Hier finden Sie einige Texte, die im Rahmen von
theoretisch-literaturwissenschaftlichen Auseinandersetungen entstanden. Z.zt.
ist hier eine Arbeit über Botho Strauß` Stück "Kalldewey Farce" zu lesen.
Kalldewey Farce ist eine Rezeption des Shakespearschen
"Sommernachtstraum". Orthographische und formale Mängel
bitte ich zu übersehen. Danke.
Die Aufklärungskritik von „Rechts“
und die Hauptaussagen in dem Stück
„Kalldewey Farce“ von Botho Strauß
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung Seite 1
1. Szene I Seite 1
1.1 Die Beziehung Mann/Frau in Szene I,1 Seite 1
1.2 Die Beziehung Mann/Frau in Szene I,2 und I,3 Seite 2
1.3 Die weibliche Regression Seite 3
1.4 Die Personen K und M Seite 4
2. Szene II Seite 4
2.1 „Das Leben eine Therapie“ Seite 5
2.2 Kapitalismuskritik von Rechts Seite 5
2.3 Das „Atlantis längst versunkener Obszönitäten Seite 6
2.4 Die pseudosoziale Moral der
Aufklärung und die
Psychiatriekritik
Seite 6
2.5 Die Funktion Kalldeweys Seite 7
3. Szene III Seite 8
3.1 Der Therapeut als Ersatz Kalldeweys Seite 8
3.2 Die Medienkritik Seite 10
3.3 Kritische Würdigung Seite 10
Literaturverzeichnis
Seite 10
Einleitung:
Im Folgenden wird versucht, die Intentionen des Schriftstellers Botho Strauß
in dessen Stück „Kalldewey Farce“ zu eruieren. Systematisch werden das
Hauptthema
des Werkes, die moderne Liebesbeziehung und andere wichtige
Themen, herausgearbeitet. Es wird versucht, Botho Strauß als einen
Gesellschaftskritiker von
„Rechts“ zu begreifen, der sich gegen das
postmoderne, aufklärerisch-rationale Gedankengut wendet und sich auf
ursprüngliche, mythische Werte besinnt. Strauß
versucht sich gegen eine
Linke zu positionieren, welche jede Gesellschaftskritik von Rechts tabuisiert.
In der Tat ist der „Rechtsintellektuelle“ (Ignatz Bubis) Strauß
heute, mit
Blick auf die deutsche Vergangenheit, ein umstrittener Autor.
1. Szene I
1.1 Die Beziehung Mann/Frau in Szene I,1
Schon die Überschrift der ersten Szene ist programmatisch für „Kalldewey
Farce“. Der Satz „Der Schlaf der Liebe gebiert Ungeheuer (S. 7)“ ist dem Maler
Goya
entlehnt. Goya sprach jedoch vom „Schlaf der Vernunft“, welcher
„Ungeheuer“ gebäre. Strauß Änderung schafft nun eine nahezu antagonistische
Aussage. Liebe ist
Leidenschaft und diese handelt oft der Vernunft zuwider.
Botho Strauß klagt hier den modernen Menschen in seiner Unfähigkeit zur
wirklichen Liebe an. Die Liebe
wurde nach Strauß eingeschläfert durch die
Vernunft der Aufklärung (u.a.der 60er Jahre). Das Harmoniestreben der Aufklärung
zerstörte den pathetischen und nicht
selten destruktiven Charakter wahrer
Leidenschaft. Alles ist vordergründig ausgeglichen, harmonisch und von gähnender
Langeweile, bei genauerem Hinsehen sieht
man jedoch nach Strauß die
hierdurch entstehenden Probleme. Es gibt nur noch Beziehungen und keine Liebe.
Diese Beziehungen meint Strauß also, wenn er von
„Ungeheuern“ spricht. Die
Liebe sei zu einer „liberaldemokratischen Einrichtung, chaosfrei und angstfrei“
geworden schreibt Strauß in „Paare, Passanten“. Die
Aufklärung hat die Angst
des Menschen z.B. vor Naturgewalten durch ihre Ratio beseitigt. Früher wurde die
Angst durch die Literatur der Romantik ersetzt, heute
sei die Angst ersetzt
durch den Pseudothrill des Fernsehens schreibt Marie-Luise Bott. Diesen
Sachverhalt erkennt Strauß als Mißstand unserer Gesellschaft.
In der ersten
Szene tauchen „Der Mann “ und „Die Frau“ auf. Diese beiden Charaktere sind
Stereotypen für zwei moderne Beziehungspartner. Strauß gibt seinen
Charakteren hier möglichst wenig Individualität, er legt Wert auf deren
Austauschbarkeit. Die Partner werden absichtlich selten bei ihren Namen, Hans
und Lynn,
genannt. Der Leser wird so gezwungen, sich mit den
vorgeführten Personen zu identifizieren. Die erste Szene I,1 kann nur vor
dem Hintergrund zumindest der
folgenden Szene I,2 betrachtet werden, in
welcher deutlich wird, dass der Mann seine Frau mißhandelt. Mit diesem Wissen
wird dem Leser die Absurdität des
Eingangsdialoges von Mann und Frau
deutlich. Die beiden scheinen sich trennen zu müssen, obwohl sie sich lieben.
Das ist paradox. Außerdem wird die Frau von
ihrem Mann mißbraucht und
trotzdem kann sie sich nur schwer von ihm lösen und fleht ihn an: „Halt mich
fest! Halt mich fest!“. Botho Strauß will bereits hier die
Krankhaftigkeit
der modernen Liebesbeziehung klarmachen. Dies ist das primäre Thema seiner
Farce. Er versucht, die neurotischen Abhängigkeiten in diesen
Beziehungsungeheuern herausstellen. Er will Konflikte aufzeigen, die unter
der Decke der harmonischen, therapierten Beziehung schlummern. Mann und Frau
sind
Musiker, was bereits in der ersten Regieanweisung deutlich wird. Strauß
breitet also auch hier den Mantel der Zivilisiertheit über die zerrüttete,
perverse Beziehung.
Die Mann Hans schlägt seine Frau Lynn, er „läßt den King
raushängen (S. 35) “ wie M es ausdrückt und ist dennoch völlig abhängig von
seiner Frau, er sehe ja ohne
diese „nix! (S.8)“ ist also ohne sie völlig
hilflos was auch in Szene I,3 deutlich wird, in der er äußert, dass er nichts
mehr finde, alles sei „umgeräumt“ (S.26) und wo
er auf die Frage von Lynn ob
er gearbeitet habe hilflos und verzweifelt antwortet: „Ich habe es versucht, ich
habe es versucht“ (S.26). Auch in Szene I,1 fleht Hans
seine Frau an:
„führ mich noch ein
-1-
kleines Stück,... (S.8)“. Der Autor Botho Strauß will mit seinem Paar
deutlich machen, welche Konflikte sich hinter der Maske des aufgeklärten
Menschen
heutzutage abspielen. Er will die Folgen aufzeigen, welche durch
die überspannte Moralisierung der 60ger Jahre entstanden sind. Der Versuch Mann
und Frau
gleichzuschalten ist nach Strauß gescheitert, die ursprünglichen,
mythischen Attribute von Mann und Frau, deren Antagonismus, lassen sich nicht
therapeutisch und
rational einschläfern und zuschütten. Durch diesen Versuch
entstehen lediglich Ambivalenzen und Neurotizismen. Es entstehen nach Strauß
gefallene
Kultleidenschaften. Strauß zeigt mit seinem Paar hier die Chimäre
der modernen Liebe und deren Widerspruch zur mythischen Wurzel.
1.2 Die Beziehung Mann/Frau in Szene I,2 und I,3
In Szene I,2 wird deutlich, dass der Mann die Frau mit seinen Perversionen
quält. Die Frau beginnt ihre Ausführungen mit dem Satz „Er ist
Orchestermusiker. Wir
sind es beide. Er unterrichtet Querflöte an der
Hochschule. (S. 17)“. Zu Beginn wird also wieder wie in I,1 gezeigt, dass es
sich bei dem Mann und der Frau um
normale, gebildete und zivilisierte
Menschen handelt. Der Leser oder Theaterbesucher, im allgemeinen ein sogenannter
Bildungsbürger, kann nicht umhin, sich hier
ein Stück weit mit
den hier vorgeführten Menschen zu identifizieren. Weiterhin kann er die
Beziehungsproblematik in dem Stück nicht so weit von sich weisen,
schließlich könnte ja auch in seiner nächsten Umgebung ein potentieller
Vergewaltiger sein, trotz dessen kulturellen Gebaren. Das Paar wirkt hier
sehr viel
authentischer als in Szene I,1, da der mythologisch-theatralische
Hintergrund fehlt.
Der Mann würde sich zuhause „alles herausnehmen, aber
vorm geringsten Haufen Leute“ bekomme „er weiche Knie.“(S.18). Er kompensiert
also seine fehlende
soziale Kompetenz durch Machtausübung. Dieser
Mechanismus wird hier gezeigt, welcher ein Indikator für die Krankhaftigkeit
unseres Systems ist. Der Mann
verbiete seiner Frau auszugehen und ziehe
sie „an den Haaren zurück in die Wohnung“(S.18). Außerdem würde sie nach
Betäubung vergewaltigt und
„Vergewaltigung war überhaupt an der
Tagesordnung“ (S.18). Auf die Frage von K, ob sie ihren Mann hasse, antwortet
die Frau lakonisch mit „Ja“ (S.18). Aber
schon auf Seite 21 spricht die Frau
von ihrem Mann als ihrem „Geliebten“.
Die Frau scheint also ihren Mann
zutiefst zu verachten und fühlt sich dennoch wie in I,1 zu ihm hingezogen.
Strauß zeigt hier die scheinbar widersprüchliche
Abhängigkeit von Mann und
Frau auf. Diese Abhängigkeit ist zum größten Teil in einem Rollendenken
begründet. Diese Rollenverteilung ist nach Strauß eine
Ursprüngliche
und Mythische. Der Mann ist rational und autoritär, die Frau eher
irrational und sinnlich. Diese ursprüngliche Geschlechterverteilung ist durch
die
Aufklärungsversuche der sozialdemokratischen Linken und deren
Produkt, die Frauenbewegung, beim modernen Paar nur noch rudimentär vorhanden
und schafft
sich hier in Form von Perversion und Gewalt ein Ventil,
weil der Mann seine archaischen Rollenansprüche unterdrückt und nicht ausleben
kann. Dies möchte der
Schriftsteller hier zeigen. Der Mann übt hier
gesellschaftlich verachtete Gewalt aus, die Frau unterwirft sich als Liebende.
Die Unterwerfung der Frau als sinnliches,
liebendes Wesen ist nach Strauß
ein mythischer Urtrieb, der hier durch die Tabuisierung der Gesellschaft
überspitzt und farcenhaft hervorbricht. Die vorgeführte
Eruption ist
selbstverständlich keine Natürliche, sondern ein Resultat der verlogenen
„political correctness“ der Aufklärung.
Dies macht Strauß besonders deutlich
in dem Gespräch über Fußball. Als der Mann Hans in Gegenwart der Frau Lynn mit K
über Fußball redet, empört sich die
Frau: „Du redest mit ihr über Fußball?
Das war doch immer zwischen uns verpönt“ (S. 31). Hans bricht hier aus der
Erwartung der aufgeklärten, scheinbar
emanzipierten Frau, aus ihrem
Rollenklischee aus, er redet mit Frauen über Fußball. Hier zeigt sich auch die
widersprüchliche Erwartung Lynns in Bezug auf den
Mann. Sie wünscht
sich auf der einen Seite einen kultivierten, nicht über Fußball redenden Softie,
andererseits erwartet sie den starken Mann mit seiner starken
„Hand“, der
sie festhält und die sie tröstet („Tröste
mich, gib deine Hand!“ Rede , rede
zu mir“ S.32). Dann wiederum haßt sie eben diese starke Hand, welche sie
mißhandelt. Das Autoritäre ist ein typisch
männliches Attribut, welchem die
Frau sich un
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terwirft. Sie möchte das der Mann „zu“ ihr redet, nicht mit ihr.
Sie verlangt geradezu nach einem
imperativen Wortlaut. Die Frau ist
mehr als sie möchte in ihrem Rollendenken verhaftet, sodass sie die männliche
Gewalt zwar ablehnt, aber unbewußt auch genau
diese, in geschwächter Form,
erwartet.
Das Unbewußte muß hier als das Ursprüngliche verstanden
werden. Strauß will hier wieder die Überreste der weiblichen Rollenerwartung
aufzeigen und die
Ambivalenz zwischen bewußter und unbewußter Erwartung der
Frau deutlich machen. Es ist „die Verhöhnung des Eros, die Verhöhnung des
Soldaten, die
Verhöhnung von Kirche, Tradition und Autorität“ (Strauß, 1993)
welche die Verlogenheit in der modernen Gesellschaft bewirkt, so Strauß in
seinem Essay
„Anschwellender Bocksgesang“. Die Frau genießt und benötigt
ihre Machtspielchen, was in dem Dialog auf Seite 32 bis 34 besonders
evident erscheint. Das
Gespräch zwischen Mann und Frau folgt hier einem
scheinbar ritualisiertem Schema. Der Mann ist hier der Dominierende, die Frau
erniedrigt sich und ermöglicht so
dem Mann eine Überlegenheitsposition
einzunehmen. Dies erotisiert sie geradezu, sie geilt sich auf an ihrer
Unterlegenheit, wobei Botho Strauß die Triebhaftigkeit
und tiefe Verankerung
der weiblichen Wesensstrukturund deren krankhafte Überspitzung in der
Postmoderne deutlich machen will. Das Weibliche zeigt sich schon in
der
Bühnenanweisung deutlich, wo Lynn „ihren Kopf an die Knie des Manns“ (S.32)
lehnt. Er, der eigentlich Perverse, verhört seine Frau und drängt sie in die
Rolle
der psychisch Gestörten. Es entsteht wiederum eine Paradoxie. Obwohl
die Lynn ja beschlossen hat, ihr Leben zu ändern, gelingt es ihr nicht,
dem Teufelskreis der
Rollenkonditionierung zu entrinnen. Sie antwortet
nervös und zerfahren auf die drängenden Fragen des Mannes, gibt zu das sie Angst
habe. Die beiden reden
aneinander vorbei. Strauß zeigt hier wieder die
Rudimente der Geschlechterverteilung zwischen Mann und Frau, die hier in ihrer
krankhaften, überspannten Form den
zivilisatorischen Deckmantel zerreißen.
Hans oktrojiert der Frau auch seine erotischen Phantasien. Er streiche in
„Pornoheften alles Geschriebene und die Sprechblasen aus“ (S.19). Das seien
nicht ihre
Phantasien sagt die Frau, das „ist deine Fantasie. Die kannst du
behalten...“ (S.19). Auch in Bezug auf die Erotik ist der Mann der Dominierende.
Botho Strauß will
zeigen das die Erotikindustrie und das erotische
Miteinander in unserer Gesellschaft fest in Männerhänden ist. Pornos als typisch
männliche Erotik und Auswuchs der
Medien erdrücken jede weibliche
Sinnlichkeit oder Phantasie.
1.3 Die weibliche Regression
Der Dialog zwischen Mann und Frau auf Seite 32 bis 34 von dem bereits die
Rede war, läutet den Regressionsprozeß der Frau ein, der schließlich in der
Zerstückelung des Mannes auf Seite 38 eskaliert. Hier schlägt die weibliche
Regression um ins Männliche. Die Frau nimmt die Rolle des Mannes ein. Es gelingt
ihr
also letzten Endes nicht, eine neue Form der Rollenverteilung zu
erreichen. Botho Strauß zeigt hier die tiefe, mythische Verwurzelung der
Geschlechterunterschiede
und versucht den Versuch der Schaffung einer völlig
neuen, emanzipierten Frauenfigur als Utopie oder Groteske zu entlarven. Es gibt
und muß nach Strauß die zwei
Pole Mann und Frau geben, dazwischen ist nicht
viel Spielraum. Auslöschung der Unterschiede ist hiernach also nur durch
Angleichung möglich. Eine fragwürdige
Alternative. Strauß wendet sich hier
gegen die aufklärerischen Versuche z.B. in den 60er Jahren, wo die
Frauenbewegungen aufgrund ihres Fanatismus teilweise
groteske Züge
annahmen. Er wendet sich gegen die sozialistische Vermännlichung der Frau.
Die Regression der Frau wird auf Seite 36 besonders deutlich. Sie wolle
„Spielen, spielen.“. Die Frau verfällt hier in ein kindliches, sinnliches Wesen,
spricht von
ihrem „Verlangen“. Die Frau erscheint hier in einem fast
rauschhaften, dionysischem Zustand, sie wirkt halluzinierend („...Echsen
kriechen aus den Stereoboxen.“).
Hier will Strauß totale Weiblichkeit
zeigen. Er zeigt die mythischen Wurzeln der Weiblichkeit. Das Urtier der
„Echse“, sprich das ursprünglich Weibliche, kriecht
„aus den Stereoboxen“,
hinein in die Moderne. „Die Frauen kommen“ heißt es und „`s ist alles Unfug auf
Erden...“, sprich das Männliche, das Dominierende, sei
Unfug. Es ist die
Forderung nach einem Matri
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archat, die hier aus dem Munde der Frau ertönt. Die Echse ist natürlich
ein Symbol für das Archaische. Ambivalent ist hier wiederum, dass die Frau
ihren Mann als
„Liebster!“ anruft, obwohl sie das Männliche zersetzen will,
obwohl sie ihn „an den Armen packen“, „an den Lippen beißen“ und „an den Armen
reißen“ will.
Mit der Zerfetzung des Mannes kulminiert die Regression der
Frau in einem orgastischen Spektakel auf Seite 38. Hier zerfließt die Frau
geradezu zu einem rein
sinnlichen Geschöpf. Die Frau reduziert sich und ihre
Umwelt auf ihre Sinne und elementaren Körperfunktionen, sie verwendet Vokabeln
wie Küssen, Lecken und
Trinken, verlangt nach diesen Sinneswahrnehmungen.
Sie verlangt danach, ihr in den „Leib“ (S.38) zu fassen, man solle ihr die
„Scheiße aus“ (S.38) dem Leib holen.
Botho Strauß will hier wiederum die
Wurzeln der Frau zeigen. In der Mythologie hat die Frau das Attribut des
Sinnlichen und anti-Aufklärerischen, nicht-Rationalen.
Sie ist dort
gewissermaßen der Antipode des Mannes. Diese Polarisation wurde durch die
moderne, männerdominierte Gesellschaft verschüttet und ist nur noch in
ihrer
kranken Art vorhanden. Das zeigt der Autor von „Kalldewey Farce“ und
kritisiert es, indem an dieser Stelle das Urweibliche der Frau hervortreten
läßt. Die
Frau fleht: „OH MEIN GOTT...“, sie fleht also nach ihrem Gott,
womit womöglich Dionysos gemeint ist, der Gott des Rausches, der Sinnlichkeit
und des
Weiblichen. Dieser Gott sei der „König“, der „Schwanz“ und der
„Wahnsinn“ (S.38), trägt also Charakterzüge eines sexuellen, rauschhaften
Wesens.
Dann wird der Mann zerrissen, er verschwindet. Die Frau sehe jetzt
„mit deinen Augen, mit deinen Augen“ (S.38), sprich mit den Augen ihres Mannes.
Durch ihr
männertypisches Verhalten, die radikalemanzipatorische Aggression,
hat die Frau sich dem Mann angeglichen. Die Frau hat nun typische
Verhaltensmuster ihres
Mannes adaptiert, sie trinkt „Bier“ (S.39) und
beschimpft K und M mit den Worten ihres Mannes („Ihr häßlichen Kröten, ihr
verdammten Vipern!“ (S.39).
Auf Seite 40, am Ende der ersten Szene,
bemitleidet sich die Frau und beklagt den Verlust des Geschenkes ihres „Gottes“
(S.40). Dieser Gott ist hier wiederum
Dionysos. Die Frau tauschte also
ihreWeiblichkeit letztenendes gegen das männliche Alternativmodell ein. Dieser
Schritt führte zu dem grotesk-männlichem Verhalten
der Frau. Das
Alternativmodell der Linken wird von Botho Strauß als Sackgasse vorgeführt.
1.4 Die Personen K und M und die moderne Sprache
K und M sind die wohl farcenhaftesten Personen des Stückes „Kalldewey Farce“.
Diese beiden Frauen fallen vor allem durch ihren Sprachgebrauch auf, ihre
Sprache ist umgangssprachlich und agressiv. Hinter dieser kruden und
radikalfeministischen Oberflächlichkeit, verbergen sich jedoch bei
genauerer Betrachtung zwei
verletzliche, sich liebende Frauen. Die
Lesben K und M sind es letztenendes, die es der Frau ermöglichen ihren Mann zu
eliminieren. Sie sind die „Hexen“ (S.45), die
weiblichen Rachegeister.
Bereits der erste Auftritt der beiden Frauen K und M ist ein Wortgefecht,
überladen mit umgangssprachlichem Vokabular. Die beiden mokieren sich über eine
dritte,
welche offenbar beleidigt davongelaufen war. Mit den Personen K und
M wirft Strauß die Frage nach einer authentischen Sprache auf. Strauß führt mit
ihnen zwei
Menschen vor, die zwar ungefiltert ihrer Agression Luft
verschaffen, aber dadurch das Gespür für eine gelungene Kommunikation verlieren,
also aneinander vorbei
reden. Nur an wenigen Stellen gelangen ehrliche
Emotionen an die Oberfläche, etwa dort, wo M von ihren Komplexen gegenüber K
spricht und sagt „Ich bin eben
nicht so`n Kingsize-Ego wie du!“ (S.15). Die
Sprache der beiden ist die Sprache des „Fernseh-Spots“ (Bott, 1984), die
„Lautmalerei des Comics (Crash! Sprong!
Brooch!, 10)“ (Bott, 1984). Die
Aggression in der Sprache von K und M weicht ab der zweiten Szene einer
übertriebenen Rücksicht, welche alle Konflikte
verschüttet. Dort ist die
Sprache der beiden Partner als genauso unauthentisch wie in der ersten Szene.
2. Szene II
-4-
2.1 „Das Leben eine Therapie“
Auch der zweiten Szene ist, wie auch der ersten, eine programmatische Aussage
vorangestellt: „Das
Leben eine Therapie“ (S.41). Nach der ersten Szene ist
nun also die „Therapie“ in das Leben der Charaktere getreten. Alle aggressiven
und kruden Ausbrüche sind
verschwunden, wegtherapiert, und durch
pseudosoziale Phraseologie ersetzt. Doch auch in dieser Szene sind die
menschlichen Abgründe der therapierten
Partnerschaften zwischen den
einzelnen Personen allzu ersichtlich.
Schließlich ist da Kalldewey, ein
ungeladener Gast auf der Geburtstagsfeier der Frau, welcher schelmenhaft die
Hypokrisie der übrigen Gäste entlarvt. Botho Strauß
will hier die
Aufgesetztheit und
Verlogenheit der modernen Gesellschaft zeigen, in der
alle Leidenschaften und alle Triebhaftigkeit durch Diskussionen, Talkshowgelaber
und Psychologisierung
negiert werden. Die Dialoge der Personen wirken in
dieser Szene anerzogen und nicht ehrlich, es sind die Floskeln ihrer
Psychiater, ihrer Therapie, mit denen die
Charaktere hier kommunizieren.
Die Regieanweisung der zweiten Szene greift Elemente der vorherigen Szene
auf wie z.B. die „Lautsprecherboxen“ (S.41) und den „Notenständer mit Querflöte“
(S.41). Insbesondere die Lautsprecherboxen, deren „Stoffbespannung“ (S.41)
zerstört ist schaffen eine Brücke zu den mythischen Echsen, die aus den Boxen
kamen. Das Mythische und Triebhafte schwingt also auch hier mit, ist nicht
vollständig wegzutherapieren, es ist hier lediglich verschüttet und wird
schließlich durch
Kalldewey geweckt (s.u.). Es stehe ein „Biedermeiersofa“
(S.41) und ein „Tisch mit weißer Tischdecke“ (S.41) auf der Bühne, wobei die
Frau die Tischdecke
glattstreiche. Die Tischdecke ist ein Symbol für das
Zudecken der Konflikte und Leidenschaften durch die Therapie. Die Frau streicht
die Decke glatt, sprich sie
glättet, symbolisch betrachtet, die Wogen ihrer
Triebe. Außerdem ist das Weiß der Decke übertragen als Unschuld zu deuten, mit
welcher die Sünde verdeckt wird.
Auch das Symbol des Biedermeiersofas ist
von Botho Strauß mit bedacht gewählt, weißt es doch bereits hier auf die
Biederkeit und Prüderie der vorgeführten
Beziehungspartner hin.
2..2 Kapitalismuskritik von Rechts
Zu Beginn der zweiten Szene tritt die Frau auf und spricht von den
Geschenken, welche sie von ihren Geburtstagsgästen erwartet. Sie schwärmt von
einem „Tier“
(S.41) von etwas „Unbekanntem“ (S.41) , von etwas
Extrordinärem, was sie vielleicht von Kattrin geschenkt bekäme. Von ihrem Mann
erwartet sie eine
„Notentasche, Ziegenleder dunkelblau.“ (S.41). Hier zeigt
sich die Kapitalismuskritik im Stück Kalldewey Farce. Die Frau leidet unbewußt
an ihrem Mangel an
Leidenschaften und versucht dieses Defizit durch
materielle Wünsche zu kompensieren. Sie projeziert ihre Sehnsüchte auf den
Götzen Mammon. Die Frau sehnt sich
nach „Früchten, Blumen, Kuchen, Dingen!“
(S.41), will also ihre Sinne durch Dinge befriedigen, sie will Früchte
schmecken und Blumen riechen. Um so enttäuschter
ist sie, als sie von ihren
Gästen erfährt, dass diese keine Geschenke für sie haben, sie „läuft unter
Tränen zum Fenster“ (S.45). Die Geschenke sind Teil der Therapie,
ohne
Geschenke machen die Gäste die „Therapie kaputt „ (S.49). Der Konsum ist die
Droge des modernen, aufgeklärten Menschen, sein schlechter Ersatz für
Leidenschaft und sein Medikament. Das will Strauß sagen. Lediglich Kalldewey
hat ein Geschenk mitgebracht, eine „Piccoloflasche Sekt“ (S.45). Dieses Geschenk
wird letztenendes zu dem phallischen Götzenbild der Partygesellschaft. Diese
Piccoloflasche, der Trieb, ist das Reiche, Geheimnisvolle und Unbekannte was die
Frau
sich zu Beginn der zweiten Szene wünscht, was sie aber zu diesem
Zeitpunkt noch auf den Konsum projiziert.
Strauß wünscht sich eine
Gesellschaft, bei der „der Ökonomismus nicht im Zentrum aller Antriebe
steht,..“, da solche Gesellschaften „aufgrund ihrer geregelten,
glaubensgestützten Bedürfnisbeschränkung im Konfliktfall eine beträchtliche
Stärke oder gar Überlegenheit zeigen werden.“(Strauß 1984). Dies ist Rechte
Kapitalismuskritik. Auch die Linke kritisiert den Kapitalismus, hat jedoch
ein Alternativmodell, die Utopie des Kommunismus oder den Sozialstaat,
anzubieten.
-5-
2.3 Das „Atlantis längst versunkener
Obszönitäten“
Die Charaktere sprechen ab Seite 42 von ihrer Herkunft, ihrer Vergangenheit,
welche im übertrage-
nen Sinne als eine Art Urzustand der Menschen gesehen
werden muß. Dieser Zustand war „Besser als der beste Film“ (S.42) sagt K und
ergänzt: Es habe seinerzeit
„eine große Liebe“ (S.42) existiert. Sie kämen
aus einen „Atlantis der Obszönitäten“ (S.43), so der Mann, aus der „Tyrannei!“
(S.43) wie M es ausdrückt. Die
Personen Blicken also zurück auf etwas
Gewaltiges, was offenbar nicht mehr existiert. Strauß richtet hier mit Hilfe der
Charaktere wiederum seinen Blick zurück und
besinnt sich auf einen
ursprünglichen Zustand voller Liebe, Leidenschaft, Trieben, sprich
“Obszönitäten“ (S.43), Angst und Gewalt. So fragt der Mann enttäuscht,
was
aus der Angst geworden sei und M sehnt sich nach Tyrannei. Diese eigentlich
negativ besetzten Begriffe idealisiert Strauß hier und schafft einen Gegensatz
zum
heutigen seichten Leben. Im Gegensatz zu den Linken ist er nicht
fortschrittlich sondern konservativ, d.h. er fordert den Rückblick und die
Besinnung auf die
Tradition der Menschen. Als Rechtsintellektueller fordert
er ein Leben, das sich mit dem Elementaren auseinandersetzt. Der Mensch soll
wieder an seine Grenzen
stoßen können, er fordert einen neuen (heroischen?)
Pathos. Auch M´s Aussage „Wie demokratisch ist das denn hier?!“ (S.42) ist in
diesem Zusammenhang zu
lesen. Der Schriftsteller kritisiert hier
wahrscheinlich auf äußerst subtile und fragwürdige Weise unsere
Gesellschaftsform und stellt diese in Frage. Nach Strauß wird
alles
breitdiskutiert, es wird alles abgestimmt und nichts bewegt sich, der Apparat
ist gelähmt durch Demokratie. Ist hier der Ruf nach dem starken Mann zu
vernehmen, nach einem Philosophenkönig etwa oder einem Dionysos? Dieser
Dionysos, der „Herrscher mit der Flamme auf dem Kragen“ (S.44) war der Herrscher
über die besagten „längst versunkenen Obszönitäten“ (S.44) sagen K und M.
Jetzt sind die Menschen „im Fallen“ (S.43), womit Strauß sein Leitmotiv der
gefallenen Kultleidenschaften wieder aufgreift.
2.4 Die pseudosoziale Moral der Aufklärung und die Psychiatriekritik
Als Gegensatz zu dem „Königreich der Obszönitäten“ zeigt Strauß nun das Leben
in der heutigen psychologisierten Gesellschaft mit all seinen hohlen Phrasen.
Das
hochste Ziel ist heute die Harmonie. Auch M und K sind angepaßt, obwohl
sie einmal „Hexen“ (S.45), also kultische Wesen, gewesen seien. Sie hätten
erkannt, so
K, dass man „den Wahnsinn nicht mit den Mitteln des Wahnsinns
bekämpfen kann“ (S.46). Der Mensch brauche „eine neue Moral zum Überleben“
(S.47). Diese
Floskeln wirken aufgesetzt und wie auswendig gelernt, es sind
typisch moralisierende Sätze im Stile der 60ger Jahre Studentenbewegungen. Botho
Strauß macht sich
mit einem Sarkasmus über diese Art von Aufgeklärtheit
lustig, durch farcenhafte Wiederholung und Überspitzung wirken diese Floskeln
lächerlich. Er wendet sich
gegen die Vorstellung der alleingültigen Moral
und gegen ein linksaufklärerisches Fortschrittsdenken, welches zu einem besseren
Menschen führen soll. Dieses
Denken ist für Strauß illusionär. M proklamiert
auf Seite 48: „Jetzt wissen wir nämlich, was das Richtige ist und was positiv
ist.“ Es gibt also für M das Richtige. Es
folgt der Slogan „Dafürsein ist
positv“. Diese Schlagworte sind typisch für das sozialdemokratische Gedankengut,
was Strauß verabscheut. Er wendet sich gegen
eine Indoktrination von Moral
als Surrogat für Religion und Mystik.„Der Therapeut“ (S.46), so K, sage es „tut
ja auch weh“ (S.46) wenn man andere unterbricht
und „Komm, locker - lockere
dich“ (S.48). Auch dieses Psychologisieren von K ist lachhaft und wirkt durch
den Kontrast mit der ersten Szene geradezu irreal. In
der ersten Szene waren
K und M aggressiv und beschimpften sich die ganze Zeit, jetzt ist dieser Jargon
fast völlig aus ihrer Sprache gewichen. Die beiden scheinen
ihre
Aggressionen mit Hilfe des Psychiaters, des Therapeuten, ins Gegenteil
verkehrt zu haben, in ein unnatürliches Harmoniebedürfnis.
Konflikte werden
heutzutage nach Strauß nicht ausgetragen, da sonst die Therapie „schief“ (S.47)
gehe, man solle schließlich nicht „endlos ... herumkritisieren“
(S.48).
Durch übertriebenes Harmoniestreben werden Aggressionen unterdrückt und es
entsteht Krankheit. Die Frau stellt fest, dass ihre
-6-
„sexuellen Beziehungen ... jetzt sehr gut“ (S.50) seien. Die Worte
kommen der Frau während ihres Monologes nur schwer über die Lippen, „(sie atmet
schwer)“.
Der Satz „Wir haben ... viel (sie atmet schwer) Jux
miteinander !“ (S.50) wirkt gequält und verkrampft. Die Frau erzählt hier
offenbar die Unwahrheit. Die
Erwartungen des Therapeuten erfüllt sie nur
scheinbar indem sie einen Therapieerfolg vorgaukelt. Sie ist hierdurch durch die
übersteigerte Harmonieerwartung
gezwungen. Der rationale, leidenschaftslose
und idealisierede Wortschatz der Frau wirkt hier absolut unpassend und nicht
authentisch. Der Frau wurde hier die Ratio
des Mannes, in der Person
des Therapeuten, aufgezwungen. Sie verliert ihre weibliche Komponente.
Alle dionysische und die Leidenschaft wird durch die Ratio
der
Aufklärung Konstrukt negiert. Das will Strauß deutlich machen. Die Aufklärung
ist ein männliches Konstrukt. Der Mann erkennt die Verlogenheit. Er macht sich
in ironischer Manier über den „Harmonierekord“ (S. 50) der Paartherapie
lustig, welche alle „Restinstinkte runderneuert, tätärätä“ (S.50) hätte, sprich
alle triebhaften
Relikte ausgemerzt habe. Strauß legt in der zweiten Szene
fast alle gesellschaftskritischen Aussagen in den Mund des Mannes. Der Mann ist
der Flötist Hans. Der
Flötist ist laut Marie-Luise Bott ein Symbol für den
Dichter, Hans fungiert also hier als Sprachrohr von Strauß. Auch auf Seite 52
beschwert der Mann sich, dass
keine Diskussion mehr möglich sei, da alle der
gleichen Meinung seien. Jeder Disput wird also nach Strauß durch die
heuchlerische „political correctness“ der
Gesellschaft erstickt.
2.5 Die Funktion Kalldeweys
Kalldewey ist die zentrale Figur des Stückes, was schließlich schon der
Titel „Kalldewey Farce“ antizipiert. Kalldewey „bringt nur Obszönitäten heraus“
(S.54) sagt
die Frau. Seine Sprache besteht aus schelmenhaften, schmutzigen
Wortspielen wie z.B. „Willst du Scheiden ohne Krampf versuch`s mal unter
Wasserdampf“ (S.55).
Der Kobold Kalldewey nimmt so die Partygesellschaft auf
die Schippe und bringt sie gegen sich auf. Die Frau mokiert sich „Mein Gott ist
das lächerlich!“ (S.55).
Hier bezeichnet sie Kalldewey unbewußt bereits als
ihren Gott und tatsächlich ist Kalldewey zumindest ein Gesandter des Gottes
Dionysos, wenn nicht gar eine
leibhaftige Dionysosfigur. Kalldewey soll
zunächst verschwinden, doch die Tür, der Ausgang und Ausweg aus dem Dilemma der
Aufklärung, geht nicht auf. Botho
Strauß zeigt hier die Verwurzelung der
aufklärerischen Tradition in den Köpfen des modernen Menschen. Jeder Trieb,
alles Obszöne wird negiert. Kalldewey ist die
Fleischwerdung dieses
Triebhaften und des Rausches. Doch Kalldewey ist auch der Gott des Konsums, er
spricht in Werbeslogans. Der Name Kalldewey stehe für
„KaDeWe“ schreibt
Marie-Luise Bott, für das Kaufhaus des Westens in Berlin. Er sei der „Un-Geist
des Konsums“ (Bott, 1984).
Botho Strauß will deutlich machen, dass der
Trieb ein Teil der verlogenen, ihn negierenden, Gemeinschaft ist. Dies erkennt
M, indem sie sagt: „Irgentwie paßte der
hierher, als hätt`s ihn immer schon
gegeben.“ (S.57). Trotzdem wurde Kalldewey, sprich der Trieb, symbolisch unter
den Tisch gekehrt, er wird, kaum bricht er
hervor, wieder versteckt. Die
Frau „glättet das Tischtuch“ wie zu Anfang der zweiten Szene. Auf Seite 61
kommen K erste Skrupel „Wir haben ihn (Kalldewey
d.A.) schlecht behandelt.
Man muß erst sehen, was hinter einem fremden Menschen steckt“. Die pseudosoziale
Phrase, dass man erst hinter einen fremden
Menschen schauen müsse,
verschafft hier ironischerweise Kalldewey Eintritt in die Gesellschaft. Die Frau
wehrt sich jedoch heftig, verlangt nach einem
Themenwechsel. Der Mann
hingegen schlägt wiederum einen gesellschaftskritischen Ton an. Während die Frau
die Technik und den Forschritt auf farcenhafte und
übersteigerte Weise
bejubelt, also in ihrem Denken vom liniearen Fortschritt verhaftet ist, spricht
der Mann von den „Alten“, die
irgentwann gegen zuviel „Mikrotechnik“ auf die
„Barrikade“ (S.62) gehen. Auch die Frau beginnt ihm plötzlich zuzustimmen. Hier
zeigt sich wieder die Straußsche
Gesellschaftskritik von Rechts, gegen
zuviel Fortschrittsglaube und für das Alte. Strauß sucht den „Wiederanschluß an
die lange Zeit, die unbewegte“, welche „ihrem
Wesen nach Tiefenerinnerung“,
sprich das Unbewußte, sowie „eine religiöse“, also mythische, „oder
propolitische Initiation“ (Strauß, 1993) sei. M beginnt, sich
„gern“
(S.62) an Kalldewey zu erinnern, was soweit führt, dass sie ihn als „King“
(S.63), sprich als Gott, be
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titelt. Die Frau verwehrt sich indessen wieder gegen den
„Schweinepriester“ (S.63) Kalldewey, sie äußert Angst vor einem Rückfall, die
Therapie sei dann
„umsonst“ (S.64). Sie hat Probleme mit ihrer Sexualität,
hat Angst vor dem „Pornoscheißundschwanzverdammtendreckschwein“ (S.64) Kallde
wey. Sie fürchtet sich von allen Charakteren am meisten vor ihrem Trieb und
will ihn am liebsten aus ihrem Leben streichen, ihn wie die Tischdecke
glattstreichen.
Strauß will hier ein Problem zeigen, worunter viele Frauen
(und auch Männer) in unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft leiden, alles
redet vom Sex, von Porno etc.
und die natürliche Sexualität und Leidenschaft
wird durch diesen radikalen Exibitionismus erstickt. Das moderne,
pornographische am Sex beschämt die Frau und
evoziert ihre Verkrampfung.
Leidenschaft existiert bestenfalls noch als Überlieferung, als Mythe.
Zum
Schluß der zweiten Szene werden schließlich alle „Rückfällig“. Sie sind
Kalldewey „ganz ergeben“ (S.66) und die Frau wie auch der Mann habe „ein
höchstes
der Gefühle nur“, wenn sie sich „unterwerfe“ (S.66). Der Mensch
sucht unbewußt nach einem Führer, das macht der Autor seinem Publikum an dieser
Stelle klar.
Man brauche eine Polarisation zwischen Mann und Frau erkennt
der Mann, es fehle „an nützlicher Ergänzung“ (S.66). Kalldewey ist der Führer,
eine Hitlerfigur
schreibt Marie-Louise Bott. Er sei der „Rattenfänger“
(S.72) von Hameln, von dem der Mann im Zwischenakt spricht. Dieser ertränkte das
Ungeziefer im
„Vergessensfluß“ (S.72), d.h. nach Hitler bzw. Kalldewey
bleiben die Uhren stehen, es bleibt das Vergessen.
Der Ausgang aus dem
Irrweg der Aufklärung ist also nach Strauß nur mit Hilfe des Triebes,
symbolisiert durch die phallische Piccoloflasche, zu öffnen. Dies
geschieht
letztenendes auch: Die Charaktere taufen die Tür mit Hilfe der Piccoloflasche
(s.o.) auf den Namen „Ausgang“ (S.67), wodurch dieser sich öffnet und
wodurch ironischerweise Konsumgüter ins Zimmer geweht werden. Es entsteht
also ironischerweise lediglich ein Pseudoparadies des Konsums wie es in Szene
III
vorgeführt wird, da auch Kalldewey sich längst aus dem Staube gemacht
hat und nur noch der Konsum bleibt. Der Autor zeigt hier also keinen direkten
Ausweg aus
dem Dilemma der Aufklärung und grenzt sich so von seinen
Vorgängern, den Aufklärern und Fortschrittsutopisten, ab. Was von allem bleibt,
ist die Beckett`sche
Resignation, das Unglück als Gag: „The worst is in
front of one, until it makes one laugh.“
3. Szene III
3.1 Der Therapeut als Ersatz Kalldeweys
In der dritten Szene sind die Charaktere auf ihre kranken Anteile
zusammengeschmolzen. Der Therapeut, als „Chef“ (S.77) bezeichnet,
residiert als eine Art
Sektenoberhaupt in seinem Büro. Die ominöse Gestalt
des Chefs zeigt sich nie. Die Charaktere des Stücks verehren ihn wie einen Guru
und sind auf ihn fixiert, alles
Mitmenschliche unter ihnen hat sich
aufgelöst. Der „Chef“ leitet seien therapeutische Praxis wie ein Unternehmen und
bereichert sich scheinbar an der
Leichtgläubigkeit seiner Patienten, nutzt
diese völlig aus und reist fast permanent um die Welt. Am Ende des Stückes steht
also die totale Entartung, alle Charaktere
sind kranke
Persönlichkeitswracks, ihre Kommunikation ist völlig gestört.
Während der
letzten Szene ertönt „Musik wie im Supermarkt“ (S.76). Hiermit wird wiederum die
Konsumkritik des Autors deutlich. Das Geschehen spielt also vor
dem
Hintergrund des Kapitals.
Das Kapital und der Konsum entfremdet den Menschen
von seinen Wurzeln und zerstört dessen Menschlichkeit. Das soll hier deutlich
werden. Der Therapeut heißt
keineswegs umsonst der „Chef“ (S.77). Die Worte
„der Chef“ (S.77) und sein „Büro“ (S.77) sind der Terminologie der Arbeitswelt
entlehnt. Der Therapeut redet
unsinnigerweise im Rahmen der Therapie
von seinen Besitztümern und dessen Werten über tausende von Mark. K beschwert
sich schließlich darüber, dass der Chef
nur seinen Reisen im Kopf habe. K,
M, die Frau und der Mann sind in unterschiedlicher Ausprägung abhängig von ihrem
Therapeuten wie von einer Droge.
Besonders der Mann ist ihm hörig. Er wartet
-8-
„erwartungsvoll“ (S.77) vor der Tür und gerät in „Abhängigkeit zu den
Türbewegungen“ (S.77) zum Büro des Therapeuten. Die Frau drückt diese Situation
noch
drastischer aus: Ihr Mann sitze vor der Tür des Therapeuten und wichse
„wie`n Schimpanse“ (S.82). Hier sieht man die Defizite der mitmenschlichen
Kommunikation, welche durch die Fixierung auf den Therapeuten
entstanden sind. Die
Frau fordert leidenschaftliche und sexuelle Zuwendung
(„Küß mich halt mich lieb mich“ S.82), wozu der Mann nicht imstande ist, da er
sogar seine Sexualität auf den
Therapeuten bezieht. Er hat geradezu Angst
vor Nähe, der Kontakt zur Frau würde ihm zu „eng“ (S.82). Sein Bedürfnis nach
Unterwerfung, was der Mann schon in
Bezug auf Kalldewey artikulierte,
ist hier völlig pervertiert. Er läßt sich von seinem Therapeuten wie einen
Jünger segnen, er läßt sich die „Hand auf die Schulter“
(S.82) legen. Auch M
befindet sich in einer großen Abhängigkeit, sie ist von „Pillenstreifen, Röhren
und Döschen“ (S.79) behangen, die sie ja wahrscheinlich vom
Therapeuten
verschrieben bekommt . Als sie sich verspricht, will sie unsinnigerweise ein
Medikament gegen den „Versprecher“ (S.81) einnehmen. Sie ist
gewissermaßen
Medikamentenabhängig, sucht die Lösung ihrer Versprecher, also ihrer
Kommunikationsstörung, verwerflicherweise allein im Konsum von
Medikamenten und im Konsum von unwichtigen Gütern wie „Teppichschaum“ (S.
82). Sie ist abhängig von diesen Artikeln und ist irritiert bei deren fehlen in
der
Angebotspalette, in diesem Fall sei schließlich alles „Aus und vorbei.“
(S.82).
K ist sich ihrer Abhängigkeit vom Therapeuten durchaus bewußt, in
der sie sich nur befinde, weil sie „den Kalldewey nicht gekriegt haben“ (S.85).
K war sich
schließlich auch der Funktion Kalldeweys in Szene II durchaus
bewußt. Sie erkennt den Therapeuten als den Pseudo-Kalldewey und dessen
Karrikatur. Er ist der
Gottesersatz der Gemeinschaft. Die Gesellschaft
„hasten haltlos“ durch das „Niemandsland zwischen zwei Büros der
Therapie-Agentur“, sie seien morgens
Angestellte, abends Kunden und
andersrum“ (S.85) bringt K die Situation auf den Punkt. Das Leben findet also im
Rahmen der Therapie statt, dessen Guru der
Therapeut ist. Der Therapeut ist
also zugleich Religionsersatz, Apologet des Konsums und Chefideologe in
einer Person. Doch K hat nicht die Kraft sich als einzelne
gegen das System
zu wehren, der einzelne ist dazu nicht in der Lage, dass weiss auch der Mann
(s.u.). Sie versucht den „Chef“ einzusperren, was jedoch nicht
funktioniert.
K erkennt die Menschen als „Medientrottel“ und „Futuridioten“ (S.106). Mit
ihrem Sarkasmus macht sich K über die Gesellschaft lustig: „Jawoll zum
Überfluß, zum Überschwang Jawoll zu den reichen und den fetten Festen“
(S.107). Trotz diesen „Festen“ sei der „Alltag“(S.107) tragisch, sprich ohne
Sinn und
voller Tristesse.
Für Botho Strauß verkörpert der Therapeut die
Ziele und die Ideale unserer modernen und kranken Gesellschaft. Er ist für den
Schriftsteller Strauß der Kommerz,
der Medienstar und Religionsersatz, der
blinde Glaube an den Konsum und an die Technik bzw. Medizin, dem wir uns
bedingungslos unterwerfen, da uns der
„geistige Führer“ (S.101) fehlt .
Dieser hätte bei uns sowieso keine Chance, da er verjagt würde wie Kalldewey.
Das ist die Quintessens des Strauß`schen Stückes.
Der Mann stellt die
rhetorischen Fragen nach einem Ausweg aus der Sackgasse der Zivilisation; „Mehr
Demokratie? ... Banken verstaatlichen, den gutmütigen
Sozialismus einführen“
(S.101). Nein, das ist nach Strauß keine Lösung, dass sei der Linke Irrweg. Die
Linke male sich ein „Weltreich“ aus, es sei die „Utopie“, der
die Linken
hinterherhasten, welche die „Heilsgeschichte“ (Strauß, 1993) parodiere. Es
ist der euphorische Fortschrittswahn und überschwengliche Glaube an
Demokratisierung, mit deren Hilfe die Linken die Menschheit zivilisieren
wollen, gegen den sich Strauß an dieser Stelle wendet. Diese Zwanghaftigkeit
jeden
Kantinenausschuß zu demokratisieren führt nur zu Stagnation. Der Mann
sagt als Sprachrohr des Dichters Strauß an was es fehlt: „Es fehlt der geistige
Führer im
Land!“ (S.101). Der Mann ist Flötist, stehe also für die Person
des Dichters wie Marie- Louise Bott schreibt. Hans sei hier die Person des
Rattenfängers, der die
Seelen der Menschen für sich gewinnen will. Dies wird
auch im Zwischenakt deutlich: Der Mann Hans marschiert hier flötetend die
Menschenschlange. Doch er ist
sich seiner Ohnmacht bewußt, er sei nicht
„klug“ (S.101), er könne es allein „nicht fassen.“ (S.101), kurz: Er ist ein
Außenseiter. Hans ist hier die Figur des rechten
Außenseiters, von der
Strauß in seinem „anschwellenden Bocksgesang“ spricht: „Der Rechte - in der
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Richte: Der Außenseiter.“ (Strauß, 1993). Und wer soll nun dieser neue
„Führer“ sein? Das verschweigt der Autor seinem Publikum und mit
Sicherheit sähe sich
Strauß gerne in der Rolle des „geistigen Führers“. Eine
wiederum fragwürdige Alternative.
Zum Schluß des Stückes greift Strauß den
Anfangsdialog von „Kalldewey Farce“ auf. Mann und
Frau müssen sich offenbar
trennen, obwohl sie sich lieben, da sie keine Kommunikationsbasis finden können.
Es entsteht also circous viciosus. Am Ende des Stückes
steht also die
Ernüchterung des sich immer sinnlos Wiederholenden. Es ist das sinnlose
„Warten auf Godot“, welches die Menschen noch am Leben erhält.
3.2 Die Medienkritik
Die Strauß`sche Medienkritik wird besonders deutlich durch die Inszenierung
der Talkshow von Seite 90 bis Seite 94. Hier ist die Gesellschaftskritik des
Autors am
plakativsten. Eine Ehefrau sagt ihrem Ehemann in der Show, dass er
ihr „Erzfeind“ (S.91) sei. Der Mann hörte diese Information dort zum ersten Mal.
Strauß führt
hier wieder die totale Kommunikationsstörung der
Beziehungspartner in unserer Gesellschaft vor und zeigt die fatale Funktion des
Fernsehens als Indikator für diese
Probleme, welche scheinbar nur in aller
Öffentlichkeit ausgetragen werden können, weil das private miteinander der
Menschen nicht mehr funktioniert. Das kann nur
scheitern. Das Private ist
dem modernen und aufgeklärten Menschentypus fatalerweise „zu eng“ (S.82), wie
der Mann es sagt. Das Fernsehen, der „TV Kanal“ ist
die „Kloake“
(Strauß, 1993) der Moderne. Der Fernsehthriller ist das Angstsurrogat einer
durch Aufklärung angstlosen Gesellschaft.
3.3 Kritische Würdigung
Strauß macht mit seinem Werk „Kalldewey Farce“ auf viele Probleme
unserer Zeit aufmerksam. Dies ist berechtigt und nötig. In dem Werk werden die
Zwänge
und Sehnsüchte unserer „Tamago
chie-Beziehungswelt“ meisterhaft
dargestellt. Dennoch: Die Weltanschauliche Position des Autors Botho Strauß
ist meiner Meinung nach äußerst bedenklich, da sie
den „Kavalkaden
brauner Hundsföttchen“, um es mit Brecht zu sagen, ein Sprachrohr bietet.
Pauschale Aussagen wie: Das Linke sei „von alters her...Synonym für
das
Fehlgehende“ , des „verhexten“ oder „verkehrten“ (Strauß, 1993) sind
unzulässige Diffamierungen. Nicht umsonst wurde ich im Internet von Textseiten
über
Strauß über direkte „Links“ zu Seiten der rechtsradikalen NPD geführt.
Fairerweise muß man sagen, dass Strauß sich von den Neonazis distanziert.
Trotzdem ist
Strauß Gedankengut Wasser auf den Mühlen der Nazis, so las ich
bei der NPD Zitate von Strauß: „In verschwätzten Zeiten bedarf die Sprache neuer
Schutzzonen“
oder: „Die Demokratie braucht wie ein Organismus die Gefahr“.
Das ist Nazi-Terminologie von der übelsten Sorte und zudem grober Unsinn. Wozu
braucht ein
Organismus Gefahr?! Die Errungenschaften der Linken sind heute
nicht wegzudenken, vielleicht sollte B. Strauß mal seine Mythen, Mythen sein
lassen und zur
Abwechslung in Geschichtsbüchern blättern, ohne die Linke
gäbe es schließlich keine Demokratie usw.. Oder die Literatur: Nach Strauß ist
die „Rechte
Phantasie...die Phantasie des Dichters“ (Strauß, 1993). Als ob
nicht fast die gesamte moderne Weltliteratur aus den Werken von Linken
„Schreiberlingen“ besteht!
Literaturverzeichnis:
Bott, Marie-Luise: Spuren dieser Zeit. In: Heinz
Ludwig Arnold (Hrsg.): Text+Kritik (1984), S.31-53.
Ruckhäberle,
Hans-Joachim: „Botho Strauß“. In: Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts. Hrsg.
von Hartmut Steinecke. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1994, S. 870-879.
Strauß, Botho: Kalldewey Farce. dtv, München 1986.
Strauß, Botho: Paare,
Passanten. dtv, München 1981.
Strauß, Botho: Anschwellender Bocksgesang. In:
Der Spiegel, 8.2.1993.
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