#!/usr/bin/perl print qq§Content-Type: text/html §; 1. Einleitung

Nach wie vor steht die Öffentlichkeit dem Sadomasochismus sehr skeptisch, mit Ungläubigkeit, und Abscheu gegenüber. Dies ist vornehmlich bedingt durch Unkenntnis der genauen Vorgänge die in dieser Szene ablaufen. Durch Aufbereitung des Themas in der Boulevard-Presse, in Zielgruppenmagazinen und in Boulevard-Sendungen im Fernsehen, mischt sich langsam eine gewisse Neugier und Faszination in die öffentliche Meinung.

In dieser Arbeit sollen nun einige Aspekte der Interaktion in der sadomasochistischen Subkultur dargestellt werden. Nach der Begriffsklärung soll der erste Zugang zum Sadomasochismus beschrieben werden, dann persönliche Beziehungen im SM-Rahmen, dessen Codes und Symbole, das SM-Szenario und soziale Mechanismen im SM-Arrangement
 

2. Begriffsklärung

2.1. Spezialkultur

Der Begriff der 'Spezialkultur' wurde geprägt von Roland ECKERT, im Zusammenhang mit seiner Arbeit über Computerfreaks. Er meint damit "[...] Teilkulturen, die sich um spezialisierte Interessen bilden. Gerade im Freizeitraum [...] bilden sich Kristallisationskerne für neue Lebensstile" (Eckert et al. 1990, S. 1). Thomas A. WETZSTEIN (et al. 1995, S. 16) spricht von "Menschen [die] sich in immer spezielleren Subkulturen (Wahlnachbarschaften) zusammenschließen". Die 'spezialisierten Interessen' der Teilhabenden stammen aus Sport, Hobby, mediengestütztem Umfeld, Computerumfeld, Musikkultur, sexueller Neigung aber auch aus der Politik. Diese Personen bewegen sich in zwei voneinander getrennten Systemen. Zum einen im allgemeinen Alltagssystem und zum anderen im System der Spezialkultur.
 

2.2. Interaktion

 "Immer wieder begegnen Menschen anderen Menschen und tun oder sagen Dinge, auf die andere Menschen reagieren, während sie selbst auf das reagieren was andere tun oder sagen. Menschen beeinflussen also oft andere Menschen; diese Wechselwirkung wird Interaktion genannt" (Jager/Mok 1972, S. 77). Niklas LUHMANN (1984, S. 560ff) spricht von 'Interaktionssystemen', die zustandekommen, wenn Individuen anwesend sind. Ein Interaktionssystem ist also durch diese 'Anwesenheit' abgrenzten, die wiederum 'reflexive Wahrnehmung' impliziert. Sie ist gekennzeichnet durch Nichtsprachlichkeit und folglich durch 'hohe Komplexität' der 'Informationsaufnahme' und eine annähernd gleichzeitige, schnelle 'Informationsverarbeitung'. Daran kann die 'explizite Kommunikation' anknüpfen, die dem Handeln zugeordnet wird. Sie ist gekennzeichnet durch 'hohe Selektivität' der 'Informationsaufnahme', und einen 'sequentiellen' Ablauf der 'Informationsverarbeitung'.

Auf der Ebene der Wahrnehmung ist das Interaktionssystem 'trotz reflexiver Selbstregulierung extrem störanfällig'. "Was der Wahrnehmung auffällt, hat möglicherweise soziale Relevanz, kann in die laufende Kommunikation einbrechen" (Luhmann 1984, S. 562). Weiter spricht LUHMANN von 'struktureller Elastizität' und meint damit die Auswahlmöglichkeit eines Themas das ins Zentrum der Wahrnehmung gelangen kann. Interaktionssysteme können durchaus aufgelöst und zu einem späteren Zeitpunkt wieder konstituiert werden.
 

2.3. Sadomasochismus

Sadomasochisten sind Personen einer 'weithin mißverstanden Minderheit' (E. J. Haeberle {Vorwort} in Wetzstein et al. 1995, S. 9) die durch spezielles Sexualverhalten gekennzeichnet sind. Dieses Verhalten beinhaltet 'Gewalt, Herrschaft und Unterwerfung in sexueller Beziehung' (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 17), in Form von hierarchischen Rollenspiele, Bestrafungsritualen und von Zufügen von Schmerzen. Ein/e Partner/in nimmt dabei die aktive, dominante, sadistische Rolle ein und wird als Herr/in bezeichnet. Der/die andere nimmt die passive, submissive, masochistische Rolle ein und wird Sklave/Sklavin genannt. Es gibt aber auch Sadomasochisten die sich nicht auf eine Rolle festlegen, sondern im Zuge des sogenannten 'role switching' abwechselnd beide praktizieren.

In der frühen Sexualforschung wurde diese Neigung als Perversion abgetan. Richard von Krafft-Ebing leitete von den Autoren Marquis de Sade und Leopold von Sacher-Masoch die Ausdrücke Sadismus und Masochismus ab und sah darin sexuelle Geisteskrankheiten. Es kam zu einer 'Psychiatrisierung der perversen Lust' (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 41). Eine normale Sexualität wurde definiert und alle Abweichungen einem bestimmten Usachenkomplex zugeordnet. Krafft-Ebing sprachen von 'degenerativen Erkrankungen des Gehirns' (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 41), andere von hormonellen Störungen der Sexualität.

Nach Freud gehören Sexualabweichungen zur allgemeinen Anlage des Geschlechtstriebes und sind auf die infantile, prägenitale Sexualität zurückzuführen, die zwar zunächst verschwindet aber dann wieder auftritt (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 41)

Heute wird weniger das Individuum untersucht, als der psychologische und soziale Kontext, in dem es sich bewegt. Nach neuerer amerikanischer Sexualforschung "[...] ist Sexualverhalten 'skriptirtes Verhalten', folgt also gewissen, interaktiv erworbenen individuellen und sozialen "Skripts", d. h. Vorlagen, Mustern oder Definitionen für sexuelle Geschehnisse und Situationen und ihre Interpretation. [...] Viele angebliche Geisteskrankheiten [werden] heute als bewußte oder unbewußte Spielregelverletzungen neu [interpretiert]" (E. J. Haeberle {Vorwort} in Wetzstein et al. 1995, S. 13).
 

3. Erste Berührungspunkte und Entdeckung der sm Neigung

Wie kommen Sadomasochisten zu ihren ersten bewußten Erfahrungen? Viele entdecken ihre Neigungen über Pornographie, über ihren Partner oder durch den Kontakt zu bestimmten Gruppen und Szenen. Aber auch der Wunsch nach außeralltäglichen Erfahrungen sowie der Verlauf der Lebensgeschichte insgesamt kommen als Faktoren in Betracht.
 

3.1. Erotische Literatur und Pornographie

"Für die Entdeckung sadomasochistischer Neigungen spielt häufig die gesamte pornographische Medienpalette eine wichtige Rolle" (Wetzstein et al. 1995, S. 42): Bücher, Magazine, Filme und neuerdings auch Pornographie auf CD-Rom und im Internet. Eine umfangreiche Vielfalt an Produkten befriedigt auch die ausgefallensten Wünsche. Bei den lesbischen Sadomasochistinnen ist diese Form des Medienkontakts nicht vorhanden. Dies könnte daran liegen, daß für Frauen mit dieser Neigung nur sehr wenig pornographische Produkte hergestellt werden. Die meisten Lesben lehnen außerdem Pornographie als Symbole männlicher Alltagswünsche und unterdrückter Weiblichkeit ab (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 42).

Anders ist es bei heterosexuellen Männern und Frauen. Vermutlich entdecken sie in der Hardcores-Pornographie Darstellungen von Wünschen und Bildern die schon lange in ihren Phantasien eine Rolle spielen.

 
"[Pornographie und Phantasien] sind auf ihre Weise ein Vexierspiel der sozialen Wirklichkeit, indem sie Bedürfnisse, die vom öffentlichen Leben durch Tabus ferngehalten werden, in fiktive Erlebnisräume überführt. Dort können bereits bekannte Erlebnisse in verschiedenen Situationen neu, vielleicht noch faszinierender empfunden oder Erfahrungen gemacht werden, die im Alltag nicht zugänglich oder verboten sind. Solche Einsichten in neue Welten können initiierenden Charakter haben." (Wetzstein et al. 1995, S. 43 f.)

 
Die Pornographie ist ein Weg aus der hohen Tabuisierung von Sexualität. Zum einen macht sie deutlich, daß die Phantasien kein persönlicher Makel sind, weil sie auch andere haben, zum anderen kann sie sexuelle Wünsche überhaupt erst kommunizierbar machen.
 

3.2. Die Lust auf das Besondere

Die Ehe ist, nicht mehr wie früher eher eine Fortpflanzungsinstitution. Durch die freie Partnerwahl, das Verschwimmen der Rollenaufteilung und die Entlastung der Ehe von produktiven Interessen und Aufgaben kam es zu einem Bedeutungswandel. Die Ehe hat heute stärkeren Freizeitcharakter und dient der emotionalen Stabilisierung des Partners. Und so transformiert sich die Ehe mehr und mehr zu einem Ort erotischer Experimente und Ausschweifungen (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 44f). "Diesen erotischen Ansprüchen steht das Problem der Gewöhnung entgegen, wenn eine Partnerschaft über einen längeren Zeitraum besteht" (Wetzstein et al. 1995, S. 45).

Sozusagen weg von der allsonntaglichen, einmaligen Missionarsstellung hin zu etwas neuem, besonderem, außeralltäglichem, exotischen. Manche Paare bereichern ihr Intimleben mit Pornos, nicht selten werden aber auch sadomasochistische Praktiken eingeführt.

Diesen Bedürfnissen nach Abwechslung und außergewöhnlicher Sexualität, nach neuen Varianten und Praktiken kommt der Markt durch ein reichhaltiges Angebot an Sexartikeln entgegen.
 

3.3. Partner und Szene-Kontakte

"Zugang zum Sadomasochismus finden viele auch über den Lebenspartner oder sonstige persönliche Beziehungen" (Wetzstein et al. 1995, S. 47). Erkennen der Neigung fällt hier oft mit dem ersten Praktizieren zusammen. Es läßt sich ein selbst- und ein fremdinitiierter Weg unterscheiden:

"Beim ersten liegt möglicherweise schon länger ein latentes Interesse am Sadomasochismus vor. Durch gezieltes Suchen eines entsprechenden Partners, z.B. über Kontaktanzeigen oder über den Besuch von Szene-Treffen, können die persönlichen Voraussetzungen für das Ausleben der Interessen geschaffen werden" (Wetzstein et al. 1995, S. 47).
 

Anders der fremdinitiierte Weg. Der Lebenspartner oder andere Personen versuchen bei der betreffenden Person das Interesse aufzubauen. Die Ehefrau vom bereits sadomasochistisch erfahrenen Mann kann beispielsweise für diese sexuelle Praktik gewonnen werden. Dies ist nicht immer unproblematisch. Meist geht dem eine lange Geheimhaltung und auch außereheliches Praktizieren voraus. Oft führt diese Offenbarung zu starken Belastungen der Beziehung oder zur Trennung. Manchmal willigt der Partner aber ein und entdeckt nach und nach ein eigenes, später stabiles Interesse.
 

Auch über Kontakte zu Szene-Insidern können erste Berührungen mit dem SM entstehen. Sie übernehmen die Rolle eines Mentors und führen den Novizen in die Szene ein. "Diese Personen vermitteln Kontakte, führen in Gruppenveranstaltungen ein und machen mit Regeln, Codes und spezifischen Bedeutungen der Szene vertraut" (Wetzstein et al. 1995, S. 48). Bei Homosexuellen mit SM-Neigung sind die Kontaktmöglichkeiten nicht gleich. SM Schwule verfügen über eine gut ausdifferenzierte Szene-Infrastruktur, mit großer Akzeptanz in der allgemeinen Schwulenszene. Dazu gehört auch ein funktionierender Kontaktmarkt, auf dem die Neulinge ohne fremde Hilfe Anschluß finden.

Anders ist die Situation für SM Lesben. Aufgrund der geringen Akzeptanz unter Lesben allgemein, bilden sich hier nur sehr kleine, lokale Szenen. Dadurch gestaltet sich der erste Kontakt extrem schwierig.
 

3.4. Biographisierung und Selbstthematisierung

"Wiederum andere Personen können ihre ersten Berührungen mit dem SM nicht an einem spezifischen Ereignis festmachen. Für sie ist ihr spezielles Sexualinteresse in die gesamte lebensgeschichtliche Entwicklung eingebunden" (Wetzstein et al. 1995, S. 50).
 

4. Persönliche Beziehungen

 "Personen, die sadomasochistische Neigungen bei sich entdeckt haben, wollen ihre Wünsche und Bedürfnisse auch realisieren" (Wetzstein et al. 1995, S. 60). Dazu gehört die Beschaffung entsprechender Utensilien von Lederkleidung und eventuell auch von Pornographie, dazu kann ein Raum gehören, in dem die Interessen verwirklicht werden können. Es ist aber auch das Bedürfnis mit jemanden sprechen zu können, und vor allem der Wunsch nach einer partnerschaftlichen sadomasochistischen Beziehung.

Die Neigung durch die Nutzung kommerzieller Angebote von Dominas und Prostituierten auszuleben ist, bei guter finanzieller Lage kein Problem. Die meisten streben aber eine feste Beziehung an.
 

4.1. Chancen bei der Partnersuche

Frauen sind in der SM Szene deutlich in der Minderzahl. Daraus ergibt sich, daß die Chancen für Männer eine Partnerin zu finden deutlich schlechter sind, als umgekehrt. Oft suchen Männer mit SM-Neigung 'permanent und erfolglos' (Wetzstein et al. 1995, S. 60) nach einer entsprechenden Partnerin auf privater Ebene.

Dominante Frauen ohne finanzielle Interessen über Kontaktanzeigen zu finden scheint extrem schwierig. Oft findet sich der Suchende bei der professionellen Domina wieder "und überhaupt ist der käufliche SM mitunter die einzige Möglichkeit die speziellen sexuellen Interessen auszuleben" (Wetzstein et al. 1995, S. 60).

 

Kompliziert gestaltet sich auch eine direkte Suche nach der 'SM Frau aus Berufung' wie WETZSTEIN (et al. 1995, S. 61) sie treffend bezeichnet, da das Kennenlernen nicht wie bei der normalen Partnersuche ablaufen kann. Ein gezieltes Ansprechen oder 'Anmachen' in Kneipen, Cafés, Theater oder Kino nach dem Motto: 'Hallo, sind Sie sadomasochistisch?' ist kaum möglich.

Der umgekehrte, sehr umständliche Weg nach dem Devise: "Zuerst einmal kennenlernen und dann sehen ob es eine Masochistin oder Domina ist" (Wetzstein et al. 1995, S. 61), ist vielen zu riskant, denn auch so haben sie Enttäuschung und Frustration erlebt.

 

Um genannte Probleme zu vermeiden, wird das gezielte Partnersuchen häufig direkt auf 'SM-Erfahrungsräume' beschränkt, also etwa auf Parties oder Gruppen-Meetings. Aber auch hier sind die Chancen für alleinstehende Sadomasochisten nicht besonders gut. Damit das Verhältnis zwischen Männern und Frauen nicht noch drastischer wird, sind Männer nur in weiblicher Begleitung zugelassen (vgl. Wetzstein et al. 1995)

Den zum Teil außerordentlich geringen Chancen für heterosexuelle Sadomasochisten steht ein Überangebot für Frauen gegenüber. Sie sind, gleich welche SM-Rollenorientierung, ob für Veranstaltungen oder auch für die individuelle Suche, etwa über Kontaktanzeigen, sehr begehrt

 

Wie bereits erwähnt, haben SM Schwule keine Probleme bei der Partnersuche, im Gegensatz zu den SM Lesben. Sie bilden eben nur eine kleine Szene mit wenig Beziehungsalternativen. Das Kennenlernen läuft über privates Adressenweiterleiten, wobei der erste Kontakt der schwierigste ist. Auf diese Weise erweitert sich der Bekanntenkreis kontinuierlich und bleibt nicht nur regional.

 

 

4.2. Monogame Beziehungen

 

"Im heterosexuellen Bereich ganz allgemein ist die feste Partnerschaft eng mit dem bürgerlichen Familienbild verbunden, das in Form der Ehe als ideales Beziehungsmuster herausgehoben wird" (Wetzstein et al. 1995, S. 64). Diese Form der Partnerschaft bevorzugen auch einige Sadomasochisten. Sie leben ihre Neigung ausschließlich in der Zweierbeziehung aus, wobei die Suche nach anderen Partnern tabu ist.

Oft leben die Paare ihre Neigung nur in den vier Wänden des eigenen Schlafzimmers aus. Vor Außenstehenden wird der praktizierte SM durch die 'Fassade eines bürgerlichen Lebens' verborgen. Ohne daß es Berührungen mit der Szene gibt, kann solch geheimes Praktizieren durchaus sehr beständig und in eine lebenslange Partnerschaft integriert sein (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 64f).

"Eine Subform der Monogamie sind Beziehungen, in denen nur einer eine Vorliebe für solche Neigungen entwickelt und sie nicht mit dem Partner ausleben kann" (Wetzstein et al. 1995, S. 64). Als Ersatz wird deshalb zu einer dritten Person der sexuelle Kontakt hergestellt. Auffallend ist, daß diese 'triadische Struktur' nur bei heterosexuellen Männern vorkommt. Bei manchen geschieht es mit Einverständnis der Partnerin, bei anderen wird die 'außerpartnerschaftliche SM-Beziehung und Neigung generell' verheimlicht. "Der Sadomasochismus wird gezielt aus der Dauerbeziehung ferngehalten" (Wetzstein et al. 1995, S. 66). Wiederum andere Paare verständigen sich darauf, daß einer der Partner die sadomasochistischen Vorstellungen des anderen mitspielt. Dies aber weniger um eigene Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um dem Partner einen Gefallen zu tun, oder auch aus Angst ihn zu verlieren. "Solche Zugeständnisse sind für beide Seiten vermutlich unbefriedigend und können Konflikte schaffen" (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 64ff).

Bei homosexuellen Sadomasochisten sind die Verhältnisse wieder different: SM-Lesben leben ihre Neigung hauptsächlich in monogamen Beziehungen aus, da sie sehr viel Wert auf Treue legen und sehr zur Eifersucht neigen. Bei SM-Schwulen sind monogame Muster seltener.

 

 

4.3. Promiskuitive Beziehungen

 

Einige hetero- und homosexuellen Sadomasochisten mit oder ohne festen Partner unterhalten intime Beziehungen zu verschiedenen Personen. Dies ist oft der einzige Weg für partnerlose Personen, mehr oder weniger regelmäßig sexuelle Kontakte haben zu können. "Hier kann es sich um eine 'serielle' Promiskuität handeln, d. h. die Partner werden mehr oder weniger rasch hintereinander gewechselt" (Wetzstein et al. 1995, S. 67). Doch auch 'parallele' Promiskuität wird praktiziert. Wer in einer festen Beziehung lebt, kann mit seinem Partner darüber einig sein, daß der Geschlechtskontakt zu anderen wichtig und legitim ist. Tauscharragements spielen dabei eine wichtige Rolle, "so daß auch die auf dem Beziehungsmarkt weniger erfolgreichen Männer Partnerinnen finden können" (Wetzstein et al. 1995, S. 68).

Das promiskuitive Sexualverhalten muß die Beziehung nicht gefährden, im Gegenteil, es kann die Lebensgemeinschaft stabilisieren, denn die sexuellen Abenteuer werden als aus der Beziehung ausgelagerte Form der individuellen Bedürfnisbefriedigung und keineswegs als Attacke auf die Partnerschaft interpretiert. Sie lassen sich in verschiedenen personellen Konstellationen realisieren und werden zumeist nicht verheimlicht. In diesen Paarbeziehungen gilt das Motto: "Erlaubt ist was, gefällt" (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 68f).

 

Promiskuität und Monogamie sind im SM-Bereich als gleichberechtigte Beziehungsmuster zu finden. Wer monogam zu leben möchte, realisiert dies genauso selbstverständlich wie diejenigen, "die über den Lebenspartner hinaus noch weitere Sexualkontakte haben wollen. Während erstere die Partnerschaft als gemeinsames und exklusives Projekt definieren, gehen letztere eine solche generelle Verpflichtung nicht ein" (Wetzstein et al. 1995, S. 69).

 

 

4.4. Gruppenveranstaltungen und Feten

 

"Nachdem sich die Antibabypille als zuverlässiges Verhütungsmittel durchgesetzt hatte, und die gesetzlichen Bestimmungen liberalisiert wurden (Unzucht, Kuppelei), nahm die Zahl der Gruppensexanhänger zu" (Wetzstein et al. 1995, S. 70). Auch homo- und heterosexuelle Sadomasochisten inszenieren ihre Sexualität als Gruppen-Veranstaltungen. Deren Rahmen kann sehr unterschiedlich sein: private Parties, Club-Abende, größere 'Happenings' in Dominastudios oder Großveranstaltungen. Manche Anbieter organisieren Veranstaltungen, an denen bis zu 1000 Personen teilnehmen: hauptsächlich Kleidungs- und Materialfetischisten, aber auch Sadomasochisten, die sich dort gerne in bizarrem Outfit zeigen oder auch andere sehen wollen. Diese 'bizarren Bälle' finden allerdings nur ein- zweimal jährlich statt. Daneben haben sich kommerzielle und private Agenturen gebildet, die Gruppenabende organisieren. "Sie bieten die entsprechenden Räumlichkeiten und Geräte bis hin zu Übernachtung mit Frühstück an" (Wetzstein et al. 1995, S. 70). Alle Formen der Gesellungsorganisation sowohl privat und kommerziell sind also vertreten. Mit den verschiedenen Organisationsformen sind unterschiedliche Codierungen von Öffentlichkeit und Intimität verbunden. Auf den Großveranstaltungen ist der 'sexuelle Aktionsradius' deutlich eingeschränkt. Plaudern, Büffet, Vorführungen, Shows, Tanz und Spiele bilden die 'Aktivitäts-Schwerpunkte'.

 

Der Zugang zu derartigen Veranstaltungen ist nicht immer für jeden möglich. Fetisch-Bälle oder SM-Discos sind mehr oder weniger öffentliche Veranstaltungen. In der Regel kann jeder teilnehmen, sofern sein Outfit stimmt. In den kleineren, überwiegend privaten Kreisen, gibt es hingegen Zugangsbeschränkungen. "Nur persönliche Empfehlung öffnet die Tür" (Wetzstein et al. 1995, S. 71).

 

SM-Handlungen kommen, je nach Happening, angedeutet in Rollenspielen vor oder als Sklavenvorführungen. Wer außerhalb dieses Rahmens selbst SM praktizieren möchte, muß sich in die dafür vorgesehenen 'Chambres séparées' zurückziehen oder auf die anschließende Privatparty warten. "In ihrer sozialen Konstruktion erinnern die Bälle [...]am ehesten an Karnevalsveranstaltungen. Einige Regeln des Alltags und bestimmte Konventionen werden temporär außer Kraft gesetzt" (Wetzstein et al. 1995, S. 72): Frivolität ist erlaubt, ja gar erwünscht, ähnlich wie spärliche erotische Kleidung. Jeder kann in eine beliebige Rolle schlüpfen. Erving GOFFMAN (1980, S. 376) spricht von 'Rahmen', die ein 'umfassendes Engagement' vorschreiben. "[...] In allen Fällen werden vereinbarte Grenzen etabliert, eine Definition des zu geringen und des zu starken Engagements" (Goffman 1980, S. 376). Hiermit kann zum einen das Nichterfüllen der Kleidungskonventionen gemeint sein und zum anderen eine unerwünschte sadomasochistische Überaktivität bei einer Großveranstaltung.

Die Teilnehmer an kleinen Gruppenveranstaltungen kennen sich meisten schon länger. So ist gesichert, daß Geschmacks- und Toleranzgrenzen auf dem gleichen Niveau liegen. Anwesenheit von fremden Teilnehmern oder die Überschreitungen von 'Ekelbarrieren' führt zu negativer Stimmung oder gar zum Ende des Happening (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 73f).

 

 

4.5. Regeln und Bestimmungen in der Gruppe

 

"Wo Körperlichkeit und Emotionen kultiviert werden, entwickeln sich oft spezifische Regeln des Umgangs" (Wetzstein et al. 1995, S. 79). In sadomasochistischen Gruppen läßt sich also ein umfangreicher Regelkatalog feststellen:

 

1. Um Neulingen den Zugang zu den Gruppenevents zu erleichtern, läßt man sie erst zusehen. Hat sich der erste Eindruck gesetzt, wird ihnen bei den ersten Handlungen geholfen.

 

Haben sich die Novizen für den Verbleib in der Gruppe entschieden werden sie mit den Regeln und Gepflogenheiten vertraut gemacht. Erst dann sind sie akzeptierte Mitglieder der Gruppe.

2. Für den Umgang innerhalb der Gruppe ist Freiwilligkeit die wichtigste Regel. Niemand darf zu etwas gezwungen werden

 

Bei Verstoß gegen diesen Grundsatz folgt normalerweise sofort der Ausschluß.

 

3. Die individuellen Geschmacks- und Ekelgrenzen müssen akzeptiert werden.

 

Wie erwähnt kann die Verletzung von Ekelgrenzen die Stimmung bei einer Veranstaltung verderben und das vorzeitige Ende bedeuten.

 

4. Persönliche Beziehungen müssen respektiert werden.

"Aufgrund der spezifischen Machtsituation im SM- Arrangement ist es üblich, daß der dominate Partner in das Ausleihen oder die Behandlung seines Sklaven einwilligen muß" (Wetzstein et al. 1995, S. 80). Umgekehrt wird das Einverständnis meist vor der Veranstaltung eingeholt, denn beugt sich ein Sklave im SM Arrangement nicht den Wünschen seines Herren, würde er "die Freude an der Fiktion des Herrschens erheblich trüben" (Wetzstein et al. 1995, S. 81).

 

5. Die Penetration ist in homo- und heterosexuellen Gruppen eigentlich immer untersagt. Höchstens Ersatzhandlungen am Mann oder an der Frau sind zugelassen.

 

6. Die Gefahr durch Verletzungen oder unfreiwillige Grenzüberschreitung ist zu minimieren.

 

Dieser Verhaltenskodex ist in jeder sadomasochistischen Situation relevant, von der Paarbeziehung, bis hin zu den scheinbar anachistischen Situationen im Darkroom, also dem Nebenraum oder Kellerraum in Schwulenkneipen, wo anonymer Sex und auch SM praktiziert werden kann. (vgl. Wetzstein et al. 1995)

 

 

 

5. Codes und Symbole

 

"In sm Spezialkulturen bilden sich typische Wissensvorräte aus" (Wetzstein et al. 1995, S. 89). Die genannten Regeln für Gruppeninszenierungen oder bestimmte Fertigkeiten wie Bondage, sind Beispiele für spezifisches Wissen, das schriftlich oder mündlich weitergegeben wird. Es beschränkt sich aber nicht auf diese Dinge. Auch Symbole und Codes mit festgelegten Bedeutungen sind ebenfalls wichtige Elemente. Sie können von Außenseitern nicht ohne Weiteres entschlüsselt werden.

 

 

5.1. Kontaktanzeigen

 

Erst in den 70er Jahren etablierten sich ausgeprägte subkulturelle Organisationen und folglich auch Medien für diese spezialisierten Interessenlagen. Doch auch schon davor wurden Kontakte über Medien geknüpft. Früher aber wie heute wurde/wird verschlüsselt inseriert. Normale Tages- und Wochenzeitungen, seit einiger Zeit auch Stadtmagazine, werden dazu genutzt, Annoncen unter den Rubriken wie Kontakte, Bekanntschaften, oder Stellenangebote aufzugeben. Für die Praktiken und Neigungen gelten entsprechende sprachliche Codes.

"Ein wichtiges Mittel, die Absichten [...] für einen speziellen Adressatenkreis verständlich zu machen ist die nicht sexuelle Kontextierung des sexuell motivierten Anliegens" (Wetzstein et al. 1995, S. 91). Das Wechselspiel von Beherrschung und Erniedrigung wird etwa in der Metapher der 'Erziehung' verborgen, wie etwa englische Erziehung mit dem Rohrstock. Gemeint sind also flagellantische Praktiken. Vielen Annoncen verweisen aber auf ein größeres Spektrum an Erziehungsmitteln. Die Begriffe des 'toleranten Paars' oder der 'tabulosen Beziehung' kündigen die Bereitschaft zum Ausüben einer ganzen Palette verschiedener sadomasochistischer und 'bizarrer' Praktiken an. "Die auf diese Weise genutzten Begriffe stammen zumeist aus anderen Sinneswelten und erhalten im SM-Bereich neue Bedeutungen" (Wetzstein et al. 1995, S. 91). Szsene-Fremde sollen getäuscht und so von der Kommunikation mit der speziellen Personengruppe ausgeschlossen werden.

Die sadomasochistische Szene wird aber langsam immer öffentlicher und die Codes verlieren so an Exklusivität. Die Verschlüsselung ist dennoch notwendig, da so die Möglichkeit besteht, spezialkultur-externe Medien wie die Tagespresse für Kontakte zu nützen. Auf diese Weise schützen sich die Inserenten vor Pornographievorwürfen und gleichzeitig tragen die Tageszeitungen zum Erhalt, ja zur Kultivierung der abweichenden Spezialkulturen bei. Dagegen wird in speziellen Szenemagazinen und Hardcore Heften eine direktere Begriffswahl eingesetzt.

Die Sprache signalisiert 'mit greller Metaphorik' die 'Omnipräsenz von immerwährender Lust' mit Wörtern wie scharf, geil, feucht. 'Perversionsbereitschaft' wird signalisiert mit Ausdrücken wie tabulos, frivol, versaut. Die häufige Verwendung 'tierischer Metaphern' wie Ficktier, Deckstute, und 'kriegerischer Metaphern' wie Ficklanze, rammen, sollen 'animalische und aggressiv- enthemmte Sexualität' symbolisieren, die weit jenseits der normalen Sexualität liegt (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 93).

Doch auch hier werden Tabuisierungen deutlich. "Gerade Praktiken, die Scham- und Ekelgrenzen besonders provozieren, werden hinter wohlklingenden Bezeichnungen verborgen" (Wetzstein et al. 1995, S. 93). Exkremente etwa werden umschrieben mit 'Natursekt' sowie mit 'Kaviar' und 'Schoko'. 'Dirty' bezeichnet Sex unter Verwendung von Fäkalien allgemein. 'Nektar' steht für die verschiedensten Körperflüssigkeiten wie z.B. Urin, Scheidenflüssigkeit, Sperma. 'Nursing' ist die Umschreibung für 'Kliniksex'.

"Diese Sprachpraxis verdeutlicht, daß in der Spezialkultur zwar eine weitgehende verbale und praktizierte Freizügigkeit besteht, gleichwohl setzen sich hier auch zivilisatorisch gewordene Umschreibungszwänge fort" (Wetzstein et al. 1995, S. 94).

 

 

5.2. Kleidung und Schmuck

 

Typischerweise differenzieren sich in den Subkulturen spezifische Stilmuster aus. Für Soeffner (1986) ist 'Stil' eine Form der Selbstinterpretation des Einzelnen. 'Stil' demonstriert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, gleichzeitig drückt er die soziale Abgrenzung von anderen aus, beispielsweise durch Kleidung. Bei den Sadomasochisten ist die entsprechende Kleidung, von Leder über Latex und Seide bis Gummi, immer auch Ausdruck von Ästhetik.

Wie wichtig die Kleidung in der SM Kultur mittlerweile geworden ist zeigt die große Zahl an Fachgeschäften. Der Kauf eines Gummi- oder Lederkleides und der passenden Accessoires, unterscheidet ist heute kaum mehr anders als der eines Anzugs oder Abendkleids. Ein reichhaltiges Angebot an entsprechenden Modezeitschriften, Beratung durch Verkäufer und unzählige Modellvarianten sind mittlerweile Alltag. Früher stand dagegen nur das Material im Vordergrund.

Werden hier Ästhetik, Mode und Design heute immer wichtiger, so haben Kleidung und Schmuck noch weitere Bedeutungen. In Zusammenhang mit bestimmten Körperhaltungen "können sie zur Verstärkung des rollenspezifischen Habitus genutzt werden und dienen damit der Verfestigung der virtuellen Identität während des SM Arrangements" (Wetzstein et al. 1995, S. 95). Gleichzeitig gilt für Kleidung und Schmuck eine feste Ordnung. Sie schaffen für die jeweilige Rollenzuweisungen Eindeutigkeit. Bei Dominas beispielsweise ist der Körper meist fast ganz bedeckt, wodurch Unnahbarkeit und Überlegenheit symbolisiert werden soll. Masochisten und Sklaven tragen hingegen fast gar keine Kleidung. Oft ist es nur ein einfaches Riemengeschirr auch 'Harness' genannt und ein ledernes mit Nieten und Ringen versehenes Halsband.

 

Für die Hetero- wie die homosexuelle Geheimkommunikation gilt: Weil die mitgeteilten Informationen im Falle des SM einen sehr spezifischen Sinn haben, ist die Zahl der potentiell Verstehenden recht gering. Außerhalb der Sinn- und Sozialwelt SM gibt es ohnehin, von Einzelfällen abgesehen, niemand, der den mitgeteilten Sinn entschlüsseln kann. Allerdings ist bei diesen Codes ein generalisiertes Verstehen überhaupt nicht intendiert.

 

 

 

6. Das Sadomasochistische Szenario

 

SM Praktiken sind keineswegs einheitlich. Was für die einen eine typische SM-Inszenierung ist, hat für andere überhaupt nichts mit dieser sexuellen Spezialisierung zu tun. Es wird eventuell als 'verabscheuungswürdige Perversion' abgelehnt.

Grundsätzlich konstruieren Praktiken den äußeren Handlungsrahmen des SM-Szenarios. Es gibt eine enorme Variationsvielfalt. Die wichtigsten Formen sind: verbale Mittel, Flagellantismus, Bondage und bizarre Praktiken.

 

 

6.1. Verbale Mittel

 

Die Sprache erfüllt im sm Arrangement mehrere Funktionen. Die verbalen Ausgestaltungen werden rollenspezifisch als Element von Herrschaft und Unterwerfung eingesetzt. Die dominante Person kommandiert, befiehlt, duldet keinen Widerspruch; der passive Partner bittet und fleht. Dieses Stilelement hat schon allgemeingültigen Charakter für viele Szeneteile. Das rollenspezifische Sprachverhalten geht sogar noch weiter. So darf der devote Partner oft nur dann reden, wenn er gefragt wird: Er wird nicht als vollwertiger Gesprächspartner akzeptiert. Es entsteht eine hierarchische Kommunikationssituation.

Die Sprache ist in den Inszenierungen der SM-Spezialkultur, wie auch bei der Kontaktsuche mit entsprechender Kodierung, ein spezifisches ästhetisches Mittel zur Herstellung von Außeralltäglichkeit. Deutlich wird das an der auch hier sehr obszönen Ausgestaltung.

"Ein bewußt deftiges Vokabular soll die Tabulosigkeit der Handlung und ihre Ausklammerung aus dem Alltag symbolisieren" (Wetzstein et al. 1995, S. 131).

 

 

6.2. Flagellation

 

Damit ist die Praktik gemeint, bei der Schlagen und Geschlagenwerden im Vordergrund steht. Dazu können Peitschen, Rohrstöcke, Ruten, Reitgerten, oder ähnliches verwendet werden.

 

Als Bedeutung und Ursachen wird ein Zusammenhang zwischen 'gesellschaftlicher Restriktion und individueller Obsession' (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 131) gesehen. Man schien sexuelle Triebe durch Schläge zu kompensieren und mochte sie dann nicht mehr missen oder nützt sie eben als zusätzlichen Stimulus. Meist wird Flagellantion in Verbindung mit Erziehungsspielen oder sogenannten 'Abstrafungen' praktiziert. Der aktive Partner verschafft sich sexuelle Erregung, sowohl durch die Handlung an sich, als auch durch das Betrachten des leidenden Sklaven. Dieser empfindet den Schmerz als Reiz und genießt die Rolle des Unterdrückten und Bestraften. Oft kann nur noch so sexuelle Befriedigung erfahren werden. Mit den entsprechenden Schlagwerkzeugen wird, vor allem auf dem Gesäß, von der geröteten Haut bis zur Platzwunde alles erzeugt. Dabei ertragen manche ein Vieles mehr als fünfzig Schläge beispielsweise mit dem Rohstock.

 

 

6.3. Bondage

 

Bei Fesselungspraktiken oder Bondage spielen Seile, Schnüre, Lederbänder, Ketten, Korsett, Gürtel, Handschellen, Geschirre und auch Zwangsjacken eine wichtige Rolle. Bondage existiert in fetischisierter Form als eigenständige Neigung unabhängig vom SM. Sie ist aber auch sehr häufig Bestandteil sadomasochistischer Handlungen, da das Fesseln wehrlos macht. Geht es darum, den passiven Partner bewegungsunfähig zu machen, wird er nicht selten an ein Andreaskreuz oder an andere Vorrichtungen (etwa Wand- und Deckenhaken) gebunden und dann ausgepeitscht oder mit anderen Werkzeugen behandelt. Fesselungen können aber auch dazu dienen, bestimmte Körperhaltungen und ästhetische Effekte zu erzeugen. Das Vorbild hierzu ist die japanische 'Bondage-Art' wie sie als Photos, Zeichnungen und Comics dargestellt wird.

Als Bondage Sonderform ist das Abbinden von Geschlechtsteilen mit Schnüren zu nennen.

Der 'Kick' bei Bondage für den Passiven ist das Gefühl der Unbeweglichkeit, der Wehrlosigkeit und der Ungewißheit über den weiteren Verlauf der Inszenierung. Für den Akteur ist es die Kontrolle über die Situation mit der damit verbundenen Macht und die angesprochenen ästhetischen Effekte.

 

 

6.4. Bizarre Praktiken

 

"Bizarre Praktiken dienen der gezielten Betonung bestimmter Effekte, etwa dem Schmerz- oder Ekelerlebnis" (Wetzstein et al. 1995, S. 137). Auch hier sind die verwendeten Hilfsmittel vielfältig: Klistier, Nadeln, Klammern, Gummi, Fäkalien, Elektroschokgeräte, Rasierklingen, Rasur, Keuschheitsgürtel, Intimschmuck, Gewichte, Handschellen, Ketten, Dornenkränze, Katheter und vieles mehr. Auch seltene Praktiken wie das Wickeln von Windeln kombiniert mit bestimmten Strafritualen sind den bizarren Praktiken zu zuordnen. In dem Windelwickeln manifestieren sich gemäß psychoanalytischen Vorstellungen Konflikte mit der Reinlichkeitserziehung.

Zu nennen "ist in diesem Zusammenhang noch der 'Kliniksex', bei dem krankenhausähnliche Arrangements zur Simulation eingesetzt werden" (Wetzstein et al. 1995, S. 137). Sie finden zumeist in nachgestellten OP- oder Praxisräumen statt und die Akteure sind passend gekleidet, also die Domina etwa als Krankenschwester im weißen Kittel.

Im Vordergrund der bizarren Praktiken steht das Durchbohren von Brustwarzen, Schamlippen, Hoden, Eichel und Vorhaut, um dort Ringe und Haken anzubringen. Sie dienen Sadomasochisten häufig zum Anhängen von Ketten und Gewichten. Die wiegen oft mehrere Kilo und werden mitunter während einer ganzen Inszenierung getragen. "Um kontinuierliche Steigerungen zu erreichen, besitzen manche Sadomasochisten ein ganzes Set an Gewichten die sie dann nach und nach anhängen" (Wetzstein et al. 1995, S. 137).

Weitere Beispiele sind Analpenetration mit übergroßen Dildos oder der Hand, Beträufeln mit heißem Wachs das nach dem Erkalten wieder weggeschlagen wird, das Streicheln mit Brennesseln oder das Trinken von Urin und Verzehren von Fäkalien.

Die Ausgestaltungsformen sind hier enorm vielfältig, die angewendeten Praktiken werden aber immer vorher individuell ausgehandelt. "Eine typische SM-Praktik gibt es nicht" (Wetzstein et al. 1995, S. 137). Allenfalls Flagellantismus und Bondage werden in der Szene als klassisch angesehen. Manche Personen finden nur an einer bestimmten Form sadomasochistischer Äußerungen Gefallen und lehnen alles andere ab. Wieder andere probieren alles was erniedrigt.

 

Zur Stellung dieser Praktiken im gesamten Sexualverhalten ist anzumerken, daß manche nur in dieser Form intimen Kontakt pflegen und aus einem normalen Geschlechtsverkehr keine sexuelle Befriedigung mehr ziehen können. Ihre Orgasmusfähigkeit ist an den SM-Rahmen gebunden. Daneben gibt es Sadomasochisten, die ihre Neigung als Teil eines vielfältigen Sexuallebens begreifen, zu dem beispielsweise auch Koitus gehört.

 

 

 

7. Die sozialen Mechanismen im SM-Arrangement

 

Gelegentlich sind sadomasochistische Inszenierungen mit bestimmten 'thematischen Rahmen-handlungen' verbunden, etwa nach Vorbildern antiker Sklavenversteigerungen oder Schulsituationen mit autoritärem Charakter. Die Interaktionen zeichnen sich aber auch ohne diese dramaturgischen Mittel durch eine bestimmte Struktur aus. "Was von außen wie eine sinnlose Aneinanderreihung von Praktiken erscheint, gehorcht tatsächlich der Logik von Dominanz und Submission. Der Szene-Begriff 'Abrichtung' bezeichnet diese interne Dramaturgie treffend." (Wetzstein et al. 1995, S. 139). Im Zentrum stehen meistens flagellantische Praktiken und/oder Fesselungen, die je nach Präferenz durch verschiedene Maßnahmen ergänzt werden. Es werden teilweise detaillierte, mehrstufige Abstraf- und Sklavenerziehungspläne verfaßt, in welchen die Handlungssequenzen inhaltliche wie formal strukturiert sind.

Die danach ablaufenden Arrangements lassen sich nur in hierarchischen Beziehungen mit extrem polarisierter Rollenverteilung verwirklichen. "Ausgestattet mit einer virtuellen und situationsgebundenen Machtbefugnis übt die aktive Person umfassende Kontrolle aus. Gleichzeitig baut sie eine Aura der Unnahbarkeit auf. Wie erwähnt, ist keine Berührung oder gar Geschlechtsverkehr vorgesehen" (Wetzstein et al. 1995, S. 142). Distanzierungen werden hier im Ritual aufgebaut und überzeichnet.

 

 

7.1. Verletzung der Schamgefühle

 

Innerhalb der definierten Grenzen bestimmt und agiert der Sadist und der Masochist liefert sich dessen Handlungen aus.

Nicht nur physiologische, sondern auch psychologische Mechanismen spielen hierbei eine wichtige Rolle. Die Verletzung der Schamgefühle des 'Opfers', etwa die öffentliche Vorführung des nackten Sklaven vor bekleideten Menschen und dabei noch seine körperlichen Makel oder bestimmte Verrichtungen bloßzustellen. Die Verletzungen der Schamgefühle lassen sich zu einem 'subtilen Entwürdigungsmechanismus' (vgl. Wetzstein et al. 1995, S. 144) ausbauen. In Goffmans (1986) Terminologie ist von 'rituellen Entweihungen' die Rede.

 

 

7.2. Entpersonalisierung

 

Ein anderer Mechanismus zielt auf die Entpersonalisierung der passiven Person. Sie wird dann als Gegenstand behandelt. "Die Verdinglichung bewirkt eine 'temporäre Ent-Identifizierung', die durch das Tragen von Masken noch zusätzlich betont werden kann" (Wetzstein et al. 1995, S. 144). Der Gesichtsverlust raubt dem Opfer auch die letzte Möglichkeit seine Identität zu wahren. Es wird vollends zu einem anonymen, in eine bestimmte Funktion gepreßten Körper.

Dieses Inszenierungsmittel gewinnt in der Gruppensituation besondere Bedeutung, denn hier können die Sklaven in eine anonyme Masse verwandelt werden. Goffman (1978) spricht in seiner Arbeit zu totalen Institutionen von einem Prozeß der Diskulturation beim Eintritt in einen solchen Rahmen. Durch den Verlust der alltäglichen Identitätsrequisiten und durch die Reduktion auf den Körper sind dem Sklaven die Möglichkeiten seiner alltäglichen Rollen genommen. Die radikalste Form dieser Aberkennung von Identität ist die Reduktion einer Person eben auf eine Sache etwa einen Tisch.

 

 

7.3. Übersteigerung von Ritualen

 

Ein weiterer Mechanismus ist das Übersteigern von 'Zuvorkommenheits- und Vermeidungsritualen' (vgl. Goffman, 1886). Im Alltag sind dies implizite Handlungsregulative, wie eine entsprechende Begrüßung und Anrede, die nicht reflektiert werden. Sie bleiben in einer Art halbbewußtem Zustand. In der SM-Interaktion werden die Regulative explizit und bewußt. Zuvorkommenheits- und Vermeidungsrituale tauchen übersteigert auf. Es genügt also nicht, wenn der Sklave zur Domina "Guten Tag, Frau Müller" sagen würde, sondern er muß beispielsweise auf die Knie fallen und seine Herrin durch Fußküsse und überschwengliche Huldigung begrüßen.

 

Außer bei bekräftigenden Ritualen die der Sklave erbringt, gibt es auch eine ganze Reihe von negativen Ritualen. Sie folgen nicht nur auf mangelnde Respektsbezeugung, sondern auch dann, wenn der Sklave mustergültig war. Es entsteht eine paradoxe Situation. "Zum einen stellt die Ritualisierung Verhaltensschablonen zur Verfügung, um Handlungen und Erwartungen vorhersehbar zu machen, zum anderen ist gerade die permanente Verletzung der Erwartung durch die aktive Person maßgeblicher Teil der SM-Arrangements" (Wetzstein et al. 1995, S. 146).

Der Sklave kann nie etwas richtig machen, weil fast immer Sanktionen erfolgen. Typisch dafür ist die Willkürlichkeit. Sie strukturiert die Handlung und ermöglicht die unentwegte Fortführung des Rituals.

Trotzdem sind solche Rituale durch den Alltag begrenzt. Die Akteure geben ihre Alltagsidentität an der Tür zur ehelichen Folterkammer oder zum Dominastudio ab. Sie erhalten sie aber wieder zurück.

 

 

 

8.Exkurs und Ausblick: Cybersex und Future-Sex

 

"Future-Sex [...]: Hundertausende von Frauen und Männern aller Altersgruppen rüsten jeden Freitag in der heimischen Computer-Ecke auf. Damen schnallen vibrierende Büstenhalter und Plastikdildos an, Herren Penis-Vakuum-Pumpen. Dann klicken Hundertausende die Maus und ein orgasmisches 'Ooohhjaaahhh' erschüttert das Internet. Es gehört zum 'intergalaktischen Datenfick' (so die Future-Sexologin Lisa Palac) der Quickie-Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Werden so das Leben und Lieben im nächsten Jahrtausend aussehen?"

Dies mag ein satirisches 'Fiktionsszenario' sein, aber tatsächlich ist Sex ohne Berührung, ohne 'Real Life', ohne Hautkontakt immer aktueller. "Bereits die Peepschow schob ein Glasfenster zwischen sich räkelnde Nackte und den onanierenden Beobachter [...]" (Pro Familia S. ). In der Domina-Sklave-Inszenierung wird wie erwähnt der Geschlechtsverkehr eigtentlich immer ausgeschlossen. Der boomende Telefonsex verbleibt beim 'Anstacheln durch Zuhören', oft genug durch ein Tonband. (vrgl. S.)

Die Verbindung zwischen Sex und Technik entwickelt sich kontinuierlich weiter. Waren es zunächst verbotene 'Privatdrucke', Telefonsex, Pornofilme und Vibratoren, ist es jetzt Cybersex mit optischen und akkustischen Reizen und bestimmt auch auch mit ausgetüftelter, realitätsnaher taktieler Erregung über entsprechende Kleidungsstücke, Geräte oder Anzüge.

"Der Hinwendung der Menschen zu Dirty Sex, Affären, Quickies, Prostitution, Sado-Maso mit Menschen, Tieren und Maschienen ist a priori keine Sucht nach immer monströseren Perversionen. Es ist, wie Bungee- Springen, die Suche nach dem immer größeren Kick im Kopf, nach Phantasien ohne Grenzen. Denn noch immer ist das Gehirn das potentestete aller Geschlechtorgane [...] ( Stern, 1996 Nr.29, S. 43).

Die 'User' scheinen aus allen Bereichen der Bevölkerung zu kommen. Jeder kann sich beliebig verwandeln und sich per Mausklick in das gewünschte Szenario einloggen. Sei es der vorpubertäre Junge, der sich im Dark-Room wiederfindet, oder die alleinstehende Karrierefrau Mitte Fünfzig, die zur scharfen jugendlichen Blondiene oder zur Prostituierten mutiert. Über das Netz ist die Kommunikation und der Koitus mit anderen möglich. Aber eben ohne Real Life, also ohne den vielgenannten 'Beziehunsstreß'. Anmache, erstmal Essengehen, Reden, Kinobesuch, gehen wir zu mir oder zu Dir, Gummi oder nicht, Geschlechtskrankheiten, und vieles mehr bleibt außen vor.

Aber wie weit ist Cyber-Sex wirklich? "Unter diesem Oberbegriff vrbergen sich [...] mehrere verschiedene Spielarten, die unterschiedliche Intensität, Öffentlichkeit und Interaktion zulassen. Zum einen sind da die News-Groups zu unterscheidlichsten Sex-Aspekten im Internet. Schon der Namen sagt,worum es geht: Ob alt.sex-Bondage, alt.sex-Fetish, alt.sex-sadomaso. [...] [usw.]-jeder findet alles was ihn interessiert, seine ganz persönliche Spielart." (Pro Familia Magazin 1/95 S. 7) Weiter kann sich der Benutzer Bilder runterzuladen, Geschichten lesen, an Diskussionen teilnehmen, Gleichgesinnte 'treffen' und Kontakt aufnehmen. "Einen intensiveren und unmittelbareren Kontakt bietet das sogenannnte 'chatten', bei dem sich mehrere Personen zeitgleich mittels ihrer Computer unterhalten.

 

 

 

 

9. Resumé

 

Noch immer wird der Sadomasochismus, auch in der Wissenschaft, abfällig beschrieben Die psychologische Literatur spricht von 'Perversionen', 'deviantem Verhalten' und Abweichung. Doch in der Öffentlichkeit tritt diese Sexualneigung immer mehr aus ihrem Schattendasein heraus und die Subkultur hat oft schon Schwierigkeiten ihre bewußte Abschottung vom Alltag aufrechtzuhalten. Eine immer größer werdende Zahl an Kontaktanzeigenblättern, Szenemagazine, Zielgruppen- und Trendmagazine, Kontaktmöglichkeiten über Internet, machen Codierungen immer durchlässiger. Filme, Pornos und Bildanimationen über das Internet und von CD-Rom geben Einblicke in sadomasochistische Mechanismen.

Es gilt also hier eine allgemeine Toleranz aufzubauen, ähnlich der Versuche von Schwulen und Lesben. Denn Ausdrucksformen wie Respekt, Ehrerbietung, Dominanz, Scham, die auch in der alltäglichen Interaktion vorkommen, gewinnen im SM-Rahmen neue Bedeutungen, die zugrundeliegenden Mechanismen bleiben aber gleich. Sozialen Spielregeln werden aber neu definiert.

 

 

 

9. Literaturverzeichnis

 

ECKERT, R., VOGELGESANG, W., WETZSTEIN, T. A. & WINTER, R. 1990: Im Schatten der Computer-Mythen. Trier: Uni-Druck.

GOFFMAN, E. 1967: Stigma: Über die Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

GOFFMAN, E. 1973: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

GOFFMAN, E. 1986: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

GOFFMAN, E. 1993: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. 3. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

HÄCKER, H. & STAPF, K. (Hrsg.) 1994: Dorsch: Psychologisches Wörterbuch. 12. Auflage. Bern: Huber Verlag.

JAGER, DE H. & MOK, A. L. 1970: Grundlagen der Soziologie. Köln: Bachem.

LUHMANN, N. 1983: Liebe als Passion. 3. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

LUHMANN, N. 1988: Soziale Systeme. 3. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

SOEFFNER, H.-G. 1986: Stil und Stilisierung. Punk oder die Überhöhung des Alltags. In GUMBRECHT, H. V. & PFEIFFER, K. L. (Hrsg.) Stil. Frankfurt/Main. S. 317-341

WETZSTEIN, T. A., SEINMETZ, L., REIS, C. & ECKERT, R. 1995: Sadomasochismus. Szenen und Rituale. Sonderausgabe. Reinbek: Rowohlt