angeblich ewigen Gedenkstätten sind etliche aus Mangel an "Kunden" schon nicht mehr existent), ist die Dauerhaftigkeit von Darstellungen im Netz nur bedingt gegeben. Für Bibliothekare stellt sich die Frage, wie die im Netz gespeicherten Inhalte konserviert werden können, da sie aufgrund ihrer Vernetztheit und Dynamik nicht auf Papier, CD-Rom oder sonstigen bisherigen Datenträgern gespeichert werden können. Sollte nun eine neue Hard- oder Softwaregeneration die bisherige Internet-Technik veralten lassen, wäre die Alternative in Zukunft statt Bibliotheken Technik- bzw. Internet-Museen zu betreiben, um gespeicherte Inhalte in ihrer jetzigen Form nicht zu verlieren, was schon aus Kosten- wie Aufwandsgründen problematisch erscheint.

Für Zygmunt Bauman stellt die Speicherung virtueller Erinnerung im Internet geradezu den Prototyp des postmodernen Typs, und damit und der Dekonstruktion der Unsterblichkeit, dar:

"Angesichts der gigantischen Kapazität künstlicher Speichermedien und ihres unersättlichen Datenhungers ist es längst nicht mehr der Lohn weniger Auserwählter, für die Nachwelt erhalten zu bleiben. Heute hat jeder die Chance, seinen Namen und seine Vita auf ewig in das künstliche Gedächtnis der Computer zu übertragen. Umgekehrt hat niemand die Möglichkeit, sich privilegierten Zugang zu immerwährenden Gedenken zu erwerben. An die Stelle von Ruhm, jener Vorahnung von Unsterblichkeit, ist nun Bekanntheit getreten, der Inbegriff von Eventualität, Treulosigkeit und Willkür des Schicksals. Wenn jeder ein bißchen im Rampenlicht stehen kann, bleibt niemand ewig darin, aber es wird auch niemand für immer in die Dunkelheit gestoßen." (Bauman 1996: S. 254 f)

 

3. 2. 3. Das Fortleben durch eigene Nachkommen

Im Gegensatz zu Zymunt Bauman, der in der biologischen Reproduktion primär eine Methode zur Bewahrung der Unsterblichkeit der kollektiven Gattung sieht (1994: S. 45, S. 158ff), sehe ich in der Zeugung und der Erziehung von Nachkommen durchaus die Möglichkeit eines individuelles Fortlebens. Zum einen ist durch die biologische Reproduktion eine Vererbung von individuellen genetischen Merkmalen geben. Zum anderen werden die Eltern durch die Erziehung und die Präsenz in der Elternrolle, auch von nicht-eigenen Kindern im biologischen Sinn (z. B. adoptierten Kindern), zumindest im Gedächtnis der nächsten zwei bis drei Generationen als Vater/Mutter, Großvater/Großmutter, Urgroßvater/Urgroßmutter bestehen bleiben. Durch die Erziehung ist es zumindest teilweise möglich grundlegende Einstellungen, persönliche Ideale und Gedanken an die Kinder weiterzugeben, die dann ihrerseits (wenn diese von ihnen geteilt werden) an die eigenen Kinder weitergegeben werden können.

Desweiteren wäre es denkbar, daß eines der Kinder ein bestimmtes Talent entwickelt, das durch die gezielte Förderung der Eltern zu einer potentiellen Berühmtheit des Kindes führt. Somit wäre es möglich als Vater oder Mutter eines Prominenten weite Bekanntheit vielleicht sogar Ruhm zu erlangen. Möglicherweise schicken aus diesem Grund manche Eltern ihre Kinder schon von klein auf zu Klavier-, Gesangs-, Eiskunstlauf- oder Tennisunterricht [11]. Auch in der Erinnerung an verstorbene Familienmitglieder werden Ungleichheiten sichtbar. In adeligen Häusern wird besonderer Wert auf den Familienstammbaum und die Familientradition gelegt, in Familienbetrieben wohlhabender Kaufmannsfamilien leben die Vorfahren durch die Pflege und den Erhalt der Firma fort; auch hier wird in den Familienchroniken Wert auf die Abstammung und die Vorfahren, besonders auf den Firmengründer, gelegt. (Das Beispiel der Familien- und Traditionsverbundenheit einer Kaufmannsfamilie aus dem Geschlecht der Patrizer findet sich in Thomas Manns Roman "Die Buddenbrocks"). Besonders deutlich manifestiert sich das Andenken und die Wertschätzung verstorbener Familienmitglieder von Familien mit Tradition in der Lage und Ausführung von Familiengruften oder im Errichten gewaltiger Grabmäler.

 

4. Ein "endliches" Ende

" Je weniger die Menschen mehr wirklich leben, - oder vielleicht richtiger: je mehr sie dessen innewerden, daß sie eigentlich gar nicht gelebt haben, desto jäher und schreckhafter wird ihnen der Tod. (...) Wer stirbt, der merkt, daß er um alles betrogen war. Und darum ist der Tod so unerträglich."

Theodor W. Adorno

Das menschliche Leben ist endlich, bisher gibt es keine Möglichkeit dieser Tatsache zu entkommen. Strategien, die auf ein Bestehen nach dem Tode abzielen sind immer von den nachfahrenden Menschen abhängig: der Kryoniker muß darauf vertrauen, daß die Nachfahren ihn auftauen und wiederbeleben, derjenige der sein Angedenken einer Erinnerungsgemeinschaft im Internet anvertraut muß hoffen, daß man ihn nicht aus dem Speicher löscht und selbst Staatsmänner, Adelige und Künstler sind in ihrer Unsterblichkeit vom Gedenken der Nachfahren abhängig. Die Idee der Unsterblichkeit übt nach wie vor auf viele Menschen einen großen Reiz aus. Möglicherweise liegt in der Fixierung auf ein Bestehen in einer fernen Zukunft der einfachste Weg dem unerträglichen Zeitpunkt des Todes im Sinne Theodor W. Adornos auszuweichen.

Der Historiker Arthur E. Imhof (1998) schlägt zu dessen Überwindung eine "Ars vivendi", eine "Kunst des richtigen Lebens" vor, eine Kunst das Leben so erfüllt zu leben daß man das Gefühl hat, alles was man tun wollte, getan zu haben und deshalb auch ohne Aussicht auf eine Wiederholung oder eine unendliche Verlängerung an einem naturgegebenen Ende die Bereitschaft besteht "zur rechten Zeit" loszulassen. Würde diese Kunst der Ars vivendi in allen Gesellschaftsbereichen Einzug finden, wäre die Idee der Unsterblichkeit kein solches Thema mehr wie sie es heute ist.

Abschließend möchte ich an die Gedanken Talcott Parsons erinnen, demnach der Tod der Individuen nicht nur unvermeidlich, sondern sogar eine unverzichtbare Voraussetzung für die Entwicklung der Arten und der Evolution darstellt. Der Tod der Individuen sei funktional für die gesellschaftliche Entwicklung, nur durch die Neubesetzung von Rollen und Positionen durch die jeweiligen nachfolgenden Generationen kommt es zu den nötigen Anpassungsleistungen und dadurch ist es möglich "abgestandene" Weltkonzeptionen ohne Schaden für die Kultur verschwinden zu lassen. Der Tod sei für kulturelles Wachstum und für sozialen Wandel mit Ausschlag gebend, er beinhaltet sowohl eine biologische sowie ein kulturelle Notwendigkeit. Unsterblichkeit wäre in diesem Sinne wohl geradezu dysfunktional.

 

 

Literatur:

Barloewen, C. v. [Hrsg.] (1996): Der Tod in den Weltkulturen und Religionen, München

Bauman, Zygmunt (1988): Is there a postmodern sociology? Aus: Seidman, Steven [Hrsg.](1994): The Postmodern Turn. New Perspectives on Social Theory, Cambridge, S. 187 - 204

Bauman, Zygmunt (1994): Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, Frankfurt am Main [Eng. Org. 1992]

Bauman, Zygmunt (1996): Unsterblichkeit, Biologie und Computer, aus: Maar, Ch. u. a. [Hrsg.] (1996): Die Technik auf dem Weg zur Seele. Forschungen an der Schnittstelle Gehirn/Computer, Hamburg, S. 241 – 256

Bauman Zygmunt (1997): Postmodernity and ist Discontents, Cambridge, S. 141- 185

Borges, Jorge, Louis (1970): Der Unsterbliche, aus: Sämtliche Erzählungen, München, S. 7 - 23

Dombrowski, Heinz ( 1969): Die potentielle Unsterblichkeit, aus: Schaefer, Hans [Hrsg.] (1969): Was ist der Tod?, München, S. 131 - 146

Feldmann, Klaus (1995): Leben und Tod im Werk von Talcott Parsons, aus: Feldmann, K. und Fuchs-Heinritz [Hrsg.] (1995): Der Tod ist ein Problem der Lebenden. Beiträge zur Soziologie des Todes, Frankfurt am Main, S. 140-172

Feldmann, Klaus und Fuchs-Heinritz, Werner (1995): Der Tod als Gegenstand der Soziologie, aus: Feldman, K. und Fuchs-Heinritz [Hrsg.] (1995): Der Tod ist ein Problem der Lebenden. Beiträge zur Soziologie des Todes, Frankfurt am Main, S. 7 - 18

Freyermuth, Gundolf F. (1995): "Vom Hamburger zur Kuh" – Wiederauferstehungsutopie, aus: Beck, Rainer (Hrsg.): Der Tod. Ein Lesebuch von den letzten Dingen, München, 1995, S. 255 - 263

Fröhlich, Gerhard (1998): Techno-Utopien der Unsterblichkeit aus Informatik und Physik, aus: Becker, U. u.a.[Hrsg.] (1998): Sterben und Tod in Europa, Neukirchen-Vluyn, S. 187 – 213

Fuchs-Heinritz, Werner (1998): Die zerbrochene Vase, der zerbrochene Blumentopf. Überlegungen zur Ungleichheit der Toten im sozialen Gedächtnis, aus: Becker, U. u.a.[Hrsg.] (1998): Sterben und Tod in Europa, Neukirchen-Vluyn, S. 128 - 134

Hunke, Sigrid (1986): Tod – Wo ist dein Sinn? , Pfullingen

Imhof, Arthur E. (1998): Die Kunst des Sterbens (Ars moriendi) einst – und heute? Oder: Erfüllt leben – in Gelassenheit sterben, aus: Becker, U. u. a. [Hrsg.](1998): Sterben und Tod in Europa, Neukirchen-Vluyn, S. 118 -127

Macho, Thomas H. (1987): Todesmetaphern. Zur Logik der Grenzerfahrung, Frankfurt am Main, S. 7 - 233

Moravec, Hans (1996): Körper, Roboter und Geist, aus: Maar, Ch. u.a.[Hrsg.] (1996): Die Technik auf dem Weg zur Seele. Forschungen an der Schnittstelle Gehirn/Computer; Hamburg, S. 162 – 195.

Nassehi, Armin und Weber, Georg (1989): Tod, Modernität und Gesellschaft. Entwurf einer Theorie der Todesverdrängung, Opladen

Pieper, Josef (1968): Tod und Unsterblichkeit, München

Pöppel, Ernst (1996): Radikale Syntopie an der Schnittstelle von Gehirn und Computer, aus: Maar, Ch. u.a.[Hrsg.](1996): Die Technik auf dem Weg zur Seele. Forschungen an der Schnittstelle Gehirn/Computer, Hamburg S. 12 - 29

Schwartländer, Johannes [Hrsg.] (1976): Der Mensch und sein Tod, Göttingen

Tipler, Frank J. (1994): Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten, München, Zürich

Weber, Hartwig (1992): Religion – Lexikon der Grundbegriffe in Christentum und anderen Religionen, Hamburg

Wenger, Eberhard u. a. (1992): Der Brockhaus in einem Band, Mannheim

 

Quellen im Internet:

Lebensverlängerung, Transhumanismus und Extropie

De:trans Deutsche Gesellschaft für Transhumanismus: www.transhumanismus.de

Extropie & Transhumanismus in Deutschland: www.transhuman.de / www.extropie.de

World Transhumanist Association: www.transhumanism.org

Extropy Institute: www.extropy.com

Life Extension Foundation: www.lef.org

A4M American Academy of Anti-Aging Medicine/ World Health Network: www.worldhealt.com:

World Future Society: www.wfs.org

Private Transhumanisten Homepage: www.unsterblich.de

Kryonikinstitute:

Alcor Life Extention Foundation: www.alcor.org

Cryonics Institute: www.cryonics.org

American Cryonics Society: www.jps.net/cryonics/

CryoCare Foundation: www.cryocare.org

Trans Time: www.transtime.com

  

Virtuelle Gedenkstätten:

Hall of memory: www.hall-of-memory.com

Friedpark: www.friedpark.com

Die Totenwache: www.totenwache.de

Ewiges Leben: www.ewigesleben.de

Tierfriedhof: http://village.ch/~fschaller/fried.htm

Privater Friedhof: http://home.t-online.de/home/schwarzer-engel-/friedhof.htm

Virtueller Friedhof: www.cemetery.de

(Makaberer) Prominenten Friedhof: www.CelebrityMorgue.com

Weitere Quellen:

Link-Sammlung: www.postmortal.de/html/tod_im_internet.hmtl

Plastination: www.plastination.com

Plastinations-Ausstellung: www.koerperwelten.com

 

 

 

 Anmerkungen:

[1] Exemplarisch sei hier Jorge Louis Borges΄ Erzählung "Der Unsterbliche" erwähnt, auf die auch Zygmunt Bauman in mehreren Werken explizit verweist, und deren Inspiration vermutlich maßgebliche Gedanken Baumans zur Dekonstruktion der Unsterblichkeit folgten.

[2] Eine Darstellung der verschiedenen religiösen Interpretationen zu Tod und Sterblichkeit kann und soll hier nicht erörtert werden Einen Überblick liefern die entsprechenden Beiträge in: Schwartländer, J. [Hrsg.] 1976, Barloewen, C. v. [Hrsg.] 1996, Weber, H. 1992 und Hunke, S. 1986,

[3] Auch hier gilt, daß eine Darstellung der unterschiedlichen philosophischen Interpretationen den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ausführlich behandelt wird diese Thematik in: Pieper, J. 1968, Macho, T. 1987: S. 7 - 233, einen Überblick findet man bei Nassehi, A. und Weber G. 1989: S. 19 - 155.

[4] Passend hierzu die Ausführungen auf der Texttafel einer Ausstellung von Originalstücken der gesunkenen Titanic. In diesem Text Wurde vermerkt, daß die originalgetreuen Nachbildungen für James Camerons Titanic-Katastrophenfilm auf dem Markt teurer angeboten und verkauft wurden, als geborgene Originalstücke der echten gesunkenen Titanic.

[5] "Kryos" ist griechisch und bedeutet kalt.

[6] Durch die hohen Kosten kommt es zuerst zu einer Selbstselektion eher zahlungskräftiger Unsterblichkeitsanwärter. Kryonik-organisationen schlagen zudem vor, Zukunftsfonds anzulegen, daß man nach dem Auftauen nicht "mit leeren Händen" dasteht.

[7] Beispiele sind der Tod der Lady Diana, John F. Kennedys, Marilyn Monroes, I. Rabins, Uwe Barschels, Janis Joplins, Falcos, Kurt Cobains, Jimi Hendrixs oder der Tod eines Rennfahrers (oder sonstigen Sportlers), der bei einem Rennen (oder Sportveranstalltung) stirbt.

[8] Daß dies nicht nur für politische oder andere historische Größen gilt, zeigt die Ernennung einer Straße im spanischen Ort Leganes nach der australischen Rock-Gruppe AC/DC in "Calle de AC/DC" (SZ vom 24. 03. 2000).

[9] In Singapur ist es möglich sich gegen eine Gebühr auf einer persönlicher Briefmarke verewigen zu lassen (SZ vom 10 .03. 2000).

Im Zusammenhang mit der Verewigung persönlicher Gegenstände sind die, besonders in den USA sehr beliebten; sogenannten Zeitkapseln zu erwähnen, in denen persönliche Gegenstände, Fotos und andere Aufzeichnungen luft- und wasserdicht verpackt und anschließend meist vergraben werden.

[10] So versuchte etwa der, durch die CDU Spendenaffäre in Verruf geratene, ehemalige CDU Schatzmeister Walter Leisler Kiep durch eine Spende an die European Business School (EBS) die Benennung eines Gebäudekomplexes in "Walter Leisler Kiep-Center" zu erwirken (SZ vom 14. 03. 2000).

[11] Kinder von Prominenten treten möglicherweise oft in die Fußstapfen ihrer Eltern, um auf deren Bekanntheitsgrad aufzubauen. Dies scheint beispielsweise unter Kindern bekannter Schauspieler oft der Fall zu sein.

 

 

 

Joachim Allgaier

München im März 2000